documenta x - Im Rauschen der medialen Bilder

Kunst, Institutionskritik und der Server der documenta x

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Ein Teil der Fachpresse Kunst hat ein Problem mit der Leiterin der documenta x, Cathérine David. Sie sagt angeblich nichts, bzw. fehlen bei ihren Pressekonferenzen auffällig die griffigen, "medientauglichen" Statements, wie sie ihre zum Teil fast als Zirkusdirektoren erscheinenden Vorgänger zu verteilen wußten. So wurden ihr bisweilen schon Ideenlosigkeit und Geheimnistuerei vorgeworfen. Markus Huemer hat jedoch einen anderen, David-freundlichen Erklärungsansatz. Zudem hat er sich die ersten sichtbaren Zeichen der documenta x, eine Arbeit von Christian Philipp Müller, sowie den Internet-Server der documenta x vorgenommen. Ein Sonderbericht zur documenta x von Kunst_Newsletter Kolumnist Markus Huemer.

documenta x Server

»Eines der melancholischeren, manchmal sogar deprimierenden Gesetze der Geschichte liegt darin, daß erst der Verfall eines gegebenen Gegenstands - der Ruin einer Institution, das Ende einer kulturellen Entwicklung, das Veralten einer Idee - die Geschichte dieses Gegenstandes sichtbar macht, seine historische Betrachtung ermöglicht. Was ist nun von einer documenta zu halten, die von ihrer künstlerischen Leiterin als "Retrospektive" definiert wird, als eine Ausstellung, die auf ihre Vorgänger zurückschaut, um so die Situation der Gegenwartskultur deutlicher herauszuarbeiten?«

Die einleitende Textpassage des Konzeptes »Ein Balanceakt« für die documenta X von Christian Philipp Müller faßt das Programm der Veranstaltung in Kassel treffend. Wie schon im Newsletter Februar geschrieben, geht es Cathérine David darum, herauszufinden, welche Bilder, welche Ereignisse sich in der Geschichte bleibend manifestieren. David läßt sich dabei von der Loop-Theorie, welche im Kontext der französischen Filmtheorie kursiert, leiten. Der undifferenzierten Bilderflut unserer Kommunikationssysteme kann nur Kultur entgegengesetzt werden, eine Kultur der unauffälligen Bilder, kann nur das Spezifische entgegengesetzt werden, welches nicht alles preisgibt und auf das verweist, was nicht im Bild ist, auf das »andere«.

Kultur: ein geglücktes Mißverständnis. Das Gegenteil von Kultur: die Kommunikationsschleife, bei der nur herauskommt, was vorher schon drin war.

documenta-documents II

Konsequent versagt sich David dem Inflationären, seien es Hype-Diskurse, Hype-Künstler oder übertriebene PR- und Marketingstrategien, wie es noch ihre Vorreiter praktizierten. Auch der Server der documenta X ist in diesem Sinne konzipiert. Der strukturellen Anlage des Mediums, unzählbar viele Bilder und Informationen quer über den Global zu senden, beziehungsweise den technodeterministischen Künstlern im Rausch ihres Mediums, stellt sie eine selektive Sites- und Künstlerauswahl entgegen. Nahezu nichts auf diesem Server hat auch nur im entferntesten etwas mit den gegenwärtigen Diskussionen des Mediendiskurses zu tun, kaum ein Künstler auf dem documenta-Server konnte bislang in der Medienkunstlandschaft etwas erreichen . Die "Medienkunstspezifik" schien der documenta-Leiterin kein Kriterium für den Server zu sein. Eher ist auch hier das Gesamtkonzept der documenta X mit der Konzentration auf das Herausragende zu spüren und die getroffene Wahl ist im besten Sinne Mittel zum Zweck.

Einzilbild aus jodi.orgs WebSite

Mit Christian Philipp Müller findet das documenta X-Konzept vielleicht die treffenste Visualisierung. Er bezieht sich einerseits auf das »7000 Eichen-Projekt« von Joseph Beys aus dem Jahre 1977 und andererseits auf den »Vertikalen Erdkilometer« von Walter de Maria. Sowohl Beuys's auf die soziale Wirksamkeit abzielende Eichen wie auch der rein ästhetische »vertikale Erdkilometer« wurden auf dem Friedrichsplatz realisiert. Beide Konzepte wurden im Zuge der Neugestaltung des Friedrichsplatzes derart umgestaltet, daß diese zurecht für Christian Philipp Müller als Signifikant für das Scheitern der Utopie einer wirksamen Kunst im öffentlichen Raum gelten. Konsequenter Weise zog er es vor, sich wieder in das Museum selbst zurück zu ziehen, wobei er dort einen Raum einnimmt, der einen Ausblick auf den Friedrichsplatz gewährt. Bewußt in der Schutzone des Museums, über den Arbeiten der alten Meister am Friedrichsplatz angesiedelt, ist dort genug kontemplative Distanz zu den Eichen und dem Erdkilometer gegeben.

