Zwischen Lockdown-Leugnern und Pandemie-Panikern

Seite 4: Beispiel Schweden

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Nun also haben wir fast alles: Ohne wirksame Bekämpfung der Infektionskette durch z.B. Lockdown oder einen Impfstoff droht ein Blutbad in der ungeschützten Bevölkerung. Aber was ist denn nun mit Schweden? Nun, wenn wir die nackten Zahlen ansehen, dann vermeint der oben erwähnte Professor Homburg folgendes zu entdecken: Schweden ist, obwohl alle Cafés offen sind, viel besser, wie man an der blauen versus der gelben Kurve sieht:

Grafik: Die Welt

Da sieht Deutschland - das ist die hohe gelbe Kurve - ja so richtig schlecht aus. "Übersehen" hat der Herr Professor, dass in Deutschland achtmal mehr Menschen leben als in Schweden, 82 Mio gegen 9,9 Mio - er hat für die obige Grafik nämlich die Absolut-Zahlen genommen. Wenn man diese auf den korrekten Vergleichswert von Todesfällen pro eine Million Einwohner normiert (was der berühmte worldometers.info tut, man also problemlos in der drittletzten Spalte ablesen kann), dann sieht es so aus (am 22.4.): Schweden mit 192 Toten je 1 Mio EW, Deutschland dagegen 63, Schweden hat also über 3 mal mehr Tote, nicht weniger als Deutschland.

Homburg hat übrigens noch einen bösen Taschenspielertrick angewandt, um Deutschland möglichst schlecht aussehen zu lassen: Er hat die Zahlenbalken nicht nebeneinander gesetzt, so dass man sie vergleichen könnte, sondern übereinander. Was, weil Deutschland ja mit Gelb oben steht, dazu führt, dass man die Zahlen rein optisch drastisch überschätzt. Das ist die hohe Kunst des Lügens mit Statistik. Wundert irgendwen, dass auch er sich von Frau Predovic interviewen lässt, die sich ja schon mit ihrem Wodarg-Interview fantastisch blamiert hat?

Nimmt man Deutschlands Lockdown-Politik als Maßstab, dann hat der schwedische Staatsepidemiologe mit der von ihm zu verantwortenden Laissez-Fair-Politik 200% mehr Tote zu verantworten. Die anderen Nordländer haben es anders gemacht - und das sieht man auch: Dänemark mit 66 C-19-Toten pro 1 Mio EW ähnlich wie Deutschland, Norwegen mit 33 noch weit besser, genauer: fast 6 Mal besser. Und dabei waren Norwegen und Schweden mal gleichauf: am 14. März '20 gab es in Norwegen (5,5 Mio EW) 1.090 Infizierte und 3 Tote, in Schweden (mit 9,9 Mio EW fast doppelt so groß) 961 Infizierte und 2 Tote. Heute: Norwegen 7.338 / 187 und Schweden: 16.004 / 1.937.

In absoluten Zahlen sind das natürlich immer noch nur wenige, denn auch in Schweden sterben jedes Jahr ca. 120.000 Menschen eines natürlichen Todes, da fallen die jetzigen 2000 C-19-Toten kaum auf. Aber viele meinen, Schweden sei jetzt schon "durch", sozusagen auf dem Weg in die Herdenimmunität, und damit Deutschland weit voraus. Was für ein fataler Irrtum.

Selbst hochgerechnet mit einer 2% Letalität, die die Dunkelziffer C-19-Positiver, aber Symptomloser berücksichtigt, gibt es in Schweden nur 100.000 Infizierte. Das wären schon 6 Mal so viele wie offiziell angegeben. Aber von 9,9 Millionen, die es noch nicht sind, noch Faktor 99 entfernt. 9,8 Millionen Schweden sind also noch nicht infiziert und damit auch nicht (herden)immun. Auch mit dem schwedischen Weg werden sie es nicht dieses Jahr und nicht nächstes, auch nicht bei 100.000 Infektionen pro Monat nicht. Aber bis zum Impfstoff sterben dann in Schweden dreimal so viele Menschen wie in Deutschland und sechsmal so viele wie in Norwegen.

