Zu gut inszeniert, um ein bloßer Zufall zu sein

Wie die rechtsextreme Szene den Fall des in Potsdam zusammengeschlagenen Deutsch-Äthiopiers sieht

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"Wenn aus einem Raubüberfall Rassismus wird" (Freier Widerstand), "die Stunde der Heuchler" (NPD) oder der "Fall des äthiopischen Negers (droht) zu einer Systemblamage á la Sebnitz zu werden" (Störtebeker-Netz) – nicht nur Politiker und Ermittler diskutieren den Fall des an Ostern in Potsdam brutal zusammengeschlagenen Deutsch-Äthiopiers. Auch die rechtsextreme Szene müht sich redlich ab, via Pressemitteilungen, Internet-Portalen und Foren ihre Sicht der Dinge darzustellen. Kernaussagen dabei: Man solle nicht so ein Aufsehen wegen der Tat machen, denn die Medien nutzten diese nur, um Neonazis wieder ins schlechte Licht zu rücken. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird indes hie und da gelobt, denn er hatte schließlich daran erinnert, dass auch "blonde, blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten" würden.

Jenem Argument, das Schäuble erstaunlicherweise am 20. April – in bestimmten Kreisen übrigens "Führers Geburtstag" – via Deutschlandradio kundgetan hatte, stimmte zumindest die NPD einen Tag später indirekt zu. Unter der Überschrift "Gewalt gegen jungen Deutschen" beklagte die Partei am 21. April im Zuge der "Hysterie wegen des Überfalls in Potsdam" auf ihrer Homepage lieber den Fall des "16 Jahre alten Oberschülers Cornelius aus dem Berliner Bezirk Spandau". Er wurde laut NPD schon mehrfach von Ausländern verprügelt oder beraubt. "Um diesen jungen Mann kümmert sich niemand", jammerte die NPD – stellte indes dem widersprechend auch fest: "Cornelius wurde schon einmal von türkischen Mitschülern zusammengeschlagen. Die Polizei konnte damals die Täter schnell fassen (...). Der Rektor seiner Schule jedoch forderte ihn auf, seine Anzeige zurückzunehmen, es könnte zu unangenehmen Anfeindungen gegen ausländische Schüler kommen."

In einer sich nur auf den aktuellen Potsdamer Übergriff beziehenden Veröffentlichung zur "Stunde der Heuchler" fachsimpelte die NPD ebenso am 21. April von einem "vermeintliche(n) Verbrechen an Ermyas M.", von dem man "fast" meinen könne, dass es nur "inszeniert wurde" – und das von möglicherweise "skrupellos(en)" Leuten, "die jetzt Krokodilstränen vergießen". Auf jeden Fall aber komme "der Übergriff (...) den Enthusiasten der multikulturellen Gesellschaft sehr gelegen, um gegen deren politische Gegner massiv Stimmung zu machen."

Warum aber schlugen die Täter zu? Die NPD antwortete mit einer Forderung: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "sollte in Sachen Zuwanderung die Weichen anders stellen (...). Der brutale Übergriff (...) wäre eine gute Gelegenheit, selbstkritisch die eigenen Versäumnisse (in der Ausländerpolitik) aufzuarbeiten", findet die NPD. Den bekannten NPD-Wahlwerbeslogan gegen Ausländer – "Gute Heimreise" – verpackte die Partei also diesmal ein wenig kreativer als üblich. Am 26. April schob die Mutterpartei auf ihrer Homepage zudem eine Erklärung des eigenen Jugendverbandes "Junge Nationaldemokraten" (JN) nach, der in der Berichterstattung über die Gewalttat eine "Hetzjagd" gegen "nationalistische Kräfte" witterte. Man verurteile überdies, hieß es etwas gestelzt, "Gewalt gegen zivile Personen in jeder Form". Die "Tat von Potsdam, gleich wer die Täter waren, (verurteile man) als verbrecherische und jeder menschlichen Regung bare Handlung", teilte die JN weiter mit.

Verschwörung aus Politik, Medien und Opfer

Eines der wichtigsten Info-Portale der Neonazi-Szene, das Störtebeker-Netz, veröffentlichte am 20. April ebenso wie das Quasi-Schwester-Portal Altermedia unter der Überschrift "Abt. Negerkuss – (...) Negerkeile in Potsdam" eine Stellungnahme des "Nationalen Beobachters Wernigerode". Schon hier fand sich der erst später auch von der NPD/JN artikulierte Vorwurf, dass die Medien "endlich" wieder einen neuen "Fall" hätten, um "frei denkenden Bürger (Rechte genannt) damit zu verunglimpfen". In Frage wurde gestellt, ob es überhaupt eine ausländerfeindliche Tat sei, immerhin habe das Opfer äthiopischer Herkunft einen deutschen Pass:

"Wie kann es sich aber um eine 'ausländerfeindliche' Tat handeln, wenn das Opfer ein Deutscher ist? Die Medien müssen sich schon entscheiden, ob die Eingebürgerten nun Deutsche oder Ausländer sind. Eins geht ja wohl nur. Wenn eingebürgerte Ausländer hier Straftaten begehen, sind in den Medien und in den Statistiken dann Deutsche Täter. Wenn diese nun aber selber mal zum Opfer werden, dann sind es wieder Ausländer? Wie denn nun? Wir wollen hiermit nicht dem Opfer zu nahe treten, aber hier scheint das Opfer für medienwirksame Meinungsmache missbraucht zu werden!"

