Zwanzig Jahre bis zum Anfang

The Last Page

Kleine Geschichte des Hauses Hammer

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Der Name Hammer ist zum Synonym für jene Art von Horrorfilm geworden, der farbig sein muss, weil nur so das Bühnenblut richtig zur Geltung kommt, das über die Haut vollbusiger, großzügig dekolletierter Darstellerinnen läuft. Die Produktionsfirma Hammer gab es jedoch schon mehr als 20 Jahre lang, als sie mit Dracula und Frankenstein Furore machte. In den ersten zwei Jahrzehnten weist wenig darauf hin, dass die Hammer Film Productions einmal zum Marktführer in Sachen Monster, Blut und Busen aufsteigen würden. Interessant sind sie trotzdem, weil in ihnen die Grundlagen gelegt wurden, ohne die Christopher Lee und Peter Cushing nicht zu Ikonen eines Genres geworden wären, das so polarisiert wie kein anderes.

Hammer, Zahnpasta und illegales Glücksspiel: eine Filmfirma entsteht

Der Horrorfilm, traditioneller Lieblingsfeind von Zensoren und populistischen Politikern, gilt als das genaue Gegenteil von familientauglicher Unterhaltung. Es ist daher nicht ohne Ironie, dass die Erfolgsgeschichte des Hauses Hammer auch und in erster Linie die Geschichte zweier Familien ist. Sie hießen Hinds und Carreras. William Hinds war der Sohn eines Schmuckhändlers. Er lernte im elterlichen Betrieb, erwies sich als geschickter Unternehmer und suchte bald nach anderen Betätigungsfeldern. Will gewann ein paar Pokale als Radfahrer, beteiligte sich an Radsportläden und Friseursalons, wurde Vorstandsvorsitzender einer Londoner Baufirma. Seine Liebe galt allerdings dem Showbusiness. Als junger Mann war er die eine Hälfte eines Komikerduos. Bei einem Talentwettbewerb wurden die beiden Komiker gefragt, wie man sie ankündigen solle. Da sie keinen Bühnennamen hatten, nannten sie sich spontan nach dem Londoner Stadtteil Hammersmith, in dem sie gerade auftraten. So zumindest die Legende. Hammer and Smith, das steht fest, trennten sich bald wieder. Aber Hinds war von nun an besser unter seinem Bühnen- als unter seinem bürgerlichen Namen bekannt: Will Hammer.

William Hinds (Will Hammer), Enrique Carreras

Hinds hielt Anteile an einer Musikfirma, gründete eine Agentur für Varietékünstler, versuchte sich als Veranstalter sowie im Management von Theatern und Kinos in der Provinz. Dann, im November 1934, gründete er eine Filmfirma, die Hammer Productions Limited. Der erste, im Dezember 1934 gedreht Spielfilm des Unternehmens, The Public Life of Henry the Ninth, erzählt in 60 Minuten die Geschichte eines Straßensängers, der bei einem Auftritt in einem Pub entdeckt wird, ist in jeder Hinsicht ein eher bescheidenes Werk und bemüht, sich durch den Titel an The Private Life of Henry the Eighth anzuhängen, den Erfolgsfilm von Alexander Korda. Weil die Firma ein Logo brauchte, kam der populäre Schwergewichtsboxer Billy Wells in der Mittagspause ins Studio und ließ sich dabei ablichten, wie er auf einen Amboss einhämmerte (Wells schlug auch als erster für die Rank Organization auf den Gong). Am 13. Januar 1935 erschien im Branchenblatt Kinematograph Weekly eine Anzeige (mit einem Photo von Wells), mit der die Gründung der neuen Produktionsfirma offiziell bekanntgegeben wurde. Und als The Public Life of Henry the Ninth im Juni 1935 in einige Kinos kam, hatte Will Hammer einen Partner namens Enrique Carreras.

