Zuerst die ganz Bösen, dann die weniger Bösen
US-Regierung will das Programm zur Kontrolle von Flugpassagieren CAPPS II nun auch auf andere Personengruppen als Terrorverdächtige ausweiten, dafür aber die Datenmenge einschränken
Die Logik bei der Ausweitung staatlicher Überwachungsmöglichkeiten ist vermutlich in etwa immer dieselbe. Zunächst werden diese mitsamt der dazu notwendigen Einschränkung der Bürgerrechte in Form einer Ausnahmeregelung für eine gerade aktuelle, besonders gefährliche Bedrohung durchgesetzte. Sind die erweiterten Möglichkeiten dann einmal rechtlich und technisch vorhanden, so liegt es doch nahe, sie auch auf andere Bereiche oder Personengruppen auszudehnen. Just das geschieht in den USA gerade wieder einmal mit dem Überwachungssystem CAPPS II, mit dem potenzielle Terroristen identifiziert werden sollten. Dafür sollen aber weniger Daten für kürzere Zeit gesammelt und gespeichert werden.
1999 wurde das Programm CAPPS (Computer Assisted Passenger Pre-screening System) in den USA eingeführt. Es war dazu gedacht, Verdächtige mit Daten herauszugreifen, die die Fluggesellschaften gesammelt haben, um ihr Gepäck zu untersuchen. Bei zweien der Flugzeugentführer vom 11.9. hatte CAPPS zwar einen Hinweis gegeben, das führte aber nicht zu einer genaueren Untersuchung. Zumindest seit Oktober 2002 wurde offiziell von der US-Regierung die Existenz einer Flugpassagierliste eingeräumt, die schon seit 1990 geführt wird. Hier gibt es für bestimmte Personen ein Flugverbot, andere Passagiere müssen genauer durchsucht werden. Nach dem 11. September wurde die Liste schnell und stetig erweitert. Die Kriterien, nach denen Personen auf diese Liste gesetzt werden, sind nicht bekannt. Angeblich diente sie auch schon dazu, missliebigen politischen Aktivisten das Leben zu erschweren.
Nach dem 11.9. wurde CAPPS II von der amerikanischen Regierung beschlossen, das wesentlich mehr Daten der Flugpassagiere erfasst. Jetzt werden die Daten der Flugzeuggesellschaften (Namen, Adressen, Geburtsdaten und Telefonnummern der Flugreisenden) durch die Daten von Kreditkartenunternehmen und Strafverfolgungsbehörden ergänzt, um so über Reiseverhalten, Vorstrafen oder Kreditinformationen ein Profil zu erstellen. Die Daten sollen über Jahrzehnte gespeichert werden. Die Informationen über die wirtschaftliche Situation und die demographischen Daten sollten etwa erkennen lassen, ob jemand in seiner "community" verwurzelt ist. Entsprechend ihrem vermeintlichem Risikopotenzial wird den Flugreisenden schon vor dem Abflug eine Farbe (grün, gelb und rot) zugewiesen. Gelb bedeutet, dass eine Durchsuchung erfordert wird; rot bedeutet Flugverbot. Schon jetzt müssen auch europäische Fluggesellschaften dem US-Zoll Zugriff auf ihre Passagierdaten gewähren und werden so in das Überwachungssystem auch mit Daten integriert, die nach europäischem Recht dem Datenschutz unterliegen.
Die Einführung der für dieses Jahr bei der Fluggesellschaft Delta Airlines vorgesehenen Pilotversion CAPPS II wurde bislang erst einmal aufgehalten, nachdem der Wirtschaftsausschuss des Senats im März eine Überprüfung der Folgen für die Privacy gefordert hatte. Da die Kriterien für die Profilierung der Flugreisenden nicht bekannt sind, haben inzwischen Bürgerrechtsorganisationen eine Klage gegen die US-Regierung eingereicht, um mehr Informationen über CAPPS II zu erhalten. CAPPS II hat durchaus große Ähnlichkeiten mit dem vom Pentagon geplanten Terrorist Information Awareness System (Weltweites Schnüffelsystem), möglicherweise dient dieses umstrittene System als Grundlage für CAPPS II (Das Pentagon darf doch keine Wetten auf Terroranschläge veranstalten).
Das vom neuen Heimatschutzministerium entwickelte Programm sollte zunächst nur gegen verdächtige Terroristen und ihre Helfer eingesetzt werden und so das Spektrum der Überwachten einschränken. Jetzt wurde ein neuer Vorschlag in einem Dokument bekannt, das von Tom Ridge, dem Heimatschutzminister, unterschrieben und vom Weißen Haus überprüft worden ist. Nach diesem Dokument soll die Gruppe der Verdächtigen erweitert werden, die für Flugzeuge gefährlich werden könnten, was auch Kriminelle oder heimische Terroristen, also auch politische Aktivisten, einschließen könnte. Die Informationen sollen dem Heimatschutzministerium und den Strafverfolgungsbehörden zugehen, die im Bedarfsfall entsprechend handeln sollen. CAPPS II könnte sich auch als die Mutter aller umfassenden Überwachungssysteme erweisen, denn im Gespräch ist auch, das Programm nicht nur bei Flugreisenden, sondern auch auf andere Personengruppen auszudehnen, beispielsweise Lastwagenfahrer oder Personen, die bei der Eisenbahn arbeiten.
Vermutlich werden auch, um diese Veränderung gegenüber den Kritikern schmackhafter zu machen, gleichzeitig Einschränkungen vorgenommen. So sollen Daten erst wenige Stunden vor einem Flug gesammelt und nur bis zu wenigen Tagen nach Beendigung des Flugs gespeichert werden. Zuvor war an eine Aufbewahrung der Daten für 50 Jahre gedacht worden. Angeblich sollen nun auch keine Kreditdaten und medizinische Informationen verwendet werden. Über CAPPS II soll jedoch eine landesweite Suche aufgrund der Liste ermöglicht werden. Nuala O'Connor Kelly, beim Heimatschutzministerium zuständig für Privacy. sprach von "einer dynamischen Zielverfolgung in Echtzeit". Einzelheiten über die Funktionsweise von CAPPS II wurden aber nicht bekannt gegeben. Das Programm soll noch in diesem Sommer getestet und dann möglicherweise bereits im Herbst eingesetzt werden.
David Sobel vom Electronic Privacy Information Center (EPIC) fürchtet, dass CAPPS II zu einem umfassenden Strafverfolgungsprogramm werden könne und "die Tür für invasive Hindergrundüberprüfungen aller Bürger" öffne. James X. Dempsey vom Center for Democracy and Technology (CDT warnt, der neue Vorstoß zeige, dass die Behörden stets versuchen würden, die Überwachungsmöglichkeiten zu erweitern: "Das System ist noch nicht einmal gestartet und sie denken bereits über andere Einsatzmöglichkeiten nach." Bedenken wurden auch laut, dass CAPPS II sich gut dafür eigne, Wirtschaftsspionage zu betreiben.