Zwangsprostitution und menschenverachtende Praktiken im Rotlicht-Milieu härter ahnden

Verbot von "Flatrate-Sex", mehr Kontrolle und Aufsicht bei Bordellen, Freier von Zwangsprostituierten sollen bestraft werden - die große Koalition will das Prostitutionsgesetz umfassend überarbeiten

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"Wir wollen Kinder und Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser beschützen", so steht das auf Seite 11 der Koalitionsvereinbarung zwischen Union und SPD unter der Überschrift "Kriminalität bekämpfen und Sicherheit gewährleisten". Etwas konkreter gefasst wird das später, auf Seite 104. Dort wird die Absicht wiederholt, mit dem Zusatz, dass Täter "konsequenter bestraft werden sollen".

Verurteilungen sollen nicht mehr daran scheitern, dass das Opfer nicht aussagt, so lautet der grundlegende Ansatz. Die Zwangsprostituierten sollen besser unterstützt werden, geht daraus hervor. Wenn sie zur Aufklärung beitragen, so will man ihnen künftig in Fragen des Aufenthaltsrechts entgegenkommen und eine "intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleisten".

Das ist angesichts der vielen Berichte über Frauen, die mit falschen Versprechen nach Deutschland gelockt werden, um dort in sklavenartiger Abhängigkeit von Zuhältern ausgebeutet zu werden, ein Schritt in die richtige Richtung. Man fragt sich lediglich, ob dies nicht schon faktisch praktiziert wurde und falls nicht, warum nicht? Wie sehen denn die Gesetzesvorschläge dazu aus?

Die konkrete Umsetzung einer an sich richtigen Vorgabe ist auch das Problem der verstärkten ordnungspolitischen Maßnahmen, die gegen die Täterseite angekündigt werden. Die große Koalition hat vor, das Prostitutionsgesetz "umfassend zu überarbeiten". Dafür sollen "ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessert werden". Dies läuft darauf hinaus, dass Bordelle strengere Auflagen bekommen werden und auch strenger überprüft werden sollen. Hinzukommt, dass die Kunden in die gesetzliche Verantwortung genommen werden. Allgemein ist die Absicht in der Koalitionsvereinbarung so formuliert:

Wir werden nicht nur gegen die Menschenhändler, sondern auch gegen diejenigen, die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen, vorgehen.

"Erlaubnispflicht für Bordelle", Verbot von "Flatrate-Sex"

Zu alledem gab es in den letzten beiden Tagen ein paar präzisierende Einlassungen von Politikern. Es werde eine "Erlaubnispflicht für Bordelle geben", gab die stellvertretende Bundesvorsitzende der Frauen-Union und geschäftsführende parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz (CDU) gegenüber Medien bekannt. Menschenverachtende Praktiken wie "Flatrate-Sex" sollen künftig verboten werden, ergänzte sie. Und in Richtung Freier:

Wer Zwangsprostituierte wissentlich und brutal ausbeutet, soll auch damit rechnen müssen, dass zu Hause die Polizei vor der Tür steht.

Das hört sich gut an, markig, richtig - auch ein Freier, der in Frankreich nach einem neuen Gesetz ganz generell für die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen gegen Bezahlung bestraft werden soll (vgl. "Eine Erklärung des Hasses auf die männliche Sexualität"), erklärt in einem Beitrag, in dem er die Gesetzgeber zur Differenzierung auffordert ("nicht alle Prostituierte sind Opfer"), "dass man nicht lange zu argumentieren braucht, um einen aufrichtigen Gesprächspartner von der absolut gebotenen Notwendigkeit zu überzeugen, dass der Kampf gegen die Sklaverei der Frauen verstärkt werden muss".

Gute Absicht und die Umsetzung?

An Widmann-Mauz Satz lässt sich nichts aussetzen, an ihm ist nichts falsch; wie an so vielen anderen guten Absichten, der Beifall ist ihr gewiss. Die Gutgesinnten lieben Phrasen. Wie aber wird die korrekte Ansage in die Wirklichkeit übersetzt? Es ist keine Überraschung, dass sich im Wirkungskreis der neuen Pläne Politiker zu Wort melden, deren ordnungspolitische Vorstellungen misstrauisch stimmen, insbesondere ihre Neigung, die Kompetenzen der Polizeigewalt, auf Verdacht handeln zu können, zu verstärken, wie etwa bei Hans-Peter Uhl (CSU).

