Zukunft des Museums oder Museen der Zukunft?

Mit Theorien, Visionen und Praxismodellen versuchte die Tagung "CultH - Zukunft des /digitalen/ kulturellen Erbes" eine Annäherung an Fragen der Kulturvermittlung im digitalen Zeitalter

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Die Archivierung des kulturellen Erbes ist ein gravierendes Problem: während unsere Bibliotheken buchstäblich zu Staub zerfallen und auch andere Datenträger nicht vor dem Zerfall gefeit sind, wendet sich die Aufmerksamkeit der Archivare den neuen Technologien zu. Ist Digitalisierung die Lösung für das Problem der kulturellen Überlieferung? Mit dem komplexen Thema der Digitalisierung des Kulturerbes beschäftigte sich zum zweiten Mal die Tagung "CultH - Cultural Heritage in the Global Village" im Museumsquartier Wien.

Kunstbunker im Museumsquartier Wien

Das Problem der Überlieferung ist kein theoretisches. Ein Großteil dessen, was unser Kulturverständnis ausmacht, hängt davon ab, was vom Reichtum der Bibliotheken, Galerien, Museen und Archive tatsächlich aktuell zugänglich ist. Es war der Zerstörungs-Schock des zweiten Weltkriegs, der 1954 zum Beschluss der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten geführt hat (European Cultural Convention). Als Folge entstehen seltsame Schatzkammern, von denen kaum jemand etwas weiß: so wird beispielsweise das kulturelle Erbe Deutschlands durch das Bundesamt für Zivilschutz einer kostenintensiven Sicherungsaktion unterzogen. Mehrmals pro Jahr werden im Schwarzwald alte Bergwerksschächte mit Fässern gefüllt, die Mikrofilmrollen mit ausgewählten Kulturdokumenten enthalten - Projektdauer 1960 bis 2020.

Solche absurd anmutenden Endlagerstätten des Geistes sind aber auch als ein spezifischer Medieneffekt zu sehen, wie Aleida Assmann hellsichtig angemerkt hat:

Das mit der Schrift erfundene Pathos von der Ewigkeit der Mitteilung auf unvergänglichen Datenträgern ist am Ende des Buchzeitalters der Dauersorge um die Konservierung des kulturellen Archivs gewichen.

Aleida Assmann: Erinnerungsräume, München 1999

Während das kulturelle Archiv daraufhin angelegt ist, Daten oder Kunstschätze möglichst langfristig zu speichern, und zwar unabhängig von ihrer aktuellen Nutzung, unterliegt die andere Form des Archivs - die der Behörden und des Militärs - dem Paradigma der permanenten internen Nutzung. Es ist klar, dass die neuen Medientechnologien diese Logik des Archivs zum Kippen bringen, da sie eine Kultur der permanenten Nutzung forcieren. Niemand will mehr Kunst für die Ewigkeit, so dass der aktuelle Zugriff und die Verfügbarkeit neue Problemlagen erzeugen. Desweiteren sind Werke im Zustand ihrer digitalen Vermittlung leicht veränderbar, was den archivarisch aufgeladenen Begriff des Originals zunehmend problematisch werden lässt.

Darf man in dieser Lage noch die Frage stellen, wie Kultur in ihrer digitalen Fassung weiterbesteht? Oder ist die Frage nicht vielmehr die, welche Kultur eine neue Medientechnologie wie die Digitalisierung als solche hervorbringt? In diesem Spannungsfeld bewegte sich die Tagung CultH, was schon rein äußerlich zum Ausdruck kam. Die Veranstalter haben, selbstverständlich ohne damit einen bewussten ironischen Gestus zu verbinden, in die Kellerräume des neuen Wiener Museumsquartiers geladen, die gleich eine Ahnung davon aufkommen lassen, wie eine Atommüll-Endlagerstätte aussehen könnte.

Augmented Digital Culture

Man sitzt also, völlig abgeschnitten von der Außenwelt, im Keller eines Kulturbunkers par excellence, einem Hochsicherheitstrakt der Kunst. Doch dieses Problem der "Formatierung", so augenscheinlich es ist, fällt niemandem auf. Was einzig zählt, das sind die Aspekte technischer Anchlussfähigkeit und Kompatibilität, vor allem wenn man Kim Veltman, einem der Hauptvortragenden, Glauben schenken mag. Nach dem sportlichen Motto "Schneller, höher, weiter" hechelt der Direktor des Maastricht McLuhan Institute in seiner Präsentation von einer technischen Vision zur nächsten, von der Vernetzungsidee für Kulturinstitutionen zu einer "ambient intelligence", mit der sich jede kulturelle Rekonstruktion beliebig gestalten lässt. Nach dem Vorbild von "Computational Grids", welche die Virtualisierung auf eine nächste Stufe heben sollen.

Dabei spielt dann immer die Technik eine entscheidende Rolle, sie wird in der Technokratenvision praktisch zum geschichtsphilosophischen Subjekt. Dass Forschung und Lehre eine neue Anschaulichkeit gewinnen, wenn sie die statische Form der Repräsentation von Wissen hinter sich gelassen haben, mag sicher zutreffen. Die multimediale Präsentation differenter Welten ist aber nur einer der möglichen Effekte neuer Medientechnologien. Wenn die Uffizien ihre Kunstwerke jetzt schon mit 1,4 GB pro Quadratmeter scannen, und japanische Technik schon bei 3 GB pro Bild steht, was einen Zoom ohne Pixeleffekte erlaubt, dann ist das freilich bemerkenswert. Aber diese Fixiertheit auf die Visualisierungstechnologie reduziert alle Fragen auf das binäre Funktionsprinzip der digitalen Medien, eine Borniertheit, die förmlich nach Kulturkritik schreit und danach, auch einmal die sozialen Auswirkungen des Einsatzes von Digitalisierung im Kulturbereich zu hinterfragen.