Wieviel Immunität ist notwendig?

Das ist immer abhängig von der Infektiosität der Krankheit. Die Masern haben ein R° von 15-20, da braucht man 95% Herdenimmunität um neue Ausbrüche sicher zu verhindern. Aber Masern haben auch nur eine Letalität von 0,1%, ein Promille. Trotzdem: 760 tote Kinder jedes Jahr durch eine vermeidbare Krankheit, das wäre gesellschaftlich nicht akzeptabel. Zumal die Rate der teils schweren bis schwersten Gesundheitsschäden nach überstandener Infektion zehnmal höher ist - deshalb: Impfung.

Die Letalität einer Grippe ist eher niedrig mit 0,1% und bis die Saison (die Erreger sind stark saisonal, ggfs. klimatisch bedingt, was bei SARS und MERS nicht der Fall ist, daher bei C-19 noch völlig unklar). Bis also die Grippe-Saison "durch" ist, reicht eine Immunität von 20-25% der Bevölkerung - in ungefähr auch die Impfrate, so dass normalerweise nur ein paar hundert oder 1000 Grippetote zu verzeichnen sind.

Zielt der Impfstoff mal auf den falschen Erreger, wie 2017/18, können es auch mal 25.000 werden - man sieht, was eine Ähnlichkeitsimmunisierung durch vorangegangene Grippen bewirken kann, denn ein fast gänzlich neuer, unbekannter Grippeerreger wie die spanische Grippe, kann eben auch - z.B. im deutschen Reich von 1919 - bis zu 300.000 Tote verursachen. Da damals angeblich 2 von 3 Menschen infiziert waren, wäre das ein Letalität von 300.000/(60Mio*2/3) = 0,75%. Und wenn wir bei Corona mit 2% rechnen müssen, ahnen Sie vielleicht, was uns blühen würde ohne Lockdown und ohne Impfung.

Für C-19 rechnet der Virologe Drosten mit Herdenimmunität bei 60-70%, keine völlig unplausible Annahme. Das wären in Schweden etwa 6-7 Millionen Menschen. Und bei der derzeitigen Politik 120.000-140.000 Tote. Skål, Herr Tegnell.

Die Politik hat Fehler gemacht

Ischgl hätte schon am 6. März seine Aprés-Ski-Virenschleudern schließen müssen. Der Karneval & Fasching hätte abgesagt werden müssen. Maskenpflicht für alle im öffentlichen Raum ab dem 10. März. Wäre, wäre, Fahrradkette.

Mal eine Frage: OHNE die daraus entstandenen Hotspots mit den Schreckenszahlen, wie hätte man das der Bevölkerung erklären sollen? Wie durchsetzen? Immerhin, ganz grobe Fehler wie in der Lombardei, wo man alte infizierte Menschen aus dem Krankenhaus in Altenheime umgelagert hat, sind vermieden worden.

Ansonsten: etwas Glück gehabt, keine 2000-Menschen Bet- und Singwoche bei uns wie in Mulhouse. Keine Internationaler-Tag-der-Frauen-Kundgebung mit 120.000 Teilnehmerinnen wie in Madrid. Keine C-19-Verharmloser wie die beiden blonden Witzbolde in London und Washington.

Und es wäre rechtschaffen und hilfreich gewesen zu sagen: Masken schützen nicht uns selbst, aber die anderen. Wir haben versäumt, welche zu besorgen, das passiert halt mal, jetzt müsst Ihr uns helfen: Bastelt Euch welche, die beste Anleitung kriegt ein Bundesverdienstkreuz. Die Bevölkerung hätte diese Ehrlichkeit zu schätzen gewusst anstelle der dämlichen Herumlaviererei.

