Zivile Konfliktbearbeitung oder Ziviler Friedensdienst als Beruf

Die Friedensfachkraft Heike Harms im Gespräch mit Telepolis über ihre Arbeit in Mazedonien

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Während die Weltpolitik verstärkt auf zuerst Krieg und dann vielleicht Frieden setzt, gibt es vonseiten der Friedensbewegung das Konzept der Friedensdienste. Das Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) bildet seit 1997 Frauen und Männer zu Friedenfachkräften aus. Seit 1999 entsendet die Bonner Institution diese in Konfliktregionen wie Bosnien, Jugoslawien, Kroatien und das Kosovo. Heike Harms arbeitet im mazedonischen Skopje und anderen Orten des Landes als Friedensfachkraft. Telepolis sprach mit der 34-Jährigen über ihre Arbeit.

Welche Ziele stecken hinter der zivilen Konfliktbewältigung?

Heike Harms: Für uns in Mazedonien gilt, jegliche Form von Gewalt soll reduziert werden - also verbale, körperliche und strukturelle Gewalt. Zudem sind im positiven Sinne die ethnischen Beziehungen und das Zusammenleben aller Ethnien zu stärken und zu fördern.

Wie kann ich mir Ihre Arbeit vorstellen?

Heike Harms: Sehr unterschiedlich. Als Leiterin des Projektes stehen Besprechungen mit anderen Organisationen und unseren Mitarbeitern im Vordergrund. Und natürlich Gespräche zur konkreten Projektarbeit mit den Direktoren und Lehrern verschiedener Schulen. Eigene Projekte führen wir an sieben Schulen durch. Zudem beraten wir lokale Organisationen, die Programme an Schulen aufbauen wollen oder durchführen.

Macht der Zivile Friedensdienst nur Schulprojekte?

Heike Harms: Grundsätzlich kann man mit allen Altersgruppen arbeiten. Wir in Mazedonien haben uns aber entschieden, den Zivilen Friedensdienst in das Bildungssystem einzubringen. Natürlich denkt man dabei zuerst nur an die Schüler. Aber zu ihnen gehören auch Eltern, und wir wollen auch Eltern- und Lehrerinitiativen zu Themen wie Gewalt und interethnische Beziehungen aufbauen. Auch angehende Lehrer, also Studenten, wollen wir schon mit Methoden der Zivilen Konfliktbearbeitung vertraut machen, damit sie das später mit an die Schulen bringen können.

Eine Arbeit von unten nach oben?

Heike Harms: Anders, als Sie denken. Es soll quasi von außen in die staatlichen Strukturen eingewirkt werden. Die Gesellschaft soll diese im Prinzip verändern. Wenn etwa Elterninitiativen vehement Forderungen stellen, dann werden diese auch von der Politik beachtet. Es muss nur angestoßen werden.

Wie vermitteln Sie den Menschen ein friedliches Miteinander?

Heike Harms: Ein heikler Punkt. Denn im Grunde kann ich nur Impulse geben und Methoden vermitteln, falls die Leute auch offen dafür sind. Wir loten etwa mit den Lehrern aus, wie die Situation an ihrer Schule ist. Begegnen sich dort die mazedonischen mit den albanischen Eltern, oder die türkischen und die mazedonischen Lehrer? Gibt es überhaupt Begegnungsstätten? Wenn nein, wollen sie solche haben? Falls ja, überlegen wir gemeinsam, wie das möglich werden kann. Wollen sie aber nicht, gehen wir noch einen Schritt zurück und überlegen, was dem im Wege steht. Gründe sind meist der Hass auf- oder die Ängste voreinander. Dort muss man dann ansetzen.

Ein konkretes Beispiel?

Heike Harms: In Gostivar gehen seit dem Krieg 2001 mazedonische Kinder nicht mehr zur Schule, weil die Eltern bis heute Angst haben um ihre Kinder. Der albanische Direktor möchte sie aber wieder unterrichten. Da fängt dann unsere Rolle als neutrale Ethnie und Vermittler an. In Gesprächen mit beiden Seiten muss man Methoden und Wege finden, die zwar berücksichtigen, dass vielleicht die Ängste der Eltern berechtigt sind, es aber trotzdem möglich wird, dass die Kinder wieder am Unterricht teilnehmen.

Eine schwierige Arbeit?

Heike Harms: Langwierig und schwierig. Sehr schwierig! Man muss sich das Vertrauen aller Ethnien erarbeiten. Ein Erfolgserlebnis kann es später schon sein, wenn Sie erleben, wie mazedonische und albanische Lehrer zum ersten Mal seit dem Krieg wieder eine Tasse Kaffee zusammen trinken oder bei Fortbildungen gemeinsam an einem Tisch sitzen. Anderes Beispiel: die Lehrer unterrichten ihre Schüler in Schichten. Morgens die Albaner, mittags die Mazedonier, abends die Türken - dazwischen immer zwei Stunden Pause. Nachdem wir ein halbes Jahr intensiv an einer Schule gearbeitet haben, hat ein Direktor dann die Pausen zwischen den Schichten verkürzt, damit sich die Schüler endlich begegnen können. Aber das sind eben nur kleine Erfolge.