Der Spanier Carreras war 1907 nach London und dort eher zufällig zur Kinematographie gekommen, nachdem er in einigen anderen Geschäftsfeldern gescheitert war. 1913 stand in Hammersmith ein Varietétheater zum Verkauf. Enrique erwarb das Gebäude und wandelte es in ein Kino um, das er The Blue Hall nannte. Im selben Jahr mietete er die Royal Albert Hall und präsentierte dort das italienische Historienspektakel Quo Vadis? (1912). Das Wagnis zahlte sich aus. Die Vorstellung war sofort ausverkauft. Der Aufführungsort ermöglichte es sogar einigen Mitgliedern der königlichen Familie, an ihr teilzunehmen - inoffiziell, denn Filme galten noch als degoutante Unterhaltung der unteren Schichten. Carreras wusste nun, wie er in Zukunft sein Geld verdienen würde. Am Ende seiner Zeit als Kinobetreiber besaß er eine Kette von sieben Blue Halls.

1932 verkaufte er die Filmtheater an das Konkurrenzunternehmen Associated British Cinemas (ABC), weil er Geld für seine aktuelle Geschäftsidee brauchte: er wollte eine neue Zahnpasta auf den Markt bringen. Dafür startete er eine Werbekampagne mit Gewinnspiel, die gegen das englische Lotteriegesetz verstieß. Die Geldstrafe war so hoch, dass die Zahnpastafirma bald wieder schließen musste. Enrique kehrte reumütig zur Unterhaltungsindustrie zurück. Anfang 1935 lernte er William Hinds kennen, der inzwischen an etwa 30 Firmen beteiligt war. Auf eine weitere kam es also nicht an, und so gründeten die beiden am 10. Mai 1935 die Verleihfirma Exclusive Films Ltd., mit Geschäftssitz in der Wardour Street (lange Jahre das Finanz- und Organisationszentrum der britischen Filmindustrie).

Söhne, Quickies und ein Italiener: Wie man Produzent wird

In seiner Funktion als Hammer-Chef nahm Hinds im Sommer 1935 einen Spielfilm in Angriff, für den er einen veritablen (und billig zu habenden) Hollywood-Star engagierte: in The Mystery of the Marie Celeste grimassiert sich Bela Lugosi mit Seemannsmütze durch die unheimlichen Ereignisse. Der Film ist ziemlich schlecht, ließ sich aber dank Lugosi in die USA verkaufen (dort lief er als The Phantom Ship). Da zeichnet sich bereits das künftige Erfolgsmodell ab, was damals aber keinem aufgefallen zu sein scheint. Vielleicht lag es an der Dauerkrise der britischen Filmindustrie, die gerade wieder besonders akut war, dass kein zweiter Versuch in dieser Richtung unternommen wurde. 1937 jedenfalls stellte die Firma Hammer den Betrieb ein. Viel profitabler war die Exclusive. Für die Firmenzentrale mieteten Hinds und Carreras am 20. Juli 1937 Räume im fünften Stock des Hauses Nummer 113-117 in der Wardour Street, das später den Beinamen "Hammer House" erhielt. In den Kriegsjahren konzentrierte sich die Exclusive auf die Zweitverwertung von Filmen wie Michael Powells The Spy in Black.

Enriques Sohn James hatte ein Kino geleitet und als Autoverkäufer erstmals seine Überredungskünste unter Beweis gestellt, als er 1938 in die väterliche Firma eintrat. Im Jahr darauf übernahm auch der Sohn von William Hinds, Anthony, einen Posten bei der Exclusive, musste aber bald zum Militär und verbrachte einen großen Teil des Zweiten Weltkriegs bei der britischen Luftaufklärung im Nahen Osten. James Carreras ging zur Artillerie und stieg schnell zum Lieutenant-Colonel und Kommandanten über 450 Geschütze auf. Carreras’ Batterie war eine Mischung aus Showtruppe und echter Gefechtseinheit. Er führte Demonstrationsveranstaltungen für das Königshaus und hohe Staatsgäste durch und kämpfte recht erfolgreich gegen die deutschen V1-Raketen (von den Briten doodlebug genannt), was ihm den Namen "Doodlebug Jim" einbrachte. Sein PR-Talent bewies er auch als Organisator einer großen Militärparade in London ("Salute a Soldier", 1944). 1946 kehrten beide Söhne zur Exclusive zurück - Tony Hinds allerdings nur sehr zögerlich und auf Druck seines Vaters.

