Aufklärung über die Aufklärer
Kritiker des vom Pentagon geplanten Überwachungssystems Total Information Awareness (TIA) wollen gegen die Projektleiter, vornehmlich den dubiosen ehemaligen Admiral Poindexter, mit gleichen Informationswaffen zurückschlagen
Das Pentagon-Projekt, ein sogenanntes Total Information Awareness (TIA) System zu entwickeln, das weltweit möglichst alle Daten sammeln und mit neuen, ausgefeilten Data-Mining-Programmen nach verdächtigen Mustern durchsuchen soll, hat natürlich alleine schon zu teils ungläubiger, teils heftiger Kritik geführt. Doch auch die Berufung von John Poindexter, eines zwielichtigen, in dunkle politische Geschäfte verwickelten Offiziers aus der Reagan-Zeit als Leiter des dafür bei der DARPA zuständigen Information Awareness Office (IAO), mithin als Big Brother, hat berechtigte Sorge laut werden lassen. Nun versuchen einige Cyberaktivisten mit ihren Mitteln zurückzuschlagen.
Schon als im Frühjahr Poindexter, zusammen mit Oliver North Drahtzieher des Iran-Contra-Skandals, bei dem zum Austausch gegen US-Geiseln Waffen an den Iran verkauft wurden, um mit dem Geld dann die Contras in Nicaragua militärisch gegen die von den USA unerwünschte sozialistische Regierung zu unterstützen, wurde natürlich gefragt, warum man ausgerechnet diesen Mann in die US-Regierung berufen hat (Rumsfeld: Pentagon lügt nicht). Verboten war sowohl der Waffenverkauf an den Iran, als auch die Unterstützung der Contras. Das war durch das Boland Amendment, das vom Kongress verabschiedet und vom Präsidenten unterzeichnet worden, untersagt. Als Sicherheitsberater Reagans hatte Poindexter dies wohl nicht ohne Wissen des Präsidenten gemacht.
Möglicherweise also gab es für den ehemaligen Sicherheitsberater Reagans - Bush sen. war damals Vizepräsident - gute Gründe, ihn wieder ins Boot zu hieven, nachdem er dem Vaterland so gute Dienste geleistet und den Präsidenten - und Vizepräsidenten - nicht belastet hat. Schließlich setzt die Bush-Regierung im Augenblick beim Kampf gegen den Terrorismus auch wieder auf ähnliche "verdeckte Aktionen" wie im Kalten Krieg. Bush sen. war, bevor er von Reagan zum Vizepräsidenten berufen wurde, Direktor des CIA und kannte sich mit dem Spiel hinter der Bühne wohl gut aus. Ob nun die "Fähigkeiten" von Poindexter gebraucht wurden oder Bush jun. irgendwie dem Mann wegen seines Vaters verpflichtet war, bleibt vorerst Familiengeheimnis. Sein Wissen hat man wohl immer gefürchtet und geachtet, schließlich konnte der Admiral nach seiner Entlassung eine Firma leiten, die im Auftrag des Pentagon arbeitete - und auch schon mit Genoa Vorläuferprogramme des jetzt geplanten TIA-Systems entwickelte.
Poindexters dunkle Geschäfte flogen 1986 auf. 1990, als Bush sen. US-Präsident war, wurde der Verschwörung, der Behinderung der Justiz und der Vernichtung von Beweismaterial - er löschte beispielsweise 5.000 belastende Emails, aber dummerweise nicht die auf den Backup-Bändern - für schuldig befunden. Poindexter wurde auch von der Regierung Costa Ricas beschuldigt, im Kokain-Handel mitgemischt zu haben, um Gelder für die Contras aufzutreiben. Gegen das Reich des Bösen von damals verbündete man sich mit allerlei Freunden, auch mit solchen wie den Mudschaheddin in Afghanistan oder Saddam Hussein, gegen die man dann wieder Krieg führen muss.
Kurz nach der Verurteilung sprach das Oberste Gericht Poindexter aber frei, weil er zuvor unter der Zusage von Immunität bereits vor dem Kongress ausgesagt hatte (und sich, wie in solchen Fällen üblich, eigentlich an kaum etwas erinnern konnte), was sich auf das Urteil hatte auswirken können. Kurz zuvor war seine Frau Pfarrerin geworden, die ihm sicherlich seine Sünden verziehen hat. Allerdings ist sie 2001 aus der Episkopalkirche ausgetreten und zu den Katholiken gewechselt, weil es hier eine gefestigtere Autorität gebe.
Nach seiner Entlassung aus dem Militär gründete Poindexter bis 1996 verschiedene Firmen und wurde schließlich Vizepräsident von Syntek Technologies, um dann wieder im Februar 2002 zum Pentagon zurückzukehren. Ari Fleischer, der Pressesprecher des Weißen Hauses, meinte im Februar jedenfalls, Bush habe ihn berufen, weil er ein "herausragender Amerikaner und Bürger ist, der eine sehr gute Arbeit für unser Land während seiner Militärzeit geleistet hat". In Poindexters Biografie liest man natürlich über die dunklen Seiten nichts. Er habe den "demokratischen Widerstand in Nicaragua unterstützt", wird bzw. wurde dem Leser scheinheilig versichert. Verantwortlich sei er für die "Rationalisierung der Beziehungen der USA zum strategisch wichtigen Iran" gewesen. Ansonsten habe er auch bei so ruhmreichen Aktionen der US-Regierung zur nationalen Sicherheit wie der Bombardierung Libyens, dem Angriff auf Grenada oder im Fall Achillo Lauro (Uncle Sam und der Predator) eine wichtige Rolle gespielt. Poindexter empfiehlt sich selbst so:
"Er bringt eine einzigartige Verbindung von Kenntnissen von Problemen von den höchsten Ebenen der Regierung bis zum Laboratrium. Er hat herausragende Management- und Kommandofähigkeiten von Navy-Operationen bis zur nationalen Sicherheit der USA gezeigt. Bekannt ist er für kreative Lösungen schwieriger Probleme und für die Fähigkeit, schnell den Kern neuer Aufgaben zu erfassen. Zielorientiert."
