Zombies in der Kultur

Seite 4: Medien-Kannibalismus oder Mondo Cane

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vielleicht verstellt der Blick auf die Zombiefilmtradition die kolonialistische Tradition, aus der sich die Zombiefigur herausgeschält hat. Der Kunsthistoriker John Cussans geht in seinem aktuellen Buch "Undead Uprising. Haiti, Horror and the Zombie Complex" auf den Ursprung dessen ein, was er "Zombie Complex" nennt.

Auf Haiti wurde der Zombie aus dem Glaubenssystem der verschleppten afrikanischen Sklaven entwickelt. Cussans argumentiert, dass der Voodooglauben mit der Vorstellung der "Zombifizierung" von Menschen zu willenlosen Wesen bewusst einseitig interpretiert wurde, um Haiti jede politische Glaubwürdigkeit und Souveränität abzusprechen. Haiti galt damals als Hort des Aberglaubens und der übernatürlichen, zugleich primitiven Rituale. Diese mediale Verzerrung existiert bis heute noch, wie Cussans im Interview ausführt.

Dieser Nebenstrang des Primitivismus findet sich in so genannten Exploitationfilmen, wie zum Beispiel "Cannibal Holocaust" (1980) des Regisseurs Ruggero Deodato. Die Expedition dringt in unerforschtes Gebiet vor und präsentiert sich dann in stereotyper westlicher Arroganz. Das Journalistenteam ist sich nicht zu schade, für ihren TV-Bericht Ereignisse zu manipulieren. Gewaltexzesse sind wesentlicher Bestandteil der inszenierten Dokumentation.

Der Film spielt mit dem Gedanken einer Reportage und dass der Zuschauer zu Hause Zeuge eines dokumentarischen Zugriffs wird. Die Filmkamera wird ohne Vermittlung mit der Journalisten-Cam kurzgeschaltet - soweit jedenfalls die Fiktion hinter "Cannibal Holocaust".

Ähnlich agiert ein ebenfalls zu großen Teilen in Italien produziertes Filmgenre namens "Mondo Cane", was der Titel des ersten Films der Regisseure Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi und Paolo Cavara war und dann stilbezeichnend für eine ganze Reihe von Krypto-Dokumentarfilmen wurde (Mondo genannt). Zu einem Thema werden verschiedene, möglichst spektakuläre Aufnahmen zusammengefasst. Wörtlich heißt der Titel "Hundewelt", im übertragenen Sinne "verfluchte Welt".

Dokumentation der Zombifizierung der Gesellschaft

Vorstellbar wäre eine Dokumentation der Zombifizierung der Gesellschaft: Der Film beginnt mit Aufnahmen von Bussen und Bahnen, den Pendlern, die ausdruckslosen Gesichter, schlapp und noch müde. Dann Aufnahmen, die heute nicht mehr gezeigt werden können: Menschen fressen Menschen.

Wilde Musik im Hintergrund. Eine Nachrichtensendung im Anschluss - dort spricht die Verbrauchsministerin, dass nur gesunde Nahrung Leben retten könne. Die Filmer schneiden drastische Szenen von Schusswechseln, Flashmobs, Massenflucht und Panik ein. Zwischendrin Massenpanik auf einer Hühnerfarm.

Eine Karnevalsgruppe zieht den Wagen durch Starkregen. Durch den Wust aus Nebel, Gischt und Alkoholdünste nimmt man modellierte halbzerfressene Gesichter wahr: die Zombietruppe! Jede Kamera richtet sich auf den Zeremonienmeister: Er hält keine Büttelrede, er stöhnt und bellt Befehle an die Meute. Zombie-Apokalypse auf der Leinwand. Das Mondo-Format hat immer wieder - ob per Zufall oder nicht - eine Filmkamera vor der Kamera. Der Film über das Filmen, auf der Suche nach dem nächsten Schuss.