In den ersten Nachkriegsjahren produzierte die Exclusive zunächst ein paar Dokumentationen und einige Kurzkrimis. Die Nation versammelte sich damals noch vor den Radiogeräten. Äußerst populär waren die Abenteuer des Geheimagenten Dick Barton. Wenn Barton im Auftrag der BBC gegen das Böse kämpfte (meistens kam es aus dem Ausland und sprach mit breitem Akzent), hörten das 15 Millionen Briten. Was in dem einen Massenmedium so erfolgreich war, dachte sich James Carreras, würde es auch in einem anderen sein. Also erwarb er von der BBC die Filmrechte. Er ging damit kein Risiko ein, weil der mit weniger als 20 000 Pfund hergestellte Dick Barton Special Agent (1948) einer jener quota quickies war, für die große Kinoketten eine Garantiesumme von 25 000 Pfund bezahlten. Carreras durfte somit einen finanziellen Erfolg verbuchen, noch bevor Dick Barton irgendwo angelaufen war. So konnte es weitergehen.

Die quota quickies waren das Resultat eines Gesetzes von 1927, das eine Quote für britische Produktionen einführte, um der Filmindustrie auf die Beine zu helfen. So entstand schnell und billig hergestellte Dutzendware ohne besonderen Anspruch auf Originalität oder künstlerische Qualität, die von den meisten Lichtspieltheatern nur aus einem Grund abgespielt wurden: um nach Erfüllung der Quote die viel populären Hollywoodfilme zeigen zu können. Bald nach dem Krieg hatten die Kinobetreiber ein neues Problem. Um den Abfluss von Kapital ins Ausland zu stoppen, belegte die Regierung im August 1947 alle US-Filme mit einer Einfuhrsteuer in Höhe von 75 Prozent. Hollywood reagierte mit einem Boykott, die heimische Industrie konnte den Bedarf nicht decken, die Kinos hatten plötzlich nicht mehr genug Filme.

Im März 1948 unterzeichneten Großbritannien und die USA ein Handelsabkommen, die Einfuhrsteuer wurde aufgehoben, der Nachschub aus Hollywood lief langsam wieder an. Aber bis es soweit war, machte sich im Vereinigten Königreich eine Goldgräberstimmung breit. Die Aussicht auf schnelle Profite lockte Geldgeber an, die feststellen mussten, dass das Filmgewerbe komplizierter war, als sie es sich gedacht hatten. Einige Investoren gaben damals einen Kriminalfilm mit dem Titel Who Killed Van Loon? in Auftrag. Schon nach wenigen Drehtagen ruhte die Arbeit. Im Berufsleben des Tony Hinds war das ein wichtiger Moment:

Ein Möchtegern-Produzent begann den Film, hatte ganz schnell kein Geld mehr und verschwand. Einige Zeit später wurde Jim Carreras gefragt, ob die Exclusive den Film fertigstellen und verleihen würde. Ich bekam den Auftrag, das Ding zu produzieren. Unglücklicherweise gab es keine Kopien des ursprünglichen Drehbuchs, also musste ich mir eine Geschichte ausdenken, in die sich das vorhandene Material integrieren ließ und die noch irgendwie Sinn ergab. Alles wurde dadurch noch schwieriger, dass sehr wenige der ursprünglichen Darsteller abkömmlich waren oder bereit, den Film zu Ende zu drehen. Es war sogar so, dass einer von ihnen sich halb umgebracht hatte, wenn nicht sogar ganz, weil er kein Geld bekommen hatte. Ich stellte das Ding dann mit einem Budget fertig, mit dem man heutzutage höchstens den Mann bezahlen könnte, der die Klappe schlägt oder den Film in die Kamera einlegt.

