Zivilklage gegen Saudi-Arabien: Neue Vorwürfe wegen Unterstützung der 9/11-Anschläge

Bild: Kevinalbania/CC BY-SA-3.0

Saudische Botschaft soll bereits 1999 einen Testversuch ("dry run") für die Entführung von Flugzeugen finanziert oder auch beauftragt haben

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Der Kongress hatte im September des letzten Jahres ein Veto des damaligen US-Präsidenten Barack Obama gegen das Gesetz "Justice Against Sponsors of Terrorism Act" (JASTA) aufgehoben, um es Angehörigen der Anschlagsopfer zu ermöglichen, Ziviklagen wegen Terrorunterstützung gegen Staaten in den USA zu führen. Gemeint ist damit Saudi-Arabien. Dafür hatte sich auch der damalige Präsidentschaftskandidat und jetzige Präsident Donald Trump ausgesprochen, was er wegen seiner nun größeren Nähe zu Saudi-Arabien bedauern könnte.

Obama hatte zuvor sein Veto eingelegt, so seine Begründung, weil er fürchtete, dass das Gesetz, das die Immunität von saudischen Regierungsvertretern aufheben kann, gegen die USA gewendet werden könnte. Das ist allerdings nicht ganz abwegig, schließlich könnten anderen Staaten den USA oder Regierungsvertretern wie Geheimdienstmitarbeitern oder Soldaten ebenfalls vorwerfen, Terrorismus zu unterstützen. Die EU hatte auch von dem Gesetz abgeraten, die Wahrung der Immunität sei ein Kern der Diplomatie und ein Pfeiler des internationalen Rechts. Auch hier fürchtet man, dass andere Staaten mit dem Verweis auf den Präzedenzfall gegen die USA und ihre Nato-Verbündeten vorgehen könnten. Als das Gesetz eingeführt wurde, drohte Saudi-Arabien mit dem Verkauf von US-Staatsanleihen in Höhe von 750 Milliarden US-Dollar, ließ es aber dann doch sein.

Die erste Massenklage von Familienangehörigen und Versicherungen gegen Saudi-Arabien wurden 2003 eingereicht. Im März 2017 legten 1500 Menschen, die beim Anschlag verletzt wurden, und 850 Angehörige von Opfern am Manhattan Federal Court eine weitere Klage gegen Saudi-Arabien ein. Der Vorwurf lautet, die Monarchie habe "der al-Qaida-Terrororganisation materielle Unterstützung und Ressourcen zukommen lassen und die 9/11-Anschläge ermöglicht". Saudi-Arabien hat einen Antrag bei dem Bundesgericht in New York eingereicht, die Klage fallen zu lassen. Die Kläger haben bis November Zeit, darauf zu reagieren.

Saudi-Arabien stand von Anfang an im Verdacht, in die Anschlagspläne verwickelt zu sein oder zumindest die Attentäter gefördert zu haben. Nicht nur kamen 15 der 19 Selbstmordattentäter in den Flugzeugen aus Saudi-Arabien und gab es 2001 einen Konflikt über die Nahost-Politik zwischen beiden Staaten, es konnten auch einige Flugzeuge mit saudi-arabischen Staatsangehörigen, darunter auch Angehörige der bin Laden-Familie, nach den Anschlägen aus den USA ausfliegen, einige möglicherweise auch in der Zeit, als der Flugraum für Privatflugzeuge noch gesperrt war. 2004 war bestätigt worden, dass es sich um 162 saudische Staatsangehörige gehandelt hat, zwischen 14. und 24.9.2001 flogen weitere 142 Saudis mit gecharterten Maschinen in ihre Heimat.

Erst letztes Jahr wurden aus dem 9/11-Abschlussbericht die 28 Seiten über Saudi-Arabien veröffentlicht

Erst im Juli 2016 waren 28 Seiten über Saudi-Arabien vom Kongress freigegeben worden. Sie waren im Abschlussbericht der Kommission, der selbst erst ein Jahr nach seiner Fertigstellung veröffentlicht wurde, als geheim eingestuft worden, was viel Anlass zu Spekulationen bot. Hier gibt es weiter zahlreiche Schwärzungen, aber es wird gesagt, dass einige der Selbstmordattentäter Kontakte zu Personen hatten oder von diesen unterstützt wurden, die mit der saudischen Regierung verbunden sein könnten. Zudem wird die fehlende Kooperation seitens Saudi-Arabien bemängelt. Das FBI habe Informationen, dass zwei saudische Geheimdienstmitarbeiter mit im Spiel waren. Nach einem CIA-Memo sollen saudische Regierungsangehörige und Mitglieder der königlichen Familie al-Qaida finanziell unterstützt haben. Weder CIA noch FBI hätten jedoch Beweise liefern können.