Das Störtebeker-Netz hatte schon am 18. April die Frage aufgeworfen, nachdem erste Meldungen über die Alkoholisierung von Opfer oder Täter die Runde machten: "Auf Schnaps-Safari in Potsdam? – Keilerei zwischen Jugendlichen und äthiopischem Passdeutschen zum Skandal aufgebauscht." Der Fall diene wohl dazu "auf volkspädagogische Weise (...) bestimmte politische Richtungen in Deutschland öffentlich zu diskreditieren", mutmaßte das Neonazi-Portal. Über Bundesinnenminister Schäubles Worte, die Sicherheitsbehörden duldeten keine Gewaltübergriffe, schrieb das Portal am 20. April gewohnt sarkastisch: "Nicht minder laut mit dem Sheriffstern rasselt auch der Quotenkrüppel der großen Koalition, Wolfgang Schäuble." Am 22. April mäßigte sich das Störtebeker-Netz etwas, zumindest im Tonfall: "die Berufs- und Gewohnheitsbetroffenen-Mafia" habe "in den vergangenen Tagen wieder einmal eifrig Kapital (geschlagen) aus einem gewöhnlichen Kriminalfall, den man aus politischen Gründen zu einem Staatsverbrechen umfunktioniert hatte".

Im Forum des "Freien Widerstands" (FW) – u.a. aus dem Umfeld führender Köpfe der "freien Kameradschaften" – wurde bemängelt, die "selektiven Lügenmedien" (Operation-Eisenfaust) nutzten die Gewalttat, um gegen Rechtsextreme zu wettern. Dass die mutmaßlichen Täter selbst Rechtsextremisten seien oder Kontakte zur Szene hätten, wurde angezweifelt: "Ein paar Volldeppen ziehen eine progressive deutsche Bewegung mit undifferenzierten Aktionen in den Moloch von Mord und Hass" (tiktak). Eine Verschwörung aus Politik, Medien und Opfer sah indes ein "Ostwestfale" am Werk: "Kann das sein, dass demnächst irgendwelche Wahlen anstehen (...) und kann es sein, dass bei Umfragen die nationalen Parteien ganz gut da stehen?" Der bekannte Hamburger Neonazi Christian Worch, der im FW unter seinem Namen postet, machte sich derweil seinen eigenen Reim darauf, warum Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen an sich gerissen hat: "Der Mann scheidet Ende Mai aus dem Amt. Vielleicht will er sich einfach vorher noch mal profilieren?"

Spekulationen über eine Verschwörung aus Politik, Medien und Justiz fand man auch in anderen, teils wichtigen Foren der braunen Szene. Zwar distanzieren sich einige Autoren hier auch von der Tat und die meisten Beiträge lesen sich nicht allzu stumpf. Dennoch herrschen auch ein rauerer Ton und ein ungewohnter Klartext vor. Da wurde etwa im Forum aus dem Umfeld eines Rechtsrock-Händlers kritisiert, dass alle über das arme Opfer jammerten. Aber ebenso wurde festgestellt in diesem Zusammenhang: "Und der Affe ist ja noch nicht mal tot."

Offene Worte mochte auch dieser Autor in einem anderen Szene-Forum: "Meine Güte, da is einer von denen beinah gestorben. Na und!! Als hätten wir net genügend von denen!" Im Forum einer bekannten Rechtsrock-Band lästerte eine junge Frau: "Im Fernsehen wurde auch gesagt, dass die zwei, die die Tat begangen haben, den dunkle Gestalt mit Grüß Gott und anderen rechtsextremen Parolen provoziert haben sollen." Bekanntlich sollen die Täter "Scheiß Nigger" gesagt haben. Ein Schreiber fand in einem anderen Forum, Anführungszeichen übrigens im Original: "Man kann solche 'Menschen' doch auch anders los werden. Nicht gleich zusammenschlagen oder gar töten." Letzte Skrupel, die ein Kommentarschreiber an anderer Stelle indes längst abhanden gekommen zu sein scheint: "Ey, mal ohne scheiß... Womit haben die den zusammen geschlagen?? MIT RECHT!"

(Foren-Beiträge wurden teils korrigiert, andere Zitate der neuen Rechtsschreibung angepasst.)