Uhl gibt auf die im echten Leben sehr schwierige Frage, wie sich denn nachweisen läßt, ob ein Kunde wissentlich ein Geschäft mit einer Prostituierten verabredet hat, die dieses nicht aus freien Stücken angeboten hat, eine Antwort wie aus dem Szenenbild eines Sonntagskrimis: "Erkennbare Zwangsprostitution" bedeute die bewusste Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen - wenn beispielsweise die Sexarbeiterin mit Gewalt vorgeführt werde..

Der Welt gegenüber war Uhl etwas auskunftsfreudiger, das Zugriffsszenario etwas weiter gespannt:

Erkennbare Zwangsprostitution heißt, dass der Freier mitbekommen kann: Hier ist eine Prostituierte minderjährig, oder sie wird unter Drogen gesetzt oder mit Gewalt zum Sex gezwungen. Für diejenigen, die sich so eine Lage zu nutze machen, soll künftig das Straffrecht angewendet werden.

Die Frage, die sich hier stellt: Sollte ein Freier solches mitbekommen, so war er doch bislang auch schon strafbar, ist denn nicht die Prostitution Minderjähriger - und Zwangsprostitution auch - zurecht bereits verboten, wie auch die Verabreichung von Drogen und mit Gewalt erzwungener Sex? Und macht sich nicht jeder, der einer Straftat beiwohnt und daraus Nutzen zieht, ebenfalls schon nach der gültigen Gesetzeslage strafbar?

Der Nachweis und der weite Weg

Die neuen Gesetze sollen ein Signal setzen, dass die neue Regierung den Kampf gegen die Zwangsprostitution mit größerer Bestimmtheit führen will. Das Problem des Nachweises und der Aufdeckung solcher Milieus bleibt aber schwierig. Wird man soweit gehen, mit den neuen gesetzlichen Regelungen die Nachweispflicht mehr auf den Freier zu verlegen? Steht er künftig mehr in der Pflicht nachzuweisen, dass er nichts gewusst hat?

Bislang wurde allerdings nichts verlautbart, das in diese Richtung weist. Eine generelle Bestrafung von Freiern werde abgelehnt, betonte Uhl. Deutschland folgt demnach nicht dem Beispiel Frankreich, wo die Bestrafung der Freier von Regierungsvertretern, die sich für das neue Gesetz stark machen, als wichtiger Schritt zum Ziel verstanden wird, die Prostitution zwar nicht zu verbieten, aber abzuschaffen - um sie damit realiter nur mehr ins Versteck, ins Kriminelle zu drängen. In Deutschland will man punktgenauer auf die Zwangsprostitution zielen.

Schwesig betonte jedoch, unabhängig vom Problem der Nachweisbarkeit wäre ein solcher Straftatbestand ein "wichtiges Zeichen". Das Recht müsse auch Maßstäbe festlegen, was in der Gesellschaft geboten und was verboten sei.

Augsburger Allgemeine

Das ist ein neuer Akzent, in der Absicht gut - soweit er nicht den anderen, "weiten Weg" verstellt, der dazu führt, dass "Prostitution am Ende womöglich ein Beruf wie jeder andere (ist), ohne kriminellen Hintergrund und Druck, wo Puffs wie gewöhnliche Geschäftsbetriebe geleitet werden und man Konflikte über Polizei und Gerichte austrägt, statt über Schläger und Milieupaten" (siehe dazu Prostitutionsgesetz: Abkehr vom richtigen Weg?). Aber auch dieser guten Absicht steht eine Wirklichkeit gegenüber, deren Machtverhältnisse sich solchen Zielsetzungen mit erheblicher Gewalt entgegenstellen. Die Prostitution auf einen Nenner zu bringen, das zeigen die Diskussion dies- und jenseits des Rheins, ist unmöglich.