Ansonsten: Es wird wohl zu früh und zu viel intubiert. Auch da ein ökonomisches Dilemma: Man hat die Intensivstationen frei geräumt und anstehende OPs abgesagt. Und verdient somit kein Geld. Viele Intensivbetten stehen leer. Das teuerste ist eine Intubation. Und sie ist als Leitlinie der Goldstandard, an den die Ärzte sich halten müssen, der aber für die atypische C-19-Lungenentzündung möglicherweise nicht der passendste ist. Mehr muss man nicht dazu sagen, außer dass die Überlebensrate offenbar nicht so günstig ist und einige trotz unterirdischer Sauerstoffsättigung durchaus lebendige Menschen nach Intubation schnell verstarben. Arztbericht hier.

"In Hamburg ist niemand ohne Vorerkrankung an Corona gestorben"

Der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel untersucht mit seinem Team die Corona-Opfer in der Hansestadt, und er hält die Angst vor dem Virus für überzogen. In Hamburg sei bisher kein einziger nicht vorerkrankter Mensch an dem Virus gestorben, sagt Püschel der "Hamburger Morgenpost". "Dieses Virus beeinflusst in einer völlig überzogenen Weise unser Leben. Das steht in keinem Verhältnis zu der Gefahr, die vom Virus ausgeht", sagt der renommierte Rechtsmediziner. "Ich bin überzeugt, dass sich die Corona-Sterblichkeit nicht mal als Peak in der Jahressterblichkeit bemerkbar machen wird.

WELT.de

Was das letztere angeht: Da irrt er sich, schon jetzt liegt in Bergamo die Übersterblichkeit für März bei 400%, das wird sich auch in der Jahressterblichkeit auswirken müssen. Und wenn nur ein Monat mit 400% dazu kommt, dann ist das wie 11+4 Monate, also 15 statt 12, dann muss das in der Bergamo-Jahresstatistik auffallen.

Püschl ignoriert zudem, dass nicht nur ganz alte Menschen, bei denen es vielleicht wirklich nur um einige Monate gegangen wäre, vorzeitig sterben, sondern auch relativ junge, wie der Partner des Berliner Ex-Bürgermeisters Wowereit, der an COPD litt, damit aber noch etliche Jahre hätte leben können.

Ja, offenbar können Gesunde auch mit 93 oder 98 oder 101 die Infektion überleben. Dürfen wir deshalb alle Vorerkankten zum Tod verurteilen? Wie viele sind das überhaupt? Da sind die Asthmatiker, ca. 8 Millionen. Die Diabetiker, ca. 6 Millionen. Die Bluthochdruckpatienten, ohhh: 20-30 Millionen? Und 75% aller über 70-Jährigen?

Es ist sicher nicht zu hoch gegriffen, wenn wir uns auf 15 Millionen einigen, die der einen oder anderen Risikogruppe angehören. Dürfen wir die alle einer C-19 Infektion aussetzen? Denn klar, die Gesamtletalität bezieht sich auf alle, wenn aber nur Risikomenschen sterben, dann verfünffacht sich die Letalität auf 10%. Ein 50-jähriger Asthmatiker, der mit mit C-19 plötzlich einen 1:10 Chance hat, vorzeitig zu sterben, dürfte etwas anderer Meinung sein als Herr Püschl, wenn der sagt: Das steht in keinem Verhältnis zu der Gefahr, die vom Virus ausgeht."

Ja, aber wann können wir denn wieder normal leben?

Wenn ein Impfstoff wirksam geprüft ist und alle 15 Millionen Risiko-Personen geimpft sind. Das kann dauern. Bis dahin muss die R°-Rate unter 1 bleiben. Also Kneipen geschlossen, Theater und Kino auch, kein Fußball, keine Festivals.