Im Raum des Museums zeigt Müller neben einer kurzen Geschichte des Friedrichplatzes und neben Dokumenten, die die Finanzierung der beiden Skulpturen betreffen, eine auf einem Sockel liegende, sechs Meter lange Balancestange. Diese besteht halb aus Messing (Erdkilometer), halb aus Eichenholz (Eichen) und ist so angeordnet, daß sie sowohl auf den Friedrichsplatz wie auch auf das Innere des Museums verweist. In einem Video im Raum zu sehen, schreitet Müller mit dieser Balancestange mehrmals vorsichtig tastend die Strecke zwischen den »7000 Eichen« und dem »Vertikalen Erdkilometer« ab. Der Künstler identifiziert sich dabei mit dem Seiltänzer Philippe Petit, welcher 1974 zwischen den beiden Türmen des World Trade Center in New York ohne Vorankündigung auf einem Seil hin- und herbalancierte, ehe er dafür von der Polizei wie ein Krimineller abgeführt wurde.

Müllers Raum, schon alleine wegen des Rückzugsgefechtes ins Museum, ist nun so ein subtiles Bild der Kultur, das »andere« Bild von Beuys und Walter de Maria gleichermaßen. Der zeitliche Vorgriff der Videoproduktion und das suggestive Zitat der Verhaftung des Seiltänzers in New York unterstreichen diese Absicht noch zusätzlich. Erstaunlich, daß es gerade ein Vertreter der politisch korrekten und von Institutionskritik erfüllten Kunst ist, der nun mit seinem Rückzug in die sicheren Gefilde des Museums den Leitgedanken der Dokumentaleiterin am einleuchtensten illustriert. Nicht, daß es der Arbeit an ästhetischer und formaler Qualität fehlt, ganz im Gegenteil. Und auch nicht, daß es der Arbeit an konzeptuell-theoretischer Qualität fehlt - denn dafür steht ja das Konzept Davids ein -, so drängt sich doch der Gedanke auf, wie ausgerechnet die Institution Museum vom Künstler ge(be)nutzt werden kann, um das Scheitern wegweisender Arbeiten der späteren Institutionskritik - eben die von Beuys und de Maria - zu thematisieren. Wo es doch Christian Phillip Müller allen voran war, der in früheren Arbeiten nicht müde wurde, eben genau diese Institution Musuem in seiner Kunst zu kritisieren und sich damit Kunstruhm und Kunstehre zu Teil werden ließ. Es scheint, als würde einer der letzten und hartnäckigsten Institutionskritiker zugunsten einer hervorragenden Installation und einer Documentabeteiligung sich und seinem Ursprung untreu werden. Schade, daß es in der Kunst immer noch solcher avantgardistischer Ans-Bein-Piß'-Umwege bedarf, um zu sinnvollen sozialkritischen Kunstformen und Dokumenta-Ehren zu kommen. Es bedarf dann wohl in sechs oder zwölf Jahren erneut einer Catherine David, um genau diese Dekade der Kunst aufzuarbeiten, ehe sie engültig in dem in Endlosschleifen zirkulierenden Bildermüll verloren geht.

Matt Mullican

Ein weiters Projekt, welches die Vorgaben von Davids documenta X-Konzept erfüllt, ist »Up to 625« von Matt Mullican. Er stellt sein fiktives Modell einer Stadt in ein Hypertextsystem. Sage-und-Schreibe 6000 web-pages sollen zur documenta X wuchern. Das Modell einer virtuellen Stadt ist, Mullican zeigt es seit den achtziger Jahren kontinuierlich in Ausstellungen, mehr die mentale Konstruktion als denn wirklich ein konkreter Architekturentwurf. Sein nahezu enzyklopädisches Vokabular von Bildern und Zeichen erinnert an die zirkulierenden Piktogramme und Zeichen unserer sozialen Systeme wie Flughäfen, Straßen etc., sind aber poetische, symbolische Merkmale, die sich der Künstler ausdenkt. Auch bei Matt Mullican ist die Programmatik der documenta X gut zu erkennen. Den in Endlosschleifen zirkulierenden Bildern der Öffentlichkeit wird durch des Künstlers Hand das »andere« entlockt.

Für alle, die sich schon mal mit der Semiotik Matt Mullicans für einen »Spaziergang durchs Gestrüpp« firm machen wollen, seien hier die grundlegendsten Referenzsysteme aufgelistet: Konzentrische Kreise meinen nicht irgendwelche Zielscheiben oder Ziele, sondern ein ganz bestimmtes: das Paradies (»heaven«). Die Farbe Rot entspricht dem »Subjective« (»pure meaning«), Schwarz der »Language« (»signs and symbols«), Gelb dem, was er »World Framed« nennt, (»a microcosm of the whole«), Blau der »World Unframed« (close to the world in wich we exist«) und Grün den »Elements« (»nature and raw«).

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Die documenta-documents I-IV erschienen ebenfalls in diesem Verlag. Nr. I ist aber bereits vergriffen.

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