Zoff in Erdogans Nato-Wartezimmer
Der Beitrittsprozess von Schweden und Finnland kommt nicht voran. Ankara stellt harte Bedingungen. Die provokante Aktion einer prokurdischen Gruppe in Stockholm brachte nun zusätzlich Konfliktstoff.
"Zuallererst müssen sie 130 Terroristen ausliefern, wenn ihre Anträge im Parlament bearbeitet werden sollen", schrieb der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor wenigen Tagen Schweden und Finnland ins Stammbuch.
Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin machte darauf aufmerksam, dass Stockholm und Helsinki sich in ihrem Nato-Beitrittsprozess vor dem Juni keine Hoffnungen machen sollten. Am 18. Juni findet in der Türkei die Präsidentschaftswahl statt, der Zusammenhang scheint offensichtlich.
Anspielung auf Mussolinis Ende
Neben Ungarn weigert sich bislang die Türkei, die im Juni 2022 gestellten Anträge der beiden Länder zu ratifizieren. Emotional aufgebracht reagierte das türkische Staatsoberhaupt zuletzt auf eine Puppe mit seinem Angesicht, die in der vergangenen Woche kopfüber vor dem Stockholmer Rathaus aufgehängt worden war.
Verantwortlich zeichnete sich das "Rojava-Kommitee", das sich für eine kurdische Autonomie in Nordsyrien starkmacht, einer Region, die auch von Erdogan beansprucht wird. Die Gruppe spielte mit der Aktion auf das Ende des Faschistenführers Benito Mussolini an, der kurz vor Kriegsende von Partisanen in Norditalien erschossen und an einer Tankstelle aufgehängt worden war.
Als Konsequenz ließ man in Ankara den schwedischen Botschafter einbestellen – ein Besuch des schwedischen Parlamentspräsidenten Andreas Norlén wurde unmittelbar abgesagt. Zwar verurteilten Premierminister Ulf Kristersson und Außenminister Tobias Billström wortreich die Tat, doch dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu genügte das nicht, er will die Schuldigen bestraft sehen. Der zuständige Staatsanwalt, Lucas Eriksson, erklärte jedoch, dass man keine Ermittlungen einleiten werde.
Ebenfalls kein Vorankommen brachte diese Woche auf den ersten Blick der Besuch Cavusoglus in Washington. Nach Angaben des Wall Street Journals vom 13. Januar wollte die Regierung den Verkauf von US-Kampfjets F-16 im Wert von 20 Milliarden US-Dollar von Ankaras Einwilligung für die Nato-Beitritte der beiden skandinavischen Länder abhängig machen.
Der türkische Außenpolitiker soll dem Vernehmen nach seinem Amtskollegen in Washington vermittelt haben, dass dies getrennt zu behandeln sei. US-Außenmninister Antony Blinken soll jedoch im Gespräch mit dem finnischen Amtskollegen Pekka Haavisto versprochen haben, weiterhin Druck auf die Türkei und Ungarn auszuüben. Der US-Kongress hat zur Türkei noch eine weit kritischere Haltung, seine Entscheidung steht noch aus.
Schwedens Premier sieht eigene Erfolgsgeschichte in Gefahr
Kristerssons Strategie ist es derweil, gegenüber Erdogan besonders verständnisvoll und entgegenkommend aufzutreten. Der Chef der wirtschaftsliberalen Partei "Die Moderaten", der seit Oktober mit einer bürgerlichen Minderheitsregierung in Schweden wirkt, und gerne nach außen den drahtigen Manager gibt, will unbedingt den Nato-Beitritt vorantreiben und zu seiner Erfolgsgeschichte machen. In der Aktion mit der Erdogan-Puppe sieht er eine "Sabotage" des Beitritts und eine "Gefährdung der Nationalen Sicherheit".
Die Differenzen mit der Türkei will er weglächeln. Schweden befinde sich "in einer guten Position" bezüglich der Verhandlungen, erklärte Kristersson am Dienstag in Straßburg. Die neuen Forderungen Erdogans würden überprüft. In den Medien Schwedens regt sich nun immer mehr Widerstand gegen diese Linie, aber auch Jimmie Akesson, der Chef der rechten Schwedendemokraten, echauffiert sich. Erdogan bezeichnet er als "islamistischen Diktator". Und auch zu Akesson hat Kristersson ein Abhängigkeitsverhältnis – die Rechten tolerieren die bürgerliche Minderheitsregierung im Parlament und mischen bei Regierungsentscheidungen mit.
In einer Sache zeiht Kristersson jedoch eine Grenze – Personen mit schwedischer Staatsangehörigkeit könnten nicht ausgeliefert werden. Auch will Schweden die Kriminalisierung kurdischer beziehungsweise prokurdischer Organisationen nicht eins zu eins übernehmen.
Die Türkei sieht die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die "Demokratischen Kräfte Syriens" (DFS) sowie die Gülen-Bewegung als terroristisch an, in der EU wird jedoch allein die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) so eingestuft.
Schweden wie Finnland sind vielen Forderungen der Türkei beim Nato-Gipfel Ende Juni im Madrid entgegengekommen, aber bis auf Ausnahmen nicht den Auslieferungsgesuchen, deren Anzahl ständig schwankt.
Stockholm versucht auch mittels einem "Terrorgesetz", das derzeit ausgearbeitet wird, den Beitritt wahrzumachen. Der schwedische Außenminister versprach bereits in der Türkei, dass das öffentliche Zeigen der PKK-Flagge in Schweden unter Strafe gestellt werde. Kritiker verweisen darauf, dass Schweden beginnt, sein Rechtssystem einem anderen Staat anzupassen.
Das skandinavische Land hat dank seiner bisher liberalen Asylpolitik etwa 100 000 kurdischstämmige Bewohner, die durch die Forderungen aus Ankara und das Auftreten Kristerssons beunruhigt sind.
Möglicher Strategiewechsel, wenn Finnlands Regierung abgelöst wird
Finnland agiert bislang gelassener. Außenminister Pekka Haavisto verwies vor allem darauf, dass die Türkei Finnland noch keine Auslieferungsliste geschickt habe. Ankara hat Helsinki bereits mehrfach signalisiert, das eigentliche Problem liege in Schweden. Bislang haben sich die skandinavischen Länder mehrfach gegenseitig versichert, den Beitrittsprozess gemeinsam zu durchlaufen.
Doch es steht eine Veränderung an. Die Mitte-Links-Koalition unter der Sozialdemokratin Sanna Marin können Anfang April Wahlen durch eine rechts-konservative Koalition abgelöst werden. Vor allem bei den "Basisfinnen" ist man nicht gewillt, weiterhin auf Schweden zu warten.