Wohl noch im Schwung der landesweiten Unterstützung für den Antiterrorkampf und der allgemeinen Vergesslichkeit gab man neben dem kreativen Leiter auch das geplante Projekt bekannt (Das Orakel der DARPA). Einzelheiten fand man auf dem Website der Darpa. Erst einmal ging die Berufung und das Projekt unter, doch als dann die New York Times Anfang November darüber berichtete, fanden Projektleiter und Projekt plötzlich weltweite Aufmerksamkeit. Zudem kehrten Kritiker das Überwachungsprogramm nun auch schon einmal ansatzweise gegen seine Betreiber um (Totale Überwachung). Die hatten nämlich ihre zuvor auf der Darpa-Website veröffentlichten biografischen Angaben klammheimlich im Laufe des November wieder vom Netz genommen. Genutzt hat dies allerdings nichts, denn schnell hatte sie Richard Smith noch aus dem Google-Cache holen und wieder auf seiner Website veröffentlichen können.
Die vier Biografien der Leiter des IAO enthielten allerdings keine näheren Angaben. Das zu ergänzen wurde nun das Ziel einiger anderer Aktivisten. Matt Smith machte in der SF Weekly den Anfang und gab Ende November die Adresse und private Telefonnummer von Poindexter bekannt: "Optimistically, I dialed John and Linda Poindexter's number -- (301) 424-6613 -- at their home at 10 Barrington Fare in Rockville, Md., hoping the good admiral and excused criminal might be able to offer some insight." Darüberhinaus gab er auch die Adressen und Telefonnummer der Nachbarn von Poindexters an, weil man ja von diesen auch etwas erfahren könne. Angeblich sei Poindexters Haus 269,700 US-Dollar wert, und er fragt, ob ein Donald Douglas Poindexter, der in Maryland als Sexualstraftäter geführt wird, etwas mit dem ehemaligen General zu tun habe.
Natürlich wurden die Informationen über Poindexter auf vielen anderen Webseiten gespiegelt. Auch John Gilmore von der Electronic Frontier Foundation (EFF) mischte sich ein und machte darauf aufmerksam, wie viele Informationen über einzelne Menschen sich heute schon sammeln lassen. Mit dem geplanten System von Poindexter, das alle Datenbanken kombinieren will, könnten leicht auch politische Gegner verfolgt und diskriminiert werden. Gilmore rief dazu auf, schon jetzt der Öffentlichkeit an Beispielen klar zu machen, wie schlimm das Leben für mögliche "verdächtige" Opfer werden könnte, die plötzlich aus unerfindlichen Gründen einfach auch nur Schwierigkeiten bekommen oder vor verschlossenen Türen stehen könnten. Ohne explizit zu werden, könnte die Aufforderung so verstanden werden, zur Abschreckung nun einmal alle erhältlichen Informationen über Poindexter zusammen zu tragen. Auch wenn manche Angaben falsch seien, könne das zur Warnung vor dem geplanten System erhellend sein. Auf Cryptome wurden schon einmal Satellitenaufnahmen veröffentlicht, die zeigen, wo Poindexters wohnen.
Ein solches Projekt ist beispielsweise The John Poindexter Awareness Office (JPAO). Auch hier will man alle Informationen über das persönliche Leben, die Einkäufe, Beziehungen, Freizeitinteressen, Lesegewohnheiten und Reisen eines jeden Angestellten der Darpa im "Interesse der nationalen Sicherheit" erhalten. Die Internetbenutzer werden aufgefordert, da man nicht über die Kapazitäten des Pentagon verfüge, Informationen über die Leiter des IAO mitzuteilen, die dann veröffentlicht werden. Man habe allerdings Abstand genommen, die Sozialversicherungsnummer und Bilder von Familienangehörigen auf die Website zu stellen, weil man nicht dazu beitragen wolle, dass Poindexter und seiner Familie etwas angetan werde. Die Informationen, die bislang abgegeben wurden, sind allerdings weitgehend Nonsense. Bei Warblogging wird dazu aufgerufen, die bereits ausführliche Biografie von Poindexter mit weiteren Informationen zu ergänzen.
Obgleich also die Aufklärung über Poindexter nicht besonders effektiv war, sind mittlerweile nicht nur die Biografien, sondern auch das ominöse Logo von Poindexters Information Awareness Office von der Website verschwunden. Das hatte wohl nicht gerade zur Beruhigung der Kritiker beigetragen, die sich auch durch Verteidigungsminister Rumsfelds halbherzige Beschwichtigungen nicht ablenken ließen (Weltweites Schnüffelsystem). Tatsächlich ließ das Logo mit dem Auge Gottes auf der Pyramide und dem Motto "Wissen ist Macht" nicht nur Assoziationen zu Geheimbünden aufkommen, sondern demonstrierte auch die Maßlosigkeit des Wunsches nach "totaler Informationsmacht". Poindexter hat da wohl daneben gegriffen und zugleich seine kreative Orientierung für zielorientierte Problemlösung entlarvt.