Zweifel in den USA: Droht der Ukraine die Selbstzerstörung?

Zu seinen Kriegszielen zählt auch die Rückeroberung der Krim: Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj. Foto: President Of Ukraine from Україна / CC0 1.0

Ist ein "geschwächter Kreml" nur ein frommer Wunsch des Westens? Im saudischen Jiddah stehen Gespräche an – verbunden mit der Hoffnung auf einen Einstieg in den Ausstieg aus dem Krieg.

Zweifel am gesetzten Kiewer Kriegsziel – dem kompletten Rückzug der russischen Streitkräfte von ukrainischem Territorium, was auch auf die Krim bezogen wird – kommen ausgerechnet aus den USA, die oft als Kriegstreiber gesehen werden. Lauter werdende Stimmen werfen die Frage auf, ob die ukrainische Gegenoffensive ihr Ziel erreichen kann: Dem Land drohe die Selbstzerstörung, wenn es den Krieg immer weiter fortsetzen wolle, heißt es.

Das deutsche Nachrichtenportal German Foreign Policy zitierte diese Woche unter dem Motto "Vom Schlachtfeld zum Verhandlungstisch" eine solche Einschätzung von US-Außenexperten vor dem Hintergrund des US-Wahlkampfs. Veröffentlicht wurde deren Statement in der einflussreichen US-Zeitschrift Foreign Affairs.

Patt mit Folgen

Unter Berufung auf ehemalige Regierungsmitarbeiter werden in dem Experten-Artikel auch die "exzessiven Ausgaben für die ukrainische Kriegführung" betont. Angesichts der schleppend verlaufenden Gegenoffensive der Ukraine sei mit "einer Pattsituation" zu rechnen, in der beide Seiten ihre Waffen zurückziehen und "faktisch eine entmilitarisierte Zone schaffen" müssten.

Beobachter – etwa der Vereinten Nationen oder der OSZE – sollten den Waffenstillstand überwachen. In einem nächsten Schritt könne über Friedensverhandlungen nachgedacht werden.

Einstieg in den Ausstieg?

Am 24. Juni kamen in Kopenhagen bereits Vertreter der Ukraine, einiger westlicher Staaten und von fünf Staaten des Globalen Südens zusammen.

Mittlerweile haben erste Gespräche in größerem Rahmen stattgefunden, die offenkundig darauf abzielten, Kiew einen Weg zum Einstieg in den Ausstieg aus seinen Kriegszielen zu bahnen.


German Foreign Policy

Thema sei der Einstieg in den Ausstieg. Die Gespräche sollen am kommenden Wochenende im saudischen Jiddah weitergeführt werden, darunter mit weiteren Teilnehmern wie Mexiko, Indonesien, Chile, Ägypten und Sambia. Ob die Ukraine sich darauf einlässt, steht allerdings in Frage.

Derweil warnen Beobachter vor falschen Schlüssen. Russland ist offenkundig dabei, seine Anstrengungen zu verstärken und alle Kräfte für den Krieg zu mobilisieren, heißt es mit Blick auf die aktuelle Lage. Die Wehrpflicht wurde ausgeweitet, die Altersgrenze für die Einberufung angehoben; die Lage wird daher so eingeschätzt, dass Putin dem Westen um jeden Preis und auch auf lange Sicht Widerstand leisten werde. "Putin hofft auf einen größeren Krieg in der Ukraine, nicht auf einen Ausweg", befand die Financial Times vor wenigen Tagen.

1,5 Millionen Russen unter Waffen

Als Beleg für die ungebrochen kriegerische Haltung des Kreml führen westliche Medien den aktuellen Gastbeitrag von Alexander Gabuev, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center, in der Financial Times an. Das Carnegie Moscow Center, das er zuvor leitete, wurde 2022 vom Kreml geschlossen. Laut Gabuev schätzt Russland seine Aussichten anders ein als der Westen: Die russische Führung glaube weiterhin, sich einen langen Krieg leisten zu können.

Erst im vergangenen Herbst beispielsweise wurde die Anzahl der aktiven Berufssoldaten und Wehrpflichtigen um mehr als 30 Prozent auf 1,5 Millionen erhöht. Der Westen hänge zwar der Erzählung eines "geschwächten Kremls" nach. Jedoch:

Die Gesetzgebung, die es dem Kreml ermöglicht, Hunderttausende von Männern in den Kampf zu schicken, offenbart eine traurige Wahrheit: Wladimir Putin ist weit davon entfernt, seinen katastrophalen Krieg in der Ukraine hinter sich lassen zu wollen und bereitet sich auf einen größeren Krieg vor.


Alexander Gabuev in der Financial Times

Zeitenwende in "globalem Format"?

Das Bild bleibt also schillernd. Ein Leitartikel des Kölner Stadt-Anzeigers (KStA) sieht Putin unter Druck, er habe die Hilfsbereitschaft des Westen für die Ukraine unterschätzt. Die westlichen Waffenlieferungen würden weitergehen, nicht peu à peu, sondern "als konstanter finanzieller und technologischer Zustrom".

Rheinmetall plant eine Fabrik vor Ort für den Kampfpanzer Panther, gepaart mit der nötigen Flugabwehr. "Eine auf diese Art gestärkte Ukraine wird sich nicht unterjochen lassen, das kann Putin vergessen", heißt es in dem Leitartikel des Kölner Stadt-Anzeigers.

Im US-Kongress, so das Blatt, gebe es Anzeichen für die Entschlossenheit, einen Erfolg Putins unbedingt zu verhindern, "damit nicht auch China auf dumme Gedanken kommt". Die in Berlin ausgerufene Zeitenwende erhalte in Bezug auf den Ukraine-Konflikt ein "globales Format". Diesem transatlantischen Common Sense stimmten auch Japan, Südkorea und Australien zu.

Während in der breiten Öffentlichkeit die Ukraine weiterhin als "Raum der Entscheidung" figuriert, stellt die ukrainische Landschaft als Todeslandschaft und Friedhof das propagierte Staatsziel Kiews ebenso in Frage wie den Moskauer Furor. Sie tut es stumm, von den Medien kaum beachtet.