Mikro-Urbanität

Genau das aber ist ursprüngliches Anliegen von Franz Nahrada, dem Initiator und Mitveranstalter von CultH. Ihm geht es um Visionen alternativer Lebenswelten, und daher konzentriert er sich auf die Integration von Computerkultur und Kommunikation im Alltag. Deshalb engagiert er sich mit seinem Forschungsverein GIVE im Sinne des "Think Local" - also für Kulturstammtische oder das Electronic Cafe in der Nachbarschaft, oder organisiert Computer für Kamerun - Kulturvermittlung einmal anders. Technologie erzeugt Mikro-Urbanitäten an allen möglichen Orten, so Nahrada:

"Der Zugang zum kulturellen Erbe, das eifersüchtige und wohlgehütete Monopol der Städte, ist dabei sich zu verflüssigen. Und damit ist vielleicht ein archimedischer Punkt gefunden, der uns urbanen Menschen erlaubt, mit allen Sinnen und Wünschen jeden Ort zu bewohnen und zu gestalten. Am Anfang von CultH stand die Beschäftigung mit der Möglichkeit dezentraler Siedlungsformen. Es war für mich ein Rätsel, warum weltweit trotz aller Ortsunabhängigkeit ein immer krasseres Gefälle von zentralen Orten der Kommunikation und der Fülle und einer dürren, verödenden Peripherie mitsamt ihren lebensweltlichen Verlusten entstanden ist."

Aus dieser Perspektive wird die Rolle der digitalen Technologien vor allem hinsichtlich ihres Versprechens, die sozialen und kulturellen Gestaltungsräume zu erweitern, kritisch thematisiert. Gerade weil die Tendenz in die umgekehrte Richtung weist: mit der Frage einer Wiederveränderbarkeit digitaler Materialien und digitalisierter Samples in neuen, "kleinen" Produktionsprozessen könnten sich Chancen auftun. Dazu muss der letztlich produktive Effekt einer Zurückdrängung von Patent- und Eigentumsrechten für die Gesellschaft klargemacht werden. Deshalb wurden auf der Tagung auch Konzepte wie OpenCulture präsentiert. Es handelt sich um eine Art Mäzenaten-Modell, das noch nicht ganz ausgereift scheint, aber immerhin vorführt, wie freie Nutzung von Online-Inhalten und eine Bezahlung von Autoren und Content sich nicht widersprechen müssen - ob es tatsächlich funktionieren wird, bleibt vorderhand offen.

In der Realität unterliegt das sogenannte kulturelle Erbe sehr mächtigen ökonomischen Interessen, die sich in Copyrights, Bild- und Nutzungsrechten lukrativ absichern und auswerten lassen. Da aber jeder kulturelle Gehalt jetzt zum Corporate Content wird, weil er einen zentralen Träger kommerzieller Strategien darstellt, ist es nur begrüßenswert, wenn sich öffentliche Institutionen, Bibliotheken und Museen in Europa zunehmend mit den Implikationen der digitalen Medien beschäftigen - mit einiger Verspätung gegenüber den USA, aber immerhin. Nur: hin- und hergerissen zwischen großen Visionen und Mikrostrategien, zwischen lokalen Best Practices und internationalen Netzwerken, verliert man als Tagungsteilnehmer schon mal das Gefühl für das, was hier eigentlich Thema ist oder auch sein könnte.

Virtuelles Meta-Museum

Unabsichtlich wurde dieses Gefühl wiederhergestellt, als nämlich Thomas Fuerstner vom Institut für Netzentwicklungen am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe sein Projekt eines Metamuseums vorstellen sollte: ausgerechnet im High-Tech Kulturbunker Museumsquartier funktionierte die Internet-Anbindung während der gesamten Tagung nicht. Statt einem möglicherweise faszinierenden Ausflug in ein digitales Museum der Zukunft gab es dafür eine entspannte Reflexion darüber, was denn eigentlich eine zeitgemäße Umsetzung für die "Metapher Museum" ins Internet wäre. Solchen Projekten, das gilt auch für das von Patricia Young prominent vorgestellte kanadische Online-Museum, gemeinsam ist die Reduktion des Innovationsgedankens auf die Basistechnologie, sprich Bilddatenbanken und VRML-Technologie.

Zwar hat man dann irgendwann ein mehr oder weniger komplettes dreidimensionales Modell von Ausstellungen im Netz, kommt aber über das Repräsentationsdenken wieder nicht hinaus, wie Fuerstner kritisiert. In den neuen virtuellen Museen dürfe es aber nicht nur darum gehen, den klassischen musealen Diskurs eins zu eins auf das Netz zu übertragen. Die Aufgabenstellung geht über Probleme der Repräsentation und der Bestandssicherung weit hinaus.

Welche Entwicklung dieses Metamuseums die Suche nach einer neuen Museumsdidaktik vorantreibt, und wie es etwa Fragen der Vermittlung mit solchen der kulturellen Produktion zusammenbringt, konnte aufgrund technischer Mängel nicht anschaulich gemacht werden - was freilich der Kritik nichts von ihrer Berechtigung nimmt.