Zukunftstruppe mit Sandra Obermaier oder Kevin Dickerchen?

Was den Krieg unbezahlbar macht, Teil 2

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Wer am 16. Oktober 2010 der Konferenz der Clausewitz-Gesellschaft "Offiziersausbildung für das 21. Jahrhundert" an der Berliner Humboldt-Universität beiwohnte und nach der Kaffeepause den Vortrag des - extra dafür aus Rom angereisten - Generalleutnants der Bundeswehr zum Thema "Herausforderung für Bildung und Ausbildung" hörte, wusste schnell Bescheid. Wenn es nach dem tiefsten Wunsch des Generalleutnants ginge, sollte es Sandra Obermaier sein und sonst niemand.

Teil 1: Teuer, teurer, noch teurer…

Sandra Obermaier - so wurde die zukunftstaugliche Wunschrekrutin genannt - ist jung, körperlich topfit und vor allen Dingen klug. Deshalb entscheidet sie sich für eine Karriere bei der Bundeswehr.

Nach der Grundausbildung wechseln sich Einsätze im In- und Ausland rapide und in regelmäßigen Abständen ab. Bald traut man ihr die Führung von Kampfeinheiten zu. Ständige Weiterbildung wird gefordert und gefördert. Einem Familienleben stünde nichts im Wege. Die Karriereleiter wird immer weiter empor geklettert. Sandra Obermaier ist eine Kämpferin und Gewinnerin, für die Bundeswehr ein Sechser im Lotto, Zusatzzahl inklusive.

Anfang 2011 wurde zum 1. Juli die Aussetzung der seit 1955 geltenden Wehrpflicht vom Bundestag besiegelt und vom Bundesrat gebilligt. Erwartungsgemäß ist Sandra Obermaier dem innigsten Wunsch des Generalleutnants nicht gefolgt.

Vermutlich treibt Sandra Obermaier Sport doch lieber im klimatisierten Fitness-Studio und nicht im Schlamm eines Übungsplatzes mit 30kg Ausrüstung auf dem Rücken. Möglicherweise studiert sie doch lieber Medizin, Jura oder BWL als den "Reibert" (das Handbuch des Soldaten). Und wenn sie sich für die Belange dieser Welt interessiert und einen Ausflug in die Weltgeschichte machen will, studiert sie vielleicht Journalismus oder Politikwissenschaft. Jedenfalls geht sie nicht zur Bundeswehr.

Und es ist womöglich gut so, denn eine Gesellschaft sollte grundsätzlich Frauen nach Kräften schützen und sie nicht ohne Not den Grauen und Leiden des Krieges aussetzen.

Wir brauchen die Besten

Doch, dass Sandra Obermaier nicht kam, ist nicht ganz unproblematisch für die Bundeswehr, denn, wie Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) es vor kurzem in einem Interview in der FAZ formulierte: "Wir brauchen die Besten als Soldaten." Dann ergänzte der Minister:

Es geht nicht nur ums Geld. Das Begrenzende ist die Demographie. (…) Das schränkt uns mehr ein als die Finanzen. Dann müssen wir uns an das veränderte sicherheitspolitische Umfeld anpassen, vor allem an die Auslandseinsätze. Erst dann an dritter Stelle kommt die Bedingung, dass alles finanzierbar bleiben muss.

Doch gerade im Personalbereich, der rund die Hälfte der Ressourcen absorbiert, spielen die finanziellen Aspekte eine entscheidende Rolle. Und zwar sowohl aufgrund der Verwaltung von Altlasten als auch aufgrund der zukünftigen Personalausrichtung der Streitkräfte.

"Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière auf der Tagung des Militärgeschichtlichen Forschungsamt im September 2011: Zitat: "Seit 1989 erlebt die Bundeswehr einen permanenten Umbruch." Bild: © L. Joachim

Den Personalüberhang, der zurzeit abgebaut wird, lässt sich die Bundeswehr jedenfalls einiges kosten und nicht nur die Bild sprach von einem "goldenen Handschlag" in Anbetracht der großzügigen Pensionierungsregelungen, die Soldaten bewegen sollen, frühzeitig aus dem Dienst zu scheiden.

Insgesamt wurde rund eine Milliarde Euro im Rahmen dieser Maßnahme bereitgestellt. Damit soll erreicht werden, dass die Bundeswehr von 220.000 aktiven Soldaten (zur Zeit der Amtsübernahme de Maizières) auf 170.000 Zeit- und Berufssoldaten schrumpft. Weiterhin wird eine Sollstärke von 15.000 freiwillig Wehrdienstleistenden angestrebt. Die Bundeswehr wird sich außerdem von etwa 28 Prozent ihres Zivilpersonals trennen und nur noch 55.000 statt wie bisher etwa 76.000 Zivilangestellten haben.

Jedes Jahr müssten 15.000 Rekruten neu gewonnen werden

Von den 170.000 Soldaten sind dann etwa 30.000 Mann im Rahmen von Ausbildungsmaßnahmen gebunden, so dass das verfügbare Personal 140.000 Mann nicht überschreitet. Davon ist jedoch ein nur Bruchteil unmittelbar einsatzfähig. Laut dem Bundesministerium der Verteidigung sind zurzeit 7.000 Mann im Einsatz und 7.000 Soldaten müssen in sogenannten Bereitschaftskontingenten für die EU-Krisenreaktionstruppe (EU Battle Group) oder die NATO-Einheiten (NATO Response Force) bereitgehalten werden.