Im Visier standen vor allem zwei Männer (Omar al-Bayoumi und Osama Bassnan), die von Saudi-Arabien bezahlt wurden (u.a. von der Frau von Bandar bin Sultan, dem damaligen Botschafter), vermutlich saudische Agenten waren und die vor den Anschlägen in San Diego ab 2000 im engen Kontakt mit Nawaf al-Hazmi and Khalid al-Mihdhar standen, die zu den Selbstmordattentätern gehörten. Sie nahmen in San Diego Flugstunden, hatten zuvor schon in Bosnien und Afghanistan gekämpft und waren mit al-Qaida verbunden, erhielten aber erstaunlicherweise Touristenvisas. Sie standen auch in Kontakt mit weiteren saudischen Agenten und Marineoffizieren. Die Kommission kam allerdings zu dem Schluss, dass es keine Beweise dafür gebe, dass die beiden Saudis wissentlich den beiden Terroristen geholfen hätten.

Stephen Cozen, dessen Anwaltskanzlei Cozen O'Connor die Schadensersatzklage gegen Saudi-Arabien führt, hatte bereits letztes Jahr erklärt, dass die Freigabe der 28 Seiten hilfreich gewesen sei. Hier stieß man offenbar auf die Spur von zwei weiteren saudischen Geheimagenten. Dem Gericht wurden neue Hinweise auf "ein Muster der finanziellen und operationalen Unterstützung" aus Saudi-Arabien vorgelegt, die belegen könnten, dass man dort schon spätestens 1999 mit Planungen und ersten Vorbereitungen begonnen haben könnte.

Die Rolle der als Studenten auftretenden saudischen Agenten al-Qudhaeein und al-Shalawi

Die New York Post zitiert Sean Carter, der für die Anwaltskanzlei die Anklage führt. Man habe nun weitere Belege dafür, dass es "lange und enge Beziehungen zwischen al-Qaida und den religiösen Teilen der saudischen Regierung" gebe, was man immer angenommen habe. Die neue Anklageschrift, die dem Gericht vorgelegt wurde, stützt sich auf die "28 Seiten" des Abschlussberichts und FBI-Dokumente. Nach diesen waren die angeblichen saudischen Studenten Mohammed al-Qudhaeein und Hamdan al-Shalawi in Wirklichkeit Mitglieder des "saudischen Agentennetzwerks in den USA".

Die beiden Männer waren bereits in al-Qaida-Camps in Afghanistan ausgebildet worden, wo sie auch einigen der 9/11-Selbstmordattentäter begegnet waren. Einer der beiden soll einen Monat vor den Anschlägen versucht haben, in die USA einzureisen, sei aber abgewiesen worden, weil er jetzt auf einer Terrorliste stand. Beide arbeiteten nach den Dokumenten für die saudische Regierung und standen in "häufigem Kontakt" mit saudischen Regierungsvertretern in den USA.

Die beiden als Studenten getarnten Agenten flogen, wie auch bereits in den "28 Seiten" geschildert wird, am 19. November 1999 nach Washington, um an einer Veranstaltung in der saudischen Botschaft teilzunehmen. Während des Flugs sollen sie mehrmals versucht haben, Zugang zum Cockpit zu erlangen. Das wird als Versuch - "dry run" - gesehen, die Sicherheitsvorkehrungen für die geplanten Entführungen der Flugzeuge zu testen. Diesen Testversuch könnte nach der Anwaltskanzlei von der saudischen Botschaft finanziert worden sein. Die Botschaft hat nämlich den Flug der beiden von Phoenix nach Washington bezahlt. In Phoenix hatten sie den Flugbegleitern bereits technische Fragen über den Flug gestellt, was diese verdächtig fanden, so das FBI. Als das Flugzeug bereits in der Luft war, fragte al-Qudhaeein, wo die Toilette sei. Eine der Stewardessen sagte, sie befinden sich hinten, der Mann sei aber dennoch nach vorne gegangen und habe zweimal versucht, die Tür zum Cockpit zu öffnen. Die Piloten seien vom aggressiven Verhalten der beiden Passagiere so verängstigt gewesen, dass sie eine Notlandung in Ohio machten, wo die beiden erst einmal festgenommen und verhört wurden. Dabei hatten sie gesagt, dass der Flug von der Botschaft bezahlt worden sei.