Arbeiten Sie nur in Mazedonien oder leben Sie auch dort?

Heike Harms: Mein Mann und ich leiten das Projekt und leben seit zweieinhalb Jahren mit unseren drei Kindern dort.

In einer Krisenregion?

Heike Harms: Mazedonien ist ein Pulverfass und dort zu leben ist sicher gefährlicher, als in Deutschland. Aber zur Zeit halte ich das noch für verantwortlich. Bewegt hat uns zu diesem Schritt der Gedanke, sich in dieser Welt für etwas Sinnvolles einzusetzen. Nach zweijähriger Suche haben wir uns dann für den Zivilen Friedensdienst entschieden.

Wie sah Ihre Ausbildung aus?

Heike Harms: Es gibt eine Vorbereitungszeit von rund sieben Monaten. Vier Monate dauert die Ausbildung zur Zivilen Konfliktbearbeitung. Drei Monate lang werden psychologische Themen - Stichwort Kriegstrauma - und das Sprachstudium behandelt. Letzteres nimmt aber auch nach der Ausbildung noch viel Zeit in Anspruch. Diese sieben Monate setzen aber voraus, dass Interessierte schon vorher befähigt sind, diese Arbeit verrichten zu können. Ich hatte ja schon als Sozialarbeiterin und Streetworkerin gearbeitet.

Wer finanziert das alles?

Heike Harms: Unser Projekt wurde vorher beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eingereicht und dort bewilligt. Letztendlich finanziert also der deutsche Staat unser Projekt, wozu unter anderem mein Gehalt, die Miete, Reisekosten oder Honorare für einheimische Mitarbeiter gehören. Die Ausbildung - mein Mann war Informatiker - wurde vom Land Nordrhein-Westfalen finanziert. Das war bei uns so, weil wir schon zuvor eine feste Stelle in Aussicht hatten. Interessenten ohne feste Stelle müssen ihre Ausbildung anteilig selbst finanzieren.

Wer bestimmt, wo Sie eingesetzt werden oder welche Projekte stattfinden?

Heike Harms: Es gibt lokale Organisationen, die sich an uns wenden und um Hilfe bitten. Bei unserem Projekt war es aber so, dass wir Organisationen vor Ort unsere Möglichkeiten und unser Projekt vorgestellt haben. So fanden wir Partner. Das Bundesministerium finanziert Projekte übrigens nur, es nimmt keinen Einfluss darauf, wo und wie sie stattfinden.

Haben Sie nicht manchmal das Gefühl - immer mehr Kriege - gegen Windmühlenflügel zu kämpfen?

Heike Harms: Das ist schon fast eine Lebensfrage: Setzt man sich für etwas ein, obwohl man denkt, im Weltgeschehen ist es nur etwas Kleines, trotzdem man seine ganze Lebenskraft hineinsteckt? Meine persönliche Sicht ist, ich setze mich gerne für den Friedensprozess ein und mache etwas Sinnvolles. Aber ich muss auch meine Grenzen und meine persönlichen Kräfte wahren und darf nicht selbst nach wenigen Jahren völlig kaputt sein. Eine Gratwanderung.

Die Friedensbewegung kritisiert, dass Kriege als "Friedensmissionen" umgedeutet werden. Längst aber kooperieren vor Ort Zivile Friedenfachkräfte mit "Friedentruppen", manche besuchen vor ihren Einsätzen auch schon Bundeswehr-Trainingszentren. Innerhalb der Friedensdienste wird darüber heftig diskutiert. Arbeiten Sie auch vor Ort mit Militärs zusammen?

Heike Harms: Nein. Ich würde mich auch etwas schwer damit tun, weiß aber, es gibt auch andere Einstellungen dazu im Friedensdienst. Als seinerzeit in Skopje noch viel Militär eingesetzt war, hatten wir auch Kontakt mit den Soldaten. Ich respektiere, was diese tun, möchte ihre und unsere Dienste aber lieber nebeneinander stehen lassen. Ich will ja zivile Strukturen fördern, und das kann ich mit anderen Partnern und Organisationen eher, als mit dem Militär. Diskussionen über die Zusammenarbeit vor Ort werden aber unter Kollegen und innerhalb der Friedensdienste geführt. Es ist ja auch so, dass manchmal in Krisenregionen durch das Militär auch Gelder zu den lokalen NGOs verschoben werden. Dazu gibt es Diskussionen, sprich: Woher nehmen wir eigentlich unser Geld? Können wir es von überall her annehmen, so lange wir unsere Ziele damit umsetzen können? Oder gibt es Grenzen? Aber die Diskussion ist offen und wird sicher die nächsten Monate oder Jahre anhalten. Ebenso jene über die konkrete Zusammenarbeit. Was sicher auch ganz anders zu diskutieren ist, wenn gerade ein Krisenherd neu oder wieder eskaliert.