Wenn die Bundeswehr ihre Sollstärke von 170.000 Mann erreicht hat, müssen jedes Jahr um die 15.000 Rekruten neu gewonnen werden, damit die Personalstärke gleichbleibt und sich das Einsatzfähigkeitsniveau nicht verschlechtert.

Der Bund, wie jeder Arbeitnehmer, möchte sich außerdem sein Personal aussuchen können. Die Bundeswehr will bei der Anwerbung also die Wahl zwischen Sandra Obermeier und Kevin Dickerchen treffen können.

Doch dies dürfte gelinde gesagt schwierig werden, weil pro Jahrgang nur 350.000 Personen1 als verfügbar gelten. Damit die Bundeswehr sich wunschgemäß für jede Stelle den Idealrekruten zwischen mindestens drei möglichen Kandidaten aussuchen kann, müssten sich jedes Jahr 45.000 Personen bewerben. Also jeder Achte (12,5%) eines Jahrgangs. Eine Vorgabe, die Verteidigungsminister Thomas de Maizière für "ehrgeizig aber möglich" hält.

Vergleich mit Frankreich

Diese Annahme trägt aber nicht dem Umstand Rechnung, dass der demographische Wandel den Bewerberkreis in der Zukunft in zweierlei Hinsicht stark eingrenzen dürfte.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung geht für den möglichen Bewerberkreis von einem generationsbedingten Schwund von knapp 20% bis 2025 aus, so dass zu diesem Punkt nur noch rund 280.000 Personen pro Jahr verfügbar sein dürften. In diesem Fall hieße das, dass etwa jeder Sechste (16%) eines Jahrgangs sich bei der Bundeswehr bewerben müsste, um die geplante Auswahlbreite bzw. Sollstärke zu erreichen.

Das Erreichen der vom Verteidigungsministerium definierten Vorgabe dürfte deshalb nicht nur "ehrgeizig", sondern wirklich "sportlich" werden - wenn eine solche Vorgabe überhaupt als realistisch eingestuft werden kann.

In Frankreich, wo der Militärdienst 1996 abgeschafft wurde, gibt es im Schnitt (1998-2009) nur 1,6 Bewerber2 pro frei werdende Dienststelle. Dabei hat Frankreich mit statistisch gesehen aktuell 2,1 Kinder pro Frau seit Jahrzehnten eine weitaus dynamischere Demographie als die Bundesrepublik mit weniger als 1,4 Kinder pro Frau.

Auch das Freiwilligkeitsprinzip birgt einen Unsicherheitsfaktor für die Nachwuchsplanung: Die französischen Rekrutierungsbüros hätten nach eigenen Angaben ca. 25% mehr Bewerber, seitdem die Wirtschaftskrise herrscht. Davor hatten auch sie Schwierigkeiten, genug Personal zu rekrutieren.

Gewandelte Lebensstile

Ein weiteres Sorgenkind bei der Rekrutierung von Nachwuchs ist der Wandel des Lebensstils der Gesellschaft und die Tatsache, dass die allgemeine körperliche Fitness sinkt.

So konnten im Jahr 2004 nicht weniger als 30% der Gymnasiasten, 40% der Realschüler und 45% der Hauptschüler die physischen Anwerbungstests nicht bestehen. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), beklagte auch 2008, dass 40% der Soldaten übergewichtig und über 70% regelmäßige Raucher seien.

Dass die Reform der Bundeswehr nicht einfach sein wird, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Ende Dezember 2011 bestätigte Thomas de Maizière, dass 27,7% der neu angeworbenen Bundeswehrfreiwilligen von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, die Bundeswehr wieder zu verlassen.

Ende Mai 2012 leisteten deshalb nur 4.200 Freiwillige ihren Dienst bei der Bundeswehr. Zu allem Überfluss wird ein Teil der Besoldung zukünftig besteuert, was mögliche Interessanten weiter abschrecken durfte.

Mit guten Gehältern zum attraktiven Arbeitgeber werden

Doch "Sie sind jung und brauchen das Geld" schrieb die Zeit über die jungen Frauen und Männer, die sich bei der Bundeswehr verpflichten. Deshalb muss die Bundeswehr auch zum attraktiven Arbeitgeber werden, um die Besten eines Jahrgangs an sich zu binden.

Konkret heißt das vermutlich, dass überdurchschnittlich hohe Gehälter im Vergleich zum zivilen Markt und eine passende, zeitgemäße, Infrastruktur (wie z.B. Kitas, usw…) angeboten werden müssen, denn laut eines Versprechens3 des Bundesministers soll es "lohnenswert, attraktiv und erfüllend (sein), in dieser Bundeswehr seinen Dienst zu leisten".

Außerdem wird es irgendwann aller Voraussicht nach nötig sein, weniger gut geeignete Bewerber zu integrieren und sie mit aufwendigen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für den Dienst zu qualifizieren.

Deshalb dürfte der demographische Wandel die Bundeswehr vermutlich noch (sehr) viel Geld kosten.

Teil 3: Weniger ist mehr