Dem Seniorchef Enrique Carreras war nicht ganz wohl beim Gedanken an die neuen Aktivitäten der Exclusive. Auf sein Betreiben hin wurde der Produzent Mario Zampi vom kleinen Alliance-Studio abgeworben. Zampi sollte den nächsten Dick-Barton-Film produzieren und ward plötzlich nicht mehr gesehen (je nach Version verschwand er entweder mit dem Budget oder ohne). Retter in der Not war wieder Tony Hinds. James Carreras beschloss, die Kontrolle in Zukunft nicht mehr aus der Hand zu geben. Ermutigt von Jack Goodlatte, dem Programmchef der Kinokette ABC, wollte er jetzt regelmäßig Spielfilme herstellen. Fest eingeplant hatte er seinen Sohn Michael. Doch Michael, ein begeisterter Jazz-Fan mit künstlerischen Ambitionen, war unwillig und hatte ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater, was für die Firma, deren Geschichte man auch als Familienroman erzählen kann, noch weitreichende Folgen haben sollte. Schließlich wurde er der Assistent von Tony Hinds. Als solcher durfte er sich mit allem beschäftigen, was ihn gerade interessierte, solange er niemandem im Weg stand. Für Michael war es die ideale Lehrzeit.

Die schlechten Erfahrungen mit Zampi hatten gezeigt, dass auch die Produktion von Billigfilmen nicht ganz ohne Risiko war. Um die Exclusive (den Verleih) vor möglichen Verlusten zu schützen, wurde die Hammer Film Productions Limited, Will Hinds’ nur noch dem Namen nach existierende Produktionsfirma aus den 1930ern, am 12. Februar 1949 neu in das Handelsregister eingetragen. Enrique und James Carreras hielten zusammen 48 Prozent der Anteile, William und Tony Hinds weitere 48 Prozent (40 für den Vater, 8 für den Sohn). Auch dieses Unternehmen bezog Büroräume im Haus Nr. 113 in der Wardour Street. Weil Enrique Carreras krank war (er starb im Oktober 1950) und sich Will Hinds lieber seinen anderen Firmen und seinen Varietéprogrammen widmete (das Filmgewerbe mochte er nicht besonders), konnte James Carreras in der Londoner Zentrale ungehindert schalten und walten, während Tony Hinds sich um die Kreativabteilung kümmerte. Michael Carreras wurde zum Direktor befördert und durfte 1950, mit 23, seinen ersten Spielfilm produzieren, weil er wieder quengelte.

Duffel Coat Manor

Bisher hatte die Exclusive in fremden Studios gedreht, und das war teuer. Bei Außenaufnahmen wurde die Idee geboren, ein Landhaus zu mieten und ein provisorisches Atelier daraus zu machen. Zwischen Windsor und Maidenhead, beim Dorf Bray, gab es eines, das billig zu haben war. Oakley Court, 1859 im Zuge des Gothic Revival im neogotischen Stil erbaut (mit bizarren architektonischen Details), liegt sehr malerisch am Ufer der Themse und ist jetzt ein Luxushotel. Monsieur Olivier, der damalige Besitzer des Hauses, war ein französischer Patriot und überwachte jeden Morgen das Hissen der Trikolore auf einem der vielen Türmchen. In Oakley Court entstanden in rascher Folge fünf Kriminal- und Eifersuchtsdramen nach Stoffen aus dem Radio. Die berühmte Fassade ist auch in vielen späteren Hammer-Filmen zu sehen sowie in zahlreichen Produktionen anderer Firmen (The Rocky Horror Picture Show).

Für eine dauerhafte Nutzung des Anwesens wären größere Umbauten erforderlich gewesen, die Monsieur Olivier kategorisch ablehnte. Zwischen Oakley Court und der Water Oakley Farm, auch an der Themse und gleich bei der Hauptverbindungsstraße zwischen Maidenhead und Windsor gelegen (die heutige A 308), stand ein heruntergekommenes Herrenhaus im Regency-Stil: Down Place. Das Gebäude war in einem schlechten Zustand und hieß bei den Einheimischen "Duffel Coat Manor", weil die Armee dort nach dem Krieg eine große Menge von Duffel Coats gelagert hatte, wie Trevor Howard in The Third Man einen trägt. Durch das undichte Dach hatte es hereingeregnet, die Mäntel hatten sich voll Wasser gesogen und waren so schwer geworden, dass es zu Einstürzen der Zimmerdecken gekommen war. Hinds einigte sich mit den Besitzern auf einen sehr günstigen Mietvertrag, der bald in einen Kaufvertrag umgewandelt wurde. Down Place wurde Stück für Stück zu den Bray Studios ausgebaut (benannt nach dem in der Nähe gelegenen Dorf) und zur wichtigsten Produktionsstätte der Firma Hammer bis 1966.