Die Mondo-Filme transportieren das Dilemma der Zombies in die Bahnhofskinos und VHS-Träume plakativ rebellischer Jugendlicher: Der Kolonialismus bekommt einen neuen Anstrich und fertig ist der Exoten-Cocktail. Die kritische Haltung zu kolonialistischen oder neokolonialen Ansichten weicht der Faszination am exotischen Inhalt. Zombies als Nervenkitzel für den Feierabend. Die Untoten als amüsanter (Zerr-)Spiegel der eigenen Unkultur. Als versteckte nihilistische Befriedigung - die Fernbedienung als Zauberstab, mit dem der Zuschauer die Monsterhorden dirigiert.

Ob nicht jeder Zombiefilm bis zu einem gewissen Grad ein Spiegel der Medien ist. TV scheint im Zombiekanon das einzig noch funktionierende Warnsystem zu sein. Wo liegt die Sendezentrale? Wer kontrolliert die Übertragung? Ist es sicher vor dem Menschenfressermob?

Kaum ein Filmgenre dürfte noch übrig sein, das inzwischen nicht zombifiziert wurde. Das mag vielen Zombie-Traditionalisten sauer aufstoßen, im Falle der gelungenen Zombie-Mockumentary "American Zombie" sollten aber auch die weniger flexiblen Filmegucker mal eine Ausnahme machen.

The Ultimate Virus Book of Zombies

Wenn die Zombifizierung durch einen Virus verursacht wird, dann könnten nicht nur Menschen davon betroffen sein. Es könnten auch Datenbanken befallen werden. Wenn die Zombies durch die Städte und übers Land wüten, zerfällt die technologische Welt.

Das letzte Bild

Der Überlebensinstinkt sensibilisiert für eine Welt, in der die Infrastruktur durch Improvisation ersetzt wird. Die Werke der Zombie-Kultur sind erfüllt von Survival-Stories. Der Schatten des Wildwestfilms oder der vortechnologischen Welt, als Menschen noch wussten, wie jagen und wie sich verteidigen gegen die Bestien aus der Wildnis.

Wenn es keine wahrnehmenden Wesen mehr gebe, wer sollte diese Stories hören, schauen und lesen? Das Reden über die Zombies, über die Flucht vor ihnen und die Gefahr der Infektion wäre ohne Übertragung sinnlos. Der Kameramann muss bis zum bitteren Ende durchstehen!

Das letzte Bild könnte das überraschte Auge des Zombies sein, der bereits den Filmer fressen wollte, doch nur die Linse zu sehen bekommt, als ihm der Tonassistent das Richtmikrofon durchs Herz stößt. Ein lauter Knacks, ein Testbild wird eingespielt. "Wir entschuldigen die Störung. Wir sind gleich wieder für Sie da. Die Gefahr dauert an. Bitte verlassen Sie nicht Ihre Wohnungen". (Denn da warten Flachbildschirme auf den nächsten medial überbrachten Thrill.) Eine Endlosschleife, die nicht mal der Tod unterbricht.

Literatur

Buttgereit, Jörg: Besonders wertlos. Filmtexte, Berlin 2015.

Cussans, John: Undead Uprising. Haiti, Horror and the Voodoo-Complex, London 2017.

Drezner, Daniel W.: Theories of International Politics and Zombies, Princeton et al. 2011.

Drügh, Heinz: Ästhetik des Supermarkts, Konstanz 2015

Fischer-Hornung, Dorothea und Monika Mueller (ed.): Vampires and Zombies. Transcultural Migrations and Transnational Interpretations, Jackson 2016

Fürst, Michael, Florian Krautkrämer und Serjoscha Wiemer (Hg.): Untot. Zombie Film Theorie, München 2011

Kirk, Robert: Zombies and Consciousness, Oxford 2007

Metz, Markus und Georg Seeßlen (Hg.): Wir Untote! Über Posthumane, Botox-Monster und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction, Berlin 2012

Rath, Gudrun (Hg.): Zombies. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1 (2014), Bielefeld

The Ultimate Virus Book of Zombies, Projektleitung: Marcus Menold, Frankfurt am Main 2015