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Das Internet wird das Gesundheitswesen tiefgreifend verändern, aber zu keiner wesentlichen Kosteneinsparung führen

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Das Internet wird unser Gesundheitswesen innerhalb der nächsten zehn Jahre stark verändern, darin sind sich Experten einig. Arzt, Patient, Krankenkassen und Apotheker werden sich darauf neu einstellen müssen. Doch finanzielle Einsparungen durch beschleunigte Prozesse und Rationalisierung werden dadurch kaum anfallen.

Das Innovations- und Marktpotential des Internet verbunden mit der dramatischen Senkung der Kosten für Telekommunikation und Rechenleistung bricht immer mehr traditionelle Strukturen auf, und davon bleibt auch der Gesundheitssektor nicht verschont. Nicht nur, dass ein breites Angebot an Patienteninformationen schon jetzt leicht im Netz zu finden ist, "in den letzten zehn Jahren hat sich auch bei den Ärzten viel getan, und zwar unbemerkt von der Öffentlichkeit" erklärt Merte Bosch, die in der Geschäftsleitung des Hartmannbundes für den Bereich EDV verantwortlich ist, "und zwar in erster Linie natürlich hinsichtlich Rationalisierungsmaßnahmen".

Schon heute erhalten viele Ärzte verschlüsselte Laborberichte per Email, Kliniken tauschen untereinander Akten und digitalisierte Röntgenbilder aus, Tele-Operationen werden erprobt, Fernüberwachungen von Messungen im häuslichen Umfeld durchgeführt und Studenten absolvieren Teile ihrer Ausbildung vor dem heimischen PC. Daneben gibt es zahlreiche Projekte, in denen Ärzte aus kleineren Krankenhäusern Befunde an große Universitätskliniken online versenden, um deren Meinung einzuholen, so dass weder der Patient noch irgendein Präparat aufwendig transportiert werden müssen. Doch das ist alles nur der Anfang, vermuten Experten. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird das Internet das Gesundheitswesen revolutionieren, und zwar für alle Beteiligten.

"Der Patient ist derjenige, der dabei den größten Vorteil davontragen wird, weil er jetzt problemlos an Informationen herankommt, die er früher so schnell nicht bekommen hat", schätzt Bosch. Immer mehr Ärztekammern und universitäre Einrichtungen bauen kompetente Websites mit Gesundheitsinformationen und Ärzteverzeichnissen aus, für Ärzte und Wissenschaftler werden Online-Expertensysteme zur besseren Auswertung der Literatur eingerichtet. Eine Untersuchung von Cyber Dialogue kam zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der Internetsurfer, die im Web nach Gesundheitsinformationen sucht, schneller wächst als die Zahl der Internetnutzer insgesamt.

Der Patient besitzt dadurch die Möglichkeit, sich besser zu informieren und kann für seine diagnostizierte Krankheit besser darüber entscheiden, ob er einen Behandlungsvorschlag annimmt oder ablehnt. "Dadurch verbessert sich das Arzt-Patient-Verhältnis enorm, denn der Austausch wird verstärkt", meint Bosch. Aus dem Abrechnungsfall Patient wird ein souveräner und kritischer Kunde, der sich unter Umständen im Internet eine zweite Meinung einholt.

Doch läßt sich auch der Arztbesuch selbst in Zukunft online abwickeln? Eine Studie des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers, bei der rund 450 Führungskräfte aus dem Gesundheitsbereich nach ihrer Einschätzung befragt wurden, kommt zu dem Ergebnis, dass etwa 20 Prozent der Praxisbesuche künftig entfallen könnten, wenn Patienten von zu Hause via Internet einen Arzt konsultierten. Schon heute bieten diverse Websites einen medizinischen Dienst an, wobei zumindest die seriösen Anbieter ausdrücklich darauf hinweisen, dass die bei ihnen erhaltenen Auskünfte einen Arztbesuch nicht ersetzen können. "Die Online-Konsultation eines Arztes ist die reine Notlösung und kann nicht mehr sein wie eine gesundheitliche Information", kritisiert Bosch. Alleine schon das menschliche Bedürfnis, bei Krankheit bei Mitmenschen Trost und Unterstützung zu suchen, wird die Online-Beziehung zum Arzt auf natürliche Weise einschränken.

"Ich glaube nicht, dass es wegen des Internet zu einem Sterben von Arztpraxen kommt", meint auch Hamid A. Emminger, Leiter Neue Geschäfte des Unternehmens Roche Diagnostics. "Allerdings werden die Patienten anspruchsvoller: aktuelle Behandlungsmethoden, Ärzteverzeichnisse und weltweite Spezialisten stehen längst im Internet und Patienten werden bestimmte Behandlungen einfordern". Der Nachteil: "Ärzte müssen ihre Behandlung dadurch immer stärker an der "Evidence Based Medicine" ausrichten, was ihre Therapiefreiheit jedoch faktisch einschränkt", was allerdings auch größere Anforderungen und Flexibilität an die behandelnden Ärzte stellt.

Auch wird sich der Arzt selbst mit dem Internet beschäftigen müssen, sei es, um neueste Forschungsergebnisse abzurufen, oder seinen Patienten auf der Homepage Informationen über seine Praxis und Gesundheitsthemen anzubieten. Bei der PwC-Umfrage waren die Befragten der Ansicht, dass bis 2010 mehr als 30 Prozent der Zeit der Ärzte auf die Nutzung Web-basierter Tools entfallen werden, die ihn zum Beispiel bei der richtigen Wahl eines Medikamentes unterstützen. In den Niederlanden und Großbritannien werden derzeit solche elektronische Verordnungssysteme für Ärzte der Allgemeinmedizin entwickelt. Sie sollen die Ärzte bei der Verordnung von Arzneimitteln anleiten und so Kosten senken, die Qualität der Therapie verbessern und falsche Verschreibungen verringern, was letztendlich auf Dauer das Vertrauen des Patienten steigern wird.