Die Hammer stellte drittklassige Programmfüller her, aber der Firmenchef war ein Mann von Format: ein gutaussehender, charmanter Kriegsheld mit hoher Auszeichnung (Member of the British Empire), der schon gekrönten Häuptern die Hand geschüttelt hatte und sich leutselig gab, wenn er mit den unteren Rängen zu tun hatte. Dazu war er ein hervorragender Cricket- und Golfspieler, und früher hatte er sich beim Rugby einen Namen gemacht. Etwas von seiner Klasse färbte auf die Ware ab, die er feilbot. Ganz in seinem Element war "der Colonel" bei den jährlich stattfindenden Konferenzen, bei denen die Kinobetreiber großzügig bewirtet und so an das Unternehmen gebunden wurden (oft in Oakley Court, was vielleicht zu dem häufig zu lesenden Missverständnis geführt hat, dass Monsieur Oliviers Anwesen das Hammer-Hauptquartier gewesen sei). Für die Filmproduktion an sich brachte James Carreras dagegen nicht mehr Interesse auf als Will Hinds. Er wollte Geld verdienen.

Im Laufe der Jahre würde sich noch zeigen, dass der Firmenchef durchaus Schwächen hatte. Er war übermäßig kompetitiv, dachte oft nur für den Augenblick und wenig strategisch, ging Partnerschaften ein, die auf lange Sicht eher unvorteilhaft waren. Um die Finanzierung der sehr knapp kalkulierten Filme zu erleichtern, bot er Regisseuren und Hauptdarstellern statt der festen Gage eine Gewinnbeteiligung an (um die 5 Prozent), wie das inzwischen auch in Hollywood nicht unüblich war. Das restliche Personal wurde deutlich unter Wert bezahlt. Viele, die sich als im Grunde unverzichtbar erwiesen hatten, suchten sich deshalb über kurz oder lang einen anderen Arbeitgeber.

Vorerst konnte sich Carreras solche Geschäftspraktiken leisten, weil es ein Überangebot an Fachkräften gab. Von 1948 bis 1960 ging die Zahl der in Großbritannien verkauften Eintrittskarten um 66 Prozent zurück, die Anzahl der Filmtheater reduzierte sich im selben Zeitraum um 34 Prozent. 1950 gab es noch etwa 4700 Kinos und 30 funktionstüchtige Studios, aber nur 13 davon stellten wirklich Filme her. Von 8000 verfügbaren Technikern wurden 3000 nicht mehr gebraucht. Die Regierung hatte wieder einen Plan und dachte darüber nach, zur Subventionierung der Industrie eine Abgabe auf Kinokarten zu erheben. Carreras fehlte die Geduld, um das Ende dieses Nachdenkprozesses abzuwarten. Statt in Hollywood eine ökonomische und kulturelle Bedrohung zu sehen wie andere britische Produzenten, wollte er mit den Amerikanern kooperieren und so auf deren Markt für B-Filme kommen.

Ein Amerikaner in London

Robert L. Lippert versorgte die Exclusive seit 1948 mit billigen Krimis und Western. Er hatte einen kleinen Verleih, besaß in den USA über 60 Kinos und soll in einem davon den ersten Popcorn-Automaten aufgestellt haben (Lippert erhob auch Anspruch darauf, der Erfinder des Autokinos zu sein). Zudem war er ein Freund von Spyros Skouras, dem Präsidenten der 20th Century-Fox, und er war der Chef einer Produktionsfirma, unter deren Dach mitunter anrüchige Deals für die Fox abgewickelt wurden. Schon der Name seiner Screen Guild Pictures war eine Provokation, weil er an die Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild erinnerte und Lippert außer für in zwölf Tagen heruntergekurbelte Filme auch dafür bekannt war, Vereinbarungen mit den Gewerkschaften nach Kräften zu unterlaufen.