Das FBI verfolgte die Angelegenheit erst einmal nicht weiter, bis entdeckt wurde, dass ein Verdächtiger in einem Terrorismusfall das Auto von Shalawi fuhr. Daraufhin wurde gegen ihn eine Terrorismus-Untersuchung eingeleitet, wodurch man entdeckte, dass er in Afghanistan in einem Terrorcamp auf Anschläge trainiert worden war. Al-Qudhaeein galt dem FBI schon 2002 als saudischer Agent, der ähnlich wie Omar al-Bayoumi und Osama Bassnan häufiger Kontakte mit saudischen Regierungsvertretern hatte, kein regelmäßiges Einkommen bezog, aber Gelder von Saudi-Arabien erhielt. Im Abschlussbericht sind hier einige Passagen geschwärzt. Klar ist, dass das FBI in Phoenix bereits 2002 hier eine heiße Spur vermutete und der Zentrale mitteilte: "Phoenix FBI now believes both men were specifically attempting to test the security procedures of America West Airlines in preparation for and in furtherance of UBL/Al-Qaida operations."

Interessant ist auch, dass die beiden Agenten zu einem Treffen fuhren, das in der saudischen Botschaft in Zusammenarbeit mit dem Institute for Islamic and Arabic Sciences in America (IIASA) unter unter dem Vorsitz des Botschafters stattfand. IIASA wurde 2005 wegen Verbreitung von radikalislamischen Botschaften verboten. Dort war auch Anwar al-Awlaki als Vortragender aufgetreten, der wiederum einigen der Selbstmordattentäter half. Er setzte sich in den Jemen ab, wurde führendes Mitglied der dortigen al-Qaida-Zelle und richtete sich über das Internet an die Muslime in den westlichen Ländern, um sie zu Anschlägen aufzufordern. Er wurde dort von einer US-Drohne 2011 getötet. Mohammed al-Qudhaeein und Hamdan al-Shalawi hatten Jobs an der Imam Muhammad Ibn Saudi Islamic University, deren Ableger IIASA war.

Weiterhin viele Regierungsdokumente über saudische Terrorismusfinanzierung unter Verschluss

Nach Carter basieren die jetzt vorgelegten Vorwürfe gegen die saudische Botschaft, die den "Dry Run" finanziert hat, und anderen Aktivitäten Saudi-Arabiens auf 5000 Seiten von Dokumenten. Man habe jeden Bericht des FBI, den man erhalten konnte, ausgewertet. Aber es gebe noch hunderttausende Seiten an Regierungsdokumenten über mögliche saudische Terrorismusfinanzierung, die weiterhin unter Verschluss gehalten werden.

Und dann ist da auch noch Zacarias Moussaoui, der auch in einem al-Qaida-Camp war und 2001 in den USA Flugstunden nahm, sich aber so auffällig verhielt, dass er festgenommen und nach den 9/11-Anschlägen angeklagt wurde. Er gilt als der Entführer Nr. 20 und erhielt 2005 eine lebenslange Haftstrafe in dem Hochsicherheitsgefängnis von Florence, Colorado, wegen der Mithilfe zur Vorbereitung der Anschläge. Seit 2004 behauptet er, Mitarbeiter der saudischen Botschaft seien an der Planung der Anschläge beteiligt gewesen. Er selbst habe das Geld für die Flugstunden von einem saudischen Prinzen erhalten.

Bislang wurde Moussaoui als psychisch gestört abgetan, nach Veröffentlichung der "28 Seiten" erscheinen seine Behauptungen unter einem anderen Licht. Er hatte immer wieder angeboten, den "wirklichen Mastermind" zu benennen und das "doppelte Spiel" des saudischen Adels mit Osma Bin Laden aufzudecken. Im Januar schrieb er in einem Brief, dass er alles über den 9/11-Fall berichten will, selbst wenn er deswegen die Todesstrafe erhalten sollte. Unterschrieben hat er den Brief mit "Sklave Allahs".