Dagegen gehen die Meinungen zu einer web-basierten Patienten-Akte, in der das gesamte Gesundheitsprofil eines Patienten aufgeführt ist, weit auseinander. Zwar könnte sich der behandelnde Arzt über das Internet rasch mit Spezialisten, Krankenhäusern oder Laboren in Verbindung setzen und anhand des Profils über den Patienten beratschlagen, was Diagnose und Behandlung sicher beschleunigen würde. Auch die Krankenkassen hätten ein Interesse, weil sie dadurch unnötige Leistungen aufspüren und einsparen könnten. Aber die Ärzteschaft wehrt sich vehement. "Ärzte wollen wissen, wer die Informationen einsieht und für was die Akten verwendet werden und wollen die Kontrolle darüber behalten, das ist schon allein aus Haftungsgründen wichtig", erklärt Bosch. Ein allgemeines Zugangsrecht für alle Ärzte auf die Patientendatei wäre rechtlich problematisch und auch für den Patienten nicht immer von Vorteil, beispielsweise, wenn er sich bei einem anderen Arzt eine zweite Meinung einholen will. "Ich finde es dagegen sinnvoller, wenn sich Patienten eine solche Akte zu Hause anlegen, denn dann können sie auf Fragen des Arztes konkret Auskunft geben", so Bosch.

Schon länger in der Diskussion und dank einiger Pilotprojekte schon weiter fortgeschritten ist das elektronische Rezept, das von Ärzten, Krankenkassen und Apothekern gleichermaßen herbeigesehnt wird, da es die aufwendige Verwaltungs- und Abrechnungsarbeit rationalisiert und eine bessere Kontrolle über die vom Patienten eingenommenen Medikamente ermöglicht. Ausgestellt vom Arzt an seinem Praxis-PC, wird das elektronische Rezept auf einem regionalen Server hinterlegt. In der Apotheke wird dann das Rezept nach Legitimierung mittels Kranken-Chipkarte vom Server wieder abgerufen und dem Patienten das Medikament ausgehändigt. Dabei würde sich mit dem elektronischen Rezept auch das Bestellen von Arzneien in der Internet-Apotheke wesentlich vereinfachen.

So wird das Internet letztendlich ein Handicap im Gesundheitswesen stark positiv beeinflussen, nämlich die Geschwindigkeit der Abläufe. Der Arbeitsaufwand, die Zeit und die Kosten, die bislang erforderlich sind, um Überweisungen auszustellen, Testergebnisse von Labors zu erhalten, Zahlungstransaktionen durchzuführen usw., wird drastisch reduziert werden, so erwarten die Experten. Auch die Durchsetzung neuer Behandlungs- und Meßmethoden wird sich schneller durchsetzen, da Informationen darüber schneller fließen.

Dabei bringt das Internet einen weiteren Vorteil mit, nämlich die Normierung. Während zur Zeit wegen inkompatibler Systeme keinerlei Daten ausgetauscht werden können, sollen dann Arztpraxen, Universitätskliniken, Krankenhäuser, Labors, Apotheken und Krankenkassen über das gleiche System kommunizieren, abrechnen usw. Die von PcW befragten Gesundheitsexperten erwarten, dass in den nächsten fünf Jahren die meisten Gesundheitsorganisationen mit Lieferanten, anderen Dienstleistern, Finanzierern, Überwachungsbehörden und Patienten über das Internet kommunizieren werden. Auf diesem Wege dürfte auch die Effizienz im Gesundheitswesen gesteigert werden, denn 90 Prozent des Gesundheitswesens, so sagen Schätzungen, laufen heute ohne Ergebnismessung. Dies wird mit einer einheitlichen Kommunikationsplattform einfacher, da das Web doppelte Arbeit nachvollziehbar macht, Kosten ermittelt und Ergebnisse vergleichbar macht und so mehr Verantwortlichkeit der Beteiligten unterstützt.

Die internetbasierte Straffung des Gesundheitswesens wird jedoch auch an den Arbeitsplätzen nicht spurlos vorübergehen. Aus einer Schätzung des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik an der Universität Würzburg geht hervor, dass sich durch Telemedizin und Online-Sprechstunden sowie den zeitlich und organisatorisch verbesserten Patientenlauf 5 bis 10 Prozent der Ärzte und theoretisch jede zweite Arzthelferin einsparen ließe. Bei den Apotheken würde rein rechnerisch nur noch jeder vierte Arbeitsplatz übrig bleiben, denn Online-Apotheken und der durch elektronische Rezepte wesentlich verringerte Verwaltungsaufwand in der Apotheke machen trotz Beratungsbedarfs viel Personal überflüssig. Zusammen könnten so in den nächsten zehn Jahren rein rechnerisch 35 Prozent der Arbeitsplätze im Gesundheitssektor (das entspräche rund 300.000 Arbeitsplätzen) eingespart werden. Demgegenüber werden natürlich auch neue Arbeitsplätze entstehen, vorzugsweise im Dienstleistungsbereich wie bei Gesundheitsportalen, Online-Apotheken, Tele-Ausbildung usw.

Doch trotz Rationalisierungseuphorie und Effizienzhascherei wird das Internet im Gesundheitswesen zu keinen nennenswerten Kostensenkungen führen, so zumindest das Ergebnis der PcW-Umfrage, denn die Einsparungen durch den Einsatz von Internet und Automation werden durch die wachsende Überalterung der Bevölkerung und die damit verbundene Zunahme von Erkrankungen, dem steigenden Patientenansprüchen an kostenintensive Fortschritte in der Medizin mehr als aufgewogen.