Zombies in der Kultur
Seite 2: Realität und Fiktion
Der Kriminalbiologe Mark Benecke gibt in einem Sammelband zu Zombies1 einige Beispiele aus der Realität. Manche davon klingen ziemlich banal2:
Leute, denen die Umwelt komplett egal wird und die nur noch triebhaft sind. In gewisser Weise handelt es sich um soziopathische Psychopathen. Das Motiv passt auch prima in die Postmoderne. Hier wird ja propagiert, dass nur noch ICH zähle. Als Beispiel braucht man sich ja nur mal die Saturn- und offensiver die Postbank-Reklame anschauen. Hier gilt das Motto: Das Einzige, was zählt, bin nur noch ICH, ICH, ICH … Geiz ist geil, weil ICH was davon habe. Überhöht würde das bedeuten, dass sich alle nur noch um sich selbst kümmern. Dann hätten wir eine Gesellschaft, die nur noch aus Zombies besteht.
Mark Benecke
Entsprechend könnte man Zombies als motivationsarme Kannibalen im urbanen Kontext bezeichnen. Der Psychopath, der ähnlich wie in Bret Easton Ellis' "American Psycho", zu Hause dem Konsum frönt und ab und zu vor die Tür schwankt, um den längst überfälligen (menschlichen) Leckerbissen zu erjagen.
Das wäre etwas zu einfach, doch selbst in der Kognitionsphilosophie, die das Bewusstsein und den Zusammenhang zwischen menschlichem Hirn und rationalem Verhalten untersucht, tauchen Zombies als Fallstudie auf (siehe Robert Kirk: Zombies and Consciousness, 2007). Wittgensteins paar Sätze zu den Filmmonstren liefern eine Steilvorlage für entsprechende Abhandlungen in der Philosophie.
Die Faszination für die Untoten als Gegenfolie des Menschen mag durchaus in der Menschenähnlichkeit liegen. Die scheinbare Immunität gegenüber Einwänden hängt mit dem Getriebensein zusammen. Vegetative Wesen, die allein den Selbsterhalt im Blick haben.
Besonders durch die Romero-Filme wurden Zombies vielleicht auch durch ihr Äußeres zu Vertretern des Lumpenproletariats. Eines Prekariats, das nichts mehr zu verlieren hat. Nicht mal das Leben, auch nicht den Tod. Denn es ist tot und lebendig zugleich. Seeßlen und Metz weisen darauf in ihrem Buch3 über Untote hin.
Es mehren sich die Aufsätze, die der Rolle der Zombies in Wirtschaft, Kultur und Politik nachgehen. Zombies als Gegenfolie des spätkapitalistisch geformten Menschen - der Überfall der Menschenfresser mit kurzer Halbverwesenszeit in Malls und Kaufhäusern taucht in mehreren Filmen auf. Dass ein menschenähnliches Wesen, dem der Tod ins Gesicht geschrieben steht, als Bedeutungsträger durch die Welt wankt, bietet ausreichend Identifikationsfläche.
Heinz Drügh widmet in seiner Schrift zur Ästhetik von Supermärkten4 ein ganzes Kapitel dem Treiben der Toten. Die Überlebenden sind auf das Eingeschlossensein in Warenhäusern angewiesen, da draußen die Meute der Zombies tobt und im videoüberwachten Kaufhaus die Verpflegung mit Lebensmitteln möglich ist.
Der "Konsumtempel" ist eine sichere Oase inmitten der Zombie-Apokalypse. Solange die Zombies nicht durch das Glas brechen, bleibt der Rückzugsort intakt. In Romeros Film "Dawn of the Dead" (1979) rückt ein ebensolches Kaufhaus in den Fokus der Handlung. Auch in der erfolgreichen TV-Serie "The Walking Dead" kommt es zu Begegnungen im Supermarkt.
Zombies als popkulturelle Figur werden immer dem Horrorgenre zugerechnet werden, wenn auch viele Filme dieses Genre transzendieren. So implizieren die Filme von Romero einen sozialkritischen Impetus. Zombies personifizieren die auch nach dem körperlichen Tod fortdauernde Massenbewegung. Posthuman könnte man es nennen. Wenn dieser Begriff nicht auch ein soziales Leben anspricht.
Ein Stück weit agieren Zombies untereinander sozial: Sie fallen sich nicht an, ja in einigen Filmen kooperieren sie, lernen dazu und können sich gegen Militär und Sicherheitskräfte behaupten. Das kommt meist jedoch auch durch die überwältigende Masse. Sie marschieren gemeinsam zur Futterstelle.
Wer kann sich einer solchen mobilen Leichenflut entgegen stemmen, wie sie in "World War Z" gezeigt wird?
Als Antwort wird gerne das Militär genannt. Dieses verfügt über Massenvernichtungswaffen, sprich: Mit diesen Waffen lassen sich schwankende Menschenmassen aufhalten. Ob die Welt, die durch einen massiven Militäreinsatz gegen Zombies entsteht, noch lebenswert ist, steht auf einem anderen Blatt. In einer Vielzahl von Werken wird vor allem das Überleben gezeigt.
Zombies werfen Menschen auf ihren Instinkt zurück: das möglichst effiziente Töten der Toten, die nicht tot liegen bleiben. Der Spiegel zeigt ein verwestes Gesicht und eine unkontrollierte Begierde nach lebenden Menschen. Er zeigt auch Neid, Begierden, Egoismus und Altruismus, Eigennutz und Gemeinwohl.