Seit dem anglo-amerikanischen Handelsabkommen von 1948 waren die Hollywood-Studios verpflichtet, einen Teil ihrer in Großbritannien erzielten Gewinne dort auch wieder auszugeben. Lippert, der Strohmann der Fox, wurde mit Carreras schnell handelseinig. Er stellte pro Film einen Teil der Produktionskosten und ein bis zwei US-Stars der zweiten oder dritten Garnitur zur Verfügung, die noch nicht beim Fernsehen gelandet waren. Bezahlt wurde mit den eingefrorenen Geldern der Fox. Um den Rest kümmerte sich Carreras, und Lippert bekam die amerikanischen Verleihrechte am fertigen Produkt. Es war der erste Vertrag dieser Art, den eine britische Filmfirma abschloss.

Für die erste der Co-Produktionen mit Lippert engagierte Hinds einen Mann, der mit 48 nicht mehr ganz jung war, in dem Ruf stand, ein kompetenter, Drehpläne und Budgets einhaltender Handwerker zu sein und sich in den nächsten Jahren zum wichtigsten Hammer-Regisseur entwickelte: Terence Fisher. Der frühere Cutter Fisher inszenierte erst seit ein paar Jahren. Bei der Hammer Film fand er in schwierigen Zeiten eine regelmäßige Beschäftigung. Wenn man die Krimis, die ihm von Hinds zugeteilt wurden, chronologisch sieht, kann man dabei zuschauen, wie er mit jedem Mal ein wenig sicherer wird. Allerdings hätte man ihm bessere Drehbücher gewünscht, und Schauspieler mit etwas mehr Charisma.

Der Held der ersten Lippert-Produktion ist der Amerikaner John Harman, der in London eine Buchhandlung betreibt. In einem schwachen Moment küsst er eine der Angestellten, Ruby, die ihn daraufhin, angestachelt von einem Ex-Knacki und erfolglosen Bücherdieb, erpresst. Am Anfang erfährt man ganz unvermittelt von einem Kriminalroman, auf dessen letzter Seite steht, dass der Mörder sein verschwundenes Opfer im Sarg eines soeben verstorbenen Nachbarn versteckt hat. Der Knacki weiß von diesem Roman nichts, tötet aber bei einem Streit um Geld die junge Ruby und versteckt die Leiche in einer Bücherkiste, wo die Tote nach einigen haarsträubenden Deduktionen auch gefunden wird. John gerät in Verdacht und kann mit Hilfe der ihn liebenden Buchhändlerin Stella seine Unschuld beweisen. Das Ganze heißt The Last Page: wegen dieser letzten Seite des Kriminalromans, der offenbar nur erwähnt wird, damit der Film einen Titel hat. Weil sich der Drehbuchautor nicht entscheiden kann, welche Geschichte erzählt werden soll, wird auch noch eine schwer kranke und völlig überflüssige Gattin des Helden angeboten, die stirbt, als ihr die Erpresserin einen gemeinen Brief schreibt.

Der typische Fisher-Held (perfekt verkörpert von Peter Cushing als Victor Frankenstein) ist ein unabhängiger, ganz für seine Arbeit lebender Mann ohne enge emotionale Bindungen an andere Menschen. In Ansätzen ist das bereits in The Last Page erkennbar - dort aber eher unfreiwillig, bedingt durch das unentschlossene Drehbuch und den drögen Hauptdarsteller. Lippert hatte den sehr seriösen George Brent nach England geschickt. Brent fand in Hollywood ein Auskommen, weil Stars wie Bette Davis oder Hedy Lamarr sicher sein konnten, dass er ihnen nie die Schau stehlen würde und ihn deshalb so gern als Partner hatten. Fisher bemüht sich auch gar nicht erst, ihn irgendwie interessant zu machen.

