Das Pentagon darf doch keine Wetten auf Terroranschläge veranstalten
Die Zeiten haben sich mit beginnendem Wahlkampf verändert: Kaum wurde das Börsenprojekt zur Vorhersage von Risiken publik, wurde es auch - wahrscheinlich - schon eingestellt
Manchmal wird schnell reagiert. Kaum wurde scharfe Kritik am makabren Programm des Pentagon publik, bei dem am Freitag eine Future-Börse für Terrorwetteinsätze gestartet werden sollte, um bessere Warnungen zu erhalten (Future-Börse für Terroranschläge), scheint sie zumindest schon wieder gestorben zu sein. Mindestens 800.000 US-Dollar für die Software in den Sand gesetzt. Der Darpa-Abteilung Terrorist Information Awareness (TIA) sei halt ein wenig die Fantasie durchgegangen, meinte Vizeverteidigungsminister Wolfowitz dazu. Jetzt muss man im Pentagon auf eine wertvolle Informationsquelle zur Vorhersage und Verhinderung von Terroranschlägen verzichten, zumindest bis man eine neue Idee entwickelt oder eine andere Finanzierungsmöglichkeit findet.
Eigentlich war man bei der TIA-Abteilung auch wirklich innovativ. Wenn sich schon über Wetteinsätze auf Ereignisse in der Zukunft wie der Ausgang von Wahlen relativ gute Voraussagen erzielen ließen, dann könnte dies doch bei der Vorhersage von Terroranschlägen oder anderen Sicherheitsrisiken auch der Fall sein, dachte man sich bei der Darpa. TIA-Leiter Poindexter hatte ja seinerzeit schon anderes möglich gemacht.
Trotz des Verbots des Kongresses unter Präsident Reagan und Vizepräsident Bush lieferte er zusammen mit Oliver North Waffen an den Ajatollah-Iran, um amerikanische Geiseln zu befreien, mit dem Geld aus den Verkäufen unterstützte man die Rebellen - heute müssten sie eigentlich Terroristen heißen -, die gegen das linke Regime in Nicaragua kämpften. Dass ausgerechnet Poindexter von Bush jun. im Zeichen der Terrorbekämpfung wieder eine nicht unbedeutende Stelle im Verteidigungsministerium erhalten hat, dürfte Grund zum Spekulieren geben. Angeblich wurde er wegen seiner Verdienste fürs Vaterland, vielleicht auch für den Bush-Vater, ernannt. Poindexter wurde seiner Zeit wegen Falschaussagen verurteilt, dann aber wieder frei auf durchsichtige Weise gesprochen, weil er doch eine Aussage machte, aber vermutlich Reagan und Bush deckte (Aufklärung über die Aufklärer).
Einsichtig schien das Projekt schon zu sein, nachdem die Geheimdienste sowohl beim 11.9. als auch hinsichtlich der Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen Irak derart versagt haben, zumindest haben sie bei letzteren nicht geboten, was das Weiße Haus gerne haben wollte. Das Börsenspiel mit echtem Geld, das aus der Masse der auf der ganzen Welt stammenden Investoren so etwas wie eine kollektive Intelligenz entstehen lassen sollte, machte auch deswegen noch Sinn, weil man damit auch die Folgen der amerikanischen Politik mit ihren Interventionen im Nahen Osten abschätzen wollte. Möglicherweise hat man im Pentagon oder gar im Weißen Haus eingesehen, dass man zwar den Irak-Krieg gut über die Bühne brachte, aber dann ziemlich hilflos mit dem befreiten Land dastand.
Wie auch immer, in Zeiten des beginnenden Wahlkampfes kam die "Future-Börse des Todes", wie Senatorin Hillary Clinton das Projekt nannte, der Regierung und den Republikanern nicht gelegen, während die für die Demokraten ein gefundenes Fresse war, zumal das Projekt ja durchaus makabre oder gar zynische Züge hatte, wenn derjenige, der einen Anschlag prophezeit, bei dessen Eintritt Geld erhält (auch wenn dies im wirklichen Leben ganz genau so funktioniert). Auch der Demokrat Monday fand ein treffende Bezeichnung: "staatlich gefördertes Terrorismus-Glücksspiel". Andere fanden die Idee erbärmlich dumm oder grotesk. Die Empörung loderte auf, die weiteren Pläne, deren Beginn der Future-Markt Policy Analysis Market, kam daher gar nicht mehr in den Blick.
John Warner, der Leiter des Senate Armed Services Committee, setzte sich, wie die New York Times berichtet, gestern gleich ans Telefon und rief den Darpa-Direktor an. Man "vereinbarte", das Projekt sofort zu stoppen. Das scheint auch so zu sein, denn die Inhalte der Projekt-Website wurden bereits vom Netz genommen.
Ob damit auch FutureMAP insgesamt beendet werden soll, wurde offenbar nicht erörtert. Immerhin dürfte die Unterstützung für das TIA.-Programm weiter schwinden. Wurde zunächst verboten, dass das Data-Mining-Programm auch auf Amerikaner werden darf, so hatte der Senat vor kurzem auch beschlossen, die Finanzierung für das Gesamtprojekt einzustellen. Wie das Repräsentantenhaus entscheiden wird, steht noch offen, der demokratische Senatsabgeordnete Ron Wyden, der die Kritik an TIA und jetzt an der Future-Börse vor allem auf die Beine brachte, hofft, dass jetzt das ganze Projekt eingestellt werden muss. Bei der Darpa suchte man die Abgeordneten zu beschwichtigen und nannte das Projekt, das zunächst Total Information Awareness hieß, in Terrorist Information Awareness um (Terrorist-Information-Awareness). Und dagegen sollte, so wird man sich gedacht haben, wohl niemand etwas haben können. Sicherheitshalber hat das Weiße Haus aber womöglich schon parallel einen eigenen behördenübergreifenden Geheimdienst aufgebaut, so dass TIA ruhig untergehen kann (Noch ein Geheimdienst).
Die dafür verantwortliche Behörde ist an Stellen, wo wir sie als fantasievoll wünschen, brillant fantasievoll. Es klingt so, als würden sie in diesem Bereich zu fantasievoll gewesen sein.
Vizeverteidigungsminister Wolfowitz, der angeblich erst gestern von dem Projekt erfahren hat
Charles Polk, Präsident von Net Exchange, die von der Darpa neben der Economist Intelligence Unit mit dem Aufbau und dem Betreiben der Börse beauftragt war, versuchte die Befürchtungen als Übertreibungen herunterzuspielen. Es sei doch keine "Terrorismusbörse", man wolle damit lediglich in die Zukunft schauen, um politische, wirtschaftliche und militärische Entwicklungen im Nahen Osten besser zu verstehen. Und selbst wenn Terroristen bei der Börse zur Bereicherung mitspielen würden, was ein Vorwurf war, so würde doch daraus genau das Warnsignal entstehen, das der Policy Analysis Market erzeugen soll: "Sie würden einige Preise verändern. Und sie würden diese Preise auf Höhen treiben, die ihnen bislang vom Markt verwehrt waren. Daher würden die Menschen sich fragen: 'Warum ist dieser Preis so hoch?'"
So also geht Terrorismusbekämpfung - und man könnte nachgerade noch vermuten, dass die Initiatoren doch hofften, Terroristen mit ihrem "Honigtopf" im Internet anzulocken.