Zweischneidige Kammerjagd
Lost Planet 2
Zehn Jahre sind seit den Ereignissen von Los Planet: Extreme Conditions vergangen und drei in der Realität. Was hat sich getan auf E.D.N.III, dem ungemütlichen Eisplaneten mit seinen einheimischen Insektenmonstern.
Hält der hoch angepriesene AAA-Titel, was die Entwickler versprachen? Ein ganz klares: Jein! Denn nur die alteingeschworene Fangemeinde wird sich bemühen, die komplexen und nicht immer sehr glücklichen Spielmechanismen kennen und in einigen Fällen entschuldigen zu lernen.
Grundsätzlich gilt: Lost Planet 2 ist ein spektakulärer, optisch sehr aufwändig inszenierter Third-Person-Shooter, dessen Originalität seines Starship Troopers-ähnlichen Science-Fiction-Szenarios im Medium der Spiele einzigartig ist.
Die Story knüpft an die Ereignisse von Teil eins an: Nachdem die Erde unbewohnbar wurde, siedelte die Menschheit ins Weltall aus. Als mögliche neue Heimat kam E.D.N.III in Frage, ein Eisplanet, dessen Bewohner – verschiedenartige Insektenwesen, so genannte Akrids – die Hightech-Invasion mit Kampfrobotern erfolgreich bekämpften. Gruppierungen aus Schneepiraten und der Geheimorganisation Nevec blieben zurück, im Dreikampf gegeneinander und über Kreuz. Nach einem Jahrzehnt heftiger Kriege hat sich die Oberfläche von E.D.N.III verändert: An vielen Stellen ist nur noch wenig übrig geblieben vom ewigen Eis. Neben vereinzelten Schneelandschaften in einigen Gebieten haben sich Dschungel und Wüsten gebildet, die ebenso von Akrids bewohnt sind.
Brauchte der Spieler im Vorgänger „Lost Planet: Extreme Conditions“ noch Thermalenergie, um in der Kälte zu überleben, sammelt er sie nun zum Antrieb von Waffen und Fahrzeugen sowie zum Heilen. Wie gehabt, bleibt vom Gegner nach seinem Ableben eine entsprechende Menge der orangenen Flüssigkeit. Einige hinterlassen sogar Kisten, die sich in den verschachtelten Menüs per Zufallsgenerator in Ausrüstungsgegenstände umwandeln lassen. Und hier liegt der erste Kritikpunkt: „Lost Planet 2“ erklärt dem Spieler so gut wie nichts, angefangen bei der Einzelspielerkampagne. Startet er sie intuitiv von der Grundeinstellung, verbindet sich das Spiel mit dem Netzwerk von Xbox 360 (Xbox Live) oder PlayStation 3 (PlayStation Network) und ermöglicht anderen Spielern, der Sitzung beizutreten. Sollte kein anderer hinzukommen, werden die drei Mitstreiter von künstlicher Intelligenz gesteuert. Obwohl dann zwar nicht online gespielt wird, verbietet es sich während der Mission zu pausieren – wohl aus Gründen, ein wirkliches Koop-Spiels zu simulieren. Die völlige Beschränktheit der Pappkammerjäger zerstört allerdings die Illusion. Nur mit Glück leisten sie ihren Beitrag zum Erfolg und posieren sonst teilnahmslos im Kugelhagel.
Da die Kampagne offensichtlich für vier denkende, untereinander kommunizierende Wesen programmiert wurde, benötigen Einzelspieler oft mehrere Leben gegen das von allen Seiten angreifende Feindesbollwerk. Erschwerend kommt hinzu, dass Gegner nahezu alle Angriffsaktionen unterbinden können: Steht der Spieler im Kreuzfeuer, kann er keine Granaten werfen oder zurückschießen, nur noch versuchen auszuweichen. Derart veraltete Steuerungsdesigns drücken auf den Spielspaß. Denn obwohl „Lost Planet 2“ Gewaltdarstellungen ausspart, drängt es mit allen verfügbaren Mitteln auf den Tod des Spielers – oft leider auch mit unfairen.
Ein Paradebeispiel: Ungefähr bei der Hälfte der Kampagne beginnt ein episch angelegtes Gefecht auf zwei parallel fahrenden Zügen, das sich über drei lange Level-Abschnitte erstreckt und in einen massiven Bosskampf mündet. In dieser einzigen Mission zeigt „Lost Planet 2“ all seine hohen Ambitionen und ärgerlichen Schwächen: Hat sich der Spieler mit riskanten Sprüngen von Waggon zu Waggon gekämpft und konnte es trotz chaotischer Kameraeinstellungen vermeiden, wiederholt vom Zug gebombt zu werden, begegnet er einem berggroßen Akridenwurm. Während das Monster die Lok rammt, rät der Spieler, was zu machen ist. Die mächtige Kanone auf dem Dach kann an zwei Stellen geladen und an einer gedreht werden, ein Kran hebt Munition an und setzt sie ein, seitlich des Zugs sind Schützentürme angebracht und ein überhitzendes Kühlsystem im Bauch des Waggons muss ständig überwacht werden. Aufgabe ist es an jeder Flanke des Ungetüms fünf, sechs verletzliche Stellen mit mehreren Treffern zu zerstören und zwischendurch entstehende Brände zu löschen. Leert sich die begrenzte Kampfpunktzahl des Teams durch zu viele Tode, ist im klassischen Sinne des Wortes „Game Over“: Bei einem Neustart beginnt die 30- bis 45 Minuten lange Mission ganz von Anfang.
Internationale Fachmagazine gehen hart ins Gericht mit Capcoms Toptitel. Doch neben Bewertungen wie 5.5/10 (GameSpot) fallen auch Bestnoten wie 8.5 (GameInformer). Denn trotz seiner Schwächen ist „Lost Planet 2“ ein spannendes Actionspiel, das einen großartigen Spielwert liefert. Neben der Kampagne, deren Missionen sich nach dem Durchspielen einzeln anwählen lassen, um Punkte für neue Kostüme, Waffen und Fähigkeiten zu sammeln, stehen zehn Multiplayer-Maps bereit – von typischen Deathmatch- über Capture-the-flag-Modi bis zu groß angelegten Fraktionskriegen, die über mehrere Tage andauern. Die Schlachtfelder sind noch verrückter als die von Teil eins: Sei es in der Schwerlosigkeit auf einer Raumstation im All, unter oder über Wasser sowie in einer Gladiatoren-Arena vor Publikum. Auch in Onlinematches kommen die verrückten Waffen, Laufroboter, Fahr- und Flugzeuge zum Einsatz. Und so ist „Lost Planet 2“ unterm Strich genau das geworden, was die Community sich gewünscht hat – nicht mehr und nicht weniger.