Warum 1, warum nicht 1,2? Die 1,2 hat Merkel so erklärt: Das ist, wenn von 5 Menschen 4 nur einen anstecken, aber einer dann zwei, zusammen also sechs. 6 durch 5 ist 1,2. Machen wir es wieder als Reihe: 1,2 > 1,44, > 1,73 > 2,07 > 2,49 > 2,99 > 3,58 > 4,3 > 5,16 > 6,2. In 10 Wochen also mehr als 6 statt 1. In weiteren 10 Wochen 38 statt 1. Oder 380.000 statt 10.000. Und daraus 7200 Tote. Während es bei 1 auch genau bei 1 geblieben wäre. Das ist die Krux einer exponentiellen Ausbreitung, R° ist ein sehr empfindlicher Faktor, das Gleichgewicht fragil. Unter 1 gehen die Infektionen natürlich irgendwann von selbst gegen Null, und da will man gerne hin, solange es keinen Impfstoff gibt.

So, jetzt alles klar? Würde mich freuen. Soviel noch: Es gibt Menschen, die darüber nachdenken, wie Mutter Natur es eingerichtet hat, dass die Menschheit auch ohne Apparatemedizin die ständigen Angriffe bösartiger Parasiten, Bakterien und Viren überlebt hat. Und dass das entscheidende Element dabei - Vitamin D - vielleicht auch die Covid-19 Letalität soweit senken könnte, dass wir nicht auf einen Impfstoff warten müssten. Ich habe darüber eine ganze Website gemacht und dazu auch in Telepolis publiziert: Schützt Vitamin D vor Covid-19?.

Ein kluger Kopf, der mich daraufhin angeschrieben hat, Biochemiker seines Zeichens, schrieb mir dazu:

Mach Dir klar, dass es bei diesem Thema - wie übrigens nirgends auf dieser Welt - nicht um Wahrheit geht, sondern um handfeste finanzielle Interessen. Die Pharmaindustrie verdient - ganz unabhängig von Covid-19 - an jeder über Vitamin D Mangel ausgelösten Infektion und an jedem über Vitamin D-Mangel ausgelösten Krebs Unmengen an Kohle. Wir reden da über Milliarden. Ich habe drei Jahre bei Roche gearbeitet und weiß wovon ich rede. Die haben Null Interesse daran, dass die Mehrheit der Bevölkerung über ein "Billigmedikament" wie Vitamin D wesentlich gesünder wird. Und dann sind da noch die Unmengen an Ärzten/Kliniken, die auch an den Kranken verdienen. Ganz zu schweigen von den "Koryphäen", die schon seit Jahren das Vitamin D Thema als Hype einiger Spinner abtun. Da geht es um Gesichtsverlust und das zählt oft noch mehr als Geld.

Das will ich einfach mal so stehen lassen. Zum Verschwörungstheoretiker werde ich deshalb trotzdem nicht mutieren.

PS: In Schweden mussten gerade zwei wissenschaftliche Studie zurückgezogen werden:

Damit ist die Annahme nicht mehr haltbar, dass [...] in Wirklichkeit sogar schon 20 bis 30 Prozent aller Schweden angesteckt gewesen und damit immun sein könnten. …

Und auch Staatsepidemiologe Anders Tegnell musste einen Rückzieher machen. Die Gesundheitsbehörde hatte aufgrund einer Studie vermutet, dass auf jeden nachgewiesenen Corona-Fall in Schweden 999 unerkannte kämen. Bei etwa 6400 Erkrankten allein in Stockholm hätte das allerdings mehr als sechs Millionen Infizierte bedeutet, während in der Stadt nur knapp eine Million Menschen leben.

tagesschau

Muss ich noch mehr sagen zum Problem: Statistik ist schwierig? ;-)

Lorenz Borsche hat Mathematik und Physik studiert, später Soziologie und Politologie. Er ist Software-Entwickler (POS/PPS) und Statistik sein langjähriges Steckenpferd. Vom Spiegel wurde er wegen seiner Kritik an PISA einmal ironisch als "Statistik-Guru" bezeichnet. Er ist Gründer der größten Buchhändlerinnen-EK-Genossenschaft (ebuch eG) mit einem eigenem, bundesweiten Webshop genialokal.de. Zuletzt ist von ihm das Buch erschienen: Zucker: Tödliche Versuchung.