"... im Grunde ein Krieg zwischen den USA und Russland"

Seite 3: "Der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik seit 1945"

Abschließen möchte ich diesen Beitrag mit dem Hinweis, dass außer Mearsheimer noch eine Reihe weiterer prominenter US-amerikanische Politiker und Wissenschaftler sich in den letzten Jahrzehnten entschieden gegen eine Nato-Osterweiterung ausgesprochen haben, weil sie die heraufziehenden damit verbundenen Gefahren erahnten, wie Christian Müller in einem eindrucksvollen Artikel zusammengestellt hat.2

Dazu gehörte der von Mearsheimer genannte George F. Kennan, ein hochgebildeter, neben seiner Muttersprache Englisch auch Deutsch und Russisch sprechender Historiker und Diplomat, der selber von 1933 bis 1937 in der US-Botschaft in Moskau im Einsatz war, und der am 5. Februar 1997 in der New York Times mit drastischen Worten warnte:

Eine Erweiterung der Nato wäre der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem Kalten Krieg. Es ist zu erwarten, dass eine solche Entscheidung die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Meinung anheizt … Die Russen sind wenig beeindruckt von den amerikanischen Versicherungen, eine Erweiterung der Nato finde ohne feindselige Absichten statt. Sie würden ihr Prestige (das in der russischen Meinung immer an erster Stelle steht) und ihre Sicherheitsinteressen als beeinträchtigt ansehen.

Dazu gehört auch Noam Chomsky, emeritierter Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), einer der bekanntesten Intellektuellen der USA, der 2015 vor der Erweiterung der Nato auf die Ukraine warnte3:

Wir können uns zum Beispiel vorstellen, wie die USA während des Kalten Krieges reagiert hätten, wenn der Warschauer Pakt sich auf Lateinamerika ausgedehnt hätte und Mexiko und Kanada nun planten, dem Warschauer Pakt beizutreten.

Schlussgedanken

Die Ausführungen von John Mearsheimer in seinem Vortag vom 7.4.2022 sind auch eine Erklärung dafür, warum in unseren Hauptmedien ein möglicher Frieden in der Ukraine derzeit überhaupt kein Thema ist.

Statt der Weiterführung von notwendigen Friedensverhandlungen, die auch die berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands (etwa eine Neutralisierung der Ukraine) berücksichtigen müssten, werden von den USA und dem Westen immer mehr Waffen in die Ukraine geschickt und noch schärfere Sanktionen gegen Russland verhängt. Wohin soll das führen?

Nach Mearsheimer kämpft also nicht die Ukraine gegen Russland, sondern die USA gegen Russland, unter Missbrauch der Ukrainer. Die Ukrainer sind nicht mehr als Kanonenfutter im finalen Proxy-Krieg eines wohl lange geplanten geopolitischen Krieges für die Aufrechterhaltung ihrer weltweiten unipolaren Dominanz, den die USA aus bequemer sicherer Distanz gegen Russland führen.

Ein kleiner Lichtblick in den letzten Tagen: Angesichts wachsenden Drucks auf Bundeskanzler Olaf Scholz, der Forderung nach Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine nachzukommen, hat sich am 22.4.2022 ein Kreis von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Kultur und anderen Bereichen der Zivilgesellschaft, zu denen auch Daniela Dahn und Konstantin Wecker gehören, in einem offenen Brief an den Kanzler gewandt und ihn zum Stopp von Waffenlieferungen aufgefordert.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.