Und sicher zeigt Der Spiegel aus Hamburg wiederum die Ursachen, die Vertuschungen, die Krankheitsbilder, Viren oder Atomunfälle, die zur Zombie-Epidemie führten. Wenn die Zombieapokalypse der Realität entspräche, aber nach der Meinung einiger Politologen und Soziologen kann sie das durchaus.
Rüsten für den Ernstfall
Zombies tauchen inzwischen in Einsatzplänen auf. Die Möglichkeit einer Infektion, die sich in (postmortalem) Kannibalismus niederschlägt, wird für ein Worst-Case-Szenario eingeräumt. Ein US-amerikanisches Exposé nennt es "zombie behavior spectrum disorder" oder abgekürzt ZBSD.
Daniel W. Drezner analysiert anhand von Filmen und Büchern, welche Rolle die Bürokratie in einem solchen Ernstfall übernimmt. Die Bewertung fällt nicht besonders gut aus.
Whether bureaucracies can adapt to an army of the undead is an open question. The zombie canon is deeply skeptical about the ability of brainless bureaucrats to handle a problem as deadly as the undead.
Daniel W. Drezner
Man muss zugeben, dass der Ausbruch einer Zombie-Epidemie bislang eher unwahrscheinlich scheint. Die Zombies bieten, so der Eindruck bei der Lektüre von Drezners Ausführungen, eine willkommene Projektionsfläche für das Fremde, das Noch-Menschliche, aber aus der sozialen Gemeinschaft Ausgeschlossene. Er führt folglich Non-Governmental-Organizations an, die sich für die Rechte der Zombies einsetzen.
Eine solche Maßnahme widerspricht der Gefahr, die von fleischfressenden Untoten ausgeht. Bislang sind solche Szenarios hypothetisch, können aber bereits die Bevölkerung auf eine Militarisierung und Paramilitarisierung vorbereiten.
Jedoch verhält sich das Militär in den Zombie-Werken eher suboptimal. In "World War Z" zum Beispiel wird die knöcherne Militärdisziplin bemängelt, wenn es um die Bekämpfung eines Feindes geht, der längst tot ist und Menschen anfällt, auffrisst und zerreißt.
Das sind Dimensionen, die herkömmliche Kriegsführung überschreiten. Zombie-Ausbrüche reißen Grenzen nieder, körperliche Gewalt wird sinnlos. Kriminologen verzweifeln angesichts der Zombie-Massen - sie fressen ohne Unterschied die noch lebenden Menschen. Kriminalistisch nachvollziehbare Motive lösen sich im tödlichen Biss der hirnlosen Masse auf.
Nicht von ungefähr ist einer der Protagonisten in der inzwischen sehr erfolgreichen TV-Serie "The Walking Dead" ein Polizist, der die Survival-Gruppe anführt. Das Töten von untoten Menschen ist kein Straftatbestand. Zumindest in der TV-Serie. Wenn die Zivilisation zerbrochen ist, dann erübrigen sich auch moralische und ethische Standards. Das Gesetz ist man selbst.
Es gibt immer mehrere Zombies
Wenn NGOs auftauchen, die ein "Menschlichsein", ein "Humanum" in den Zombies wahrnehmen oder postulieren oder meinen, es erkennen zu können, dann könnte eine politische Order ausgegeben werden: Keine Zombies töten, fangt sie ein, legt sie in Ketten und beginnt mit der Rückführung zum (sozialen) Leben. Diese Idee zeigt sich z.B. in Altmeister Romeros Film "Survival of the Dead" aus dem Jahr 2009.
Es gibt immer mehrere Zombies, auch wenn nur einer von ihnen zu sehen oder zu hören ist. Vergleiche zu Elias Canettis Schrift "Masse und Macht" fallen ein. Die Parallelen zwischen Menschen in der Masse und Zombies scheinen vor allem im Bewegungsdrang auf. Zombies wie auch Menschen in der Masse behindern sich gegenseitig im Vorankommen. Zugleich gewinnen sie durch die Masse ihre Macht.
Eine Flut der Zweibeiner ergießt sich über die Infrastruktur. Über die Geschwindigkeit der Zombies herrscht längst keine Einigkeit mehr. Da die Zombies bislang in der klassischen Form nicht in der Realität auftauchen, beschränkt sich ihr (Un-)Wesen hauptsächlich auf die Fiktion. Mit jedem neuen Zombie-Film oder -Buch kann der klassische Zombie neue Eigenschaften erhalten. In der Realität lässt sich das nicht überprüfen.
So eignet sich die Bezeichnung "Zombies" auch zur Diffamierung gewisser Gruppen. Die Beschimpfung als Zombie weist in die Fiktion zurück. Der Verleumder könnte stets sagen: Ach, Zombie ist doch nicht schlimm, die gibt es doch gar nicht! (Meint damit aber, dass es den als Zombie Diskriminierten besser auch nicht geben solle und durch den impliziten Verweis auf die Fiktion drückt er durch die Bezeichnung der diskriminierten Gruppe aus, dass die so Bezeichneten durch Methoden der Filme - also: straffreies Töten - ebenso ausgeräumt werden könnten.)