"… dann würden die USA der Ukraine den Gashahn zudrehen"

Seite 2: Einflusssphären sorgen nicht für Stabilität

Politische Gespräche haben im Januar kein Ende der zunehmenden Spannungen zwischen dem Westen und Russland gebracht. Indes wurden aus sicherheitspolitischen Kreisen mehrere Appelle lanciert. Wie groß ist die Unruhe im Militär, Sicherheitspolitik und Diplomatie?

Reiner Schwalb: Das russische Handeln, das ja nicht erst seit der Krim-Annexion von manchen Politikern und Experten als aggressiv angesehen wird, hat natürlich mit der jetzigen Truppenverstärkung die Debatte um einen Umgang mit Russland neu belebt, der den eigenen deutschen Interessen gerecht wird. Ich halte dies weniger für Unruhe als für nachvollziehbares Ringen um den richtigen Weg – intern und mit unseren Partnern.

Zahlreiche westliche Beobachter haben dem russischen Präsidenten Putin vorgeworfen, eine Rückkehr zur Politik der Einflusssphären anzustreben. Trifft das zu?

Reiner Schwalb: In gewissem Sinne ja. Sicherheitspolitisch will Russland sicherstellen, dass es keine zusätzlichen militärischen Einrichtungen, insbesondere keine US-Stationierungen, in seiner unmittelbaren Nachbarschaft gibt.

Sind Einflusssphären aber nicht geopolitische Realität? Oder könnten morgen die Russen Raketensysteme und Truppen in Kuba und Venezuela stationieren?

Reiner Schwalb: Die Geschichte Europas hat doch gezeigt, dass Sicherheitszonen, festgeschriebene Einflusssphären, langfristig nicht zu mehr Stabilität, sondern zu neuen Konflikten geführt haben. Die europäische Sicherheitsarchitektur hingegen, so wie auch in der Charta von Paris neu betont, hat sich grundsätzlich bewährt.

Elemente wie gleiche Sicherheit, Selbstbestimmungsrecht der Staaten, Multipolarität, Achtung der Menschenrechte sind doch gut. Deswegen haben wir in unserem Aufruf auch für eine Wiederbelebung plädiert. Wenn man auf der Arbeitsebene nicht weiterkommt, muss man sich hochrangig treffen.

Warum, denken Sie, ist es so schwer, einen realpolitischen Ausweg aus der verfahrenen Lage zu finden?

Reiner Schwalb: Zu viel wird von Spitzenpolitikern in der Öffentlichkeit diskutiert. Das erscheint in unserer offenen Gesellschaft zwar wichtig. Damit fällt es aber beiden Seiten schwerer, gesichtswahrende Kompromisse zu finden.

Gesichtswahrend erscheint mir in der jetzigen Situation nur ein Ausweg: Sowohl die USA, die Nato, die EU und die Ukraine als auch Russland müssen Erfolge für sich reklamieren können.

In solchen Situationen sollte man offen reden, nicht aber öffentlich. Dies gilt auch für die interne Abstimmung in Nato und EU. Da wir militärische Lösungen ausgeschlossen haben, ist die Kreativität der Diplomatie gefragt.

Wie bei allen großen Kontroversen ist auch die Debatte über Russland stark polarisiert. Wie sind Ihre Erfahrungen in sicherheitspolitischen Kreisen, welche Reaktionen haben Sie nach der Mitzeichnung des Aufrufs "Raus aus der Eskalationsspirale" erfahren?

Reiner Schwalb: Es gab positive und negative Reaktionen. Da unser Ziel war, die Debatte neu zu beleben, kann man feststellen, dass dies auch mit konkreten Vorschlägen geschehen ist. Mit Argumenten sollten wir uns rational und realpolitisch auseinandersetzen.

Wenig hilfreich sind Emotionalisierungen und Kategorisierungen wie "naive Russland-Versteher" gegen "ewiggestrige Kalte Krieger". Dafür sind das Thema und auch die jetzige Lage zu wichtig. Empörung ist für Betroffene zwar gerechtfertigt, scheint mir aber ein schlechter Ratgeber für eine Konfliktlösung zu sein.