The Last Page

Stattdessen stattet er den Film mit viel Selbstironie aus. Neben einer Tür hängt ein Plakat, mit dem für das Buch "Come Out of Doors" eines Herrn Dimsdale geworben wird (Hester Prynnes blutleerer Liebhaber in Hawthornes The Scarlet Letter heißt Dimmesdale). Das wird zur Regieanweisung, wenn Brent in einer seiner dramatischsten Aktionen aus dieser Tür kommt wie ein Somnambuler und dann wieder zurückgeht. Der in der Buchhandlung beworbene Spitzentitel heißt "A Sailor’s Odyssee". In seiner Jugend war Fisher fünf Jahre lang zur See gefahren, weil seine Mutter es für charakterbildend hielt. Das war der Beginn einer Reise, auf der er nun einen dieser übel beleumundeten Billigkrimis inszenierte, in dem eine Blondine umgebracht wird, nachdem sie sich ohne Wissen ihres Vaters mit einem Mann im "Blue Club" getroffen hat (nach den Blue Halls benannt, den Kinos des alten Carreras). Mit ironischer Distanz zum Stoff muss man bei Fisher immer rechnen.

Als treu sorgende Assistentin Stella steht Brent Marguerite Chapman zur Seite, die schon aufregendere Zeiten erlebt hatte, obwohl sie am Ende wenigstens vor dem Feuertod gerettet werden muss (als Eve Corby im Republic-Serial Spy Smasher vereitelte sie zehn Jahre vorher Sabotageakte der Nazis). Überstrahlt wird Marguerite von Britanniens Antwort auf Marilyn Monroe, Diana Dors, die als Ruby ihre bis dahin größte Rolle spielte. Ruby ist eher die naive Blondine als die dämonische Verführerin, aber eine Femme fatale ließ sich besser verkaufen. Lippert änderte deshalb für die Kinoauswertung in den USA den langweiligen Titel (aus The Last Page wurde Man Bait) und ließ ein Plakat malen, auf dem Diana Dors in einem trägerlosen BH zu sehen ist. Mit der Filmhandlung hat das nichts zu tun, und Ruby stellt den Männern auch keine Falle, doch für den Kartenabsatz war es eine gute Sache.

The Last Page

Für einen Film, hat Godard einmal gesagt, braucht man nur eine Frau und eine Pistole. Um einen Film zu verkaufen, brauchte James Carreras ein Plakat und einen Titel. Er versprach dann ein großartiges Werk und führte bei Gelegenheit eine Demorolle mit Höhepunkten aus dem gerade in der Produktion befindlichen Film vor, um die Kinobetreiber bei der Stange zu halten. Hammer-Veteranen und Hammer-Historiker erzählen gern die Anekdote, wie er ein Auto ohne Motor an den Mann brachte, nur um zu zeigen, dass er es konnte. Carreras war zweifellos ein Verkaufsgenie. Doch die frühen 1950er, die in Hammer-Büchern kaum erwähnt werden und die in den Selbstdarstellungen der Firma nicht vorkommen, legen den Schluss nahe, dass er nicht als Genie geboren wurde, sondern viele Tricks des Gewerbes erst von Lippert lernte.

The Last Page

Fisher scheint an The Last Page weniger die unausgegorene Kriminalgeschichte als die Beschreibung der hierarchisch geordneten Nachkriegsgesellschaft interessiert zu haben. Einen nicht sonderlich ambitionierten Film wie diesen würde man mit der Behauptung erschlagen, dass die Buchhandlung ein Mikrokosmos des englischen Gemeinwesens sei, aber etwas in der Richtung ist es doch. In diesem Laden herrscht der Muff einer von Animositäten zwischen den Generationen sowie zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und von sexueller Verklemmtheit geprägten Klassengesellschaft, und Fisher gelingt es recht gut, das sichtbar zu machen. Szenen wie die in den Ruinen einer bei deutschen Luftangriffen zerstörten Kirche verankern das Geschehen dabei in der Nachkriegszeit. Die Filme von Terence Fisher haben immer einen starken Bezug zur Gegenwart. Es lohnt sich, das im Auge zu behalten, wenn man Dracula oder The Curse of Frankenstein sieht. Für Vampirfans sei noch erwähnt, dass Raymond Huntley, der Bühnen-Dracula von 1927, in The Last Page einen bigotten Buchhändler spielt (das Stück war die Vorlage für den Film mit Bela Lugosi).

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