Der Finanzminister als Diktator
Wie mit blödsinnigem Geschrei - "Ökodiktatur!" - die Diskussion über Klimaschutz-Politik verhindert werden soll. Ein Kommentar
Die Mehrheit der Journalisten und vielleicht auch der Journalistinnen liebt Aufregerthemen und -schlagwörter. Deutschland und das benachbarte Belgien haben gerade eine ihrer seit Jahrzehnten schlimmsten und tödlichsten Naturkatastrophen erlebt.
In Nigeria wird die 24-Millionen-Metropole Lagos vom Meer bedroht, in der Türkei brennen die Wälder lichterloh, in Griechenland greifen die Waldbrände gar auf den Stadtrand Athens über, Potsdamer Klimaforscher berichten, der Golfstrom könnte ins Stottern geraten, in den USA gehen Wälder in Flammen auf, die BP und Microsoft sich eigentlich als Ablass in ihre Ökobilanz schreiben wollten und Teile der britischen Inseln werden von den nächsten schweren Überschwemmungen heimgesucht.
Aber in Deutschland schreit mal wieder alles "Ökodiktatur", weil die Grünen ein Klimaschutzministerium mit ressortübergreifenden Kompetenzen fordern. Natürlich. Kennt man ja von den Grünen. Die wollen immer nur verbieten. Oder Technokraten an die Macht bringen (vgl. Primat der Politik vor Technokraten).
Es geht halt nichts über gut gepflegte Vorurteile, denn die ersparen einem die mitunter mühsame Auseinandersetzung mit Fakten.
Andernfalls könnte man ja mal nachschauen, ob dieser Vorschlag tatsächlich so ungewöhnlich ist. Und siehe da: Ist er nicht. Der Finanzminister hat sogar ein vom Grundgesetz (Art 112 GG) garantiertes Vetorecht bei außerplanmäßigen Ausgaben. Eigentlich naheliegend, wenn man die Haushaltsstabilität für eine wichtige Sache hält.
Die Idee eines Vetorechts für den Umweltminister
Genauso kann man natürlich auch andere besonders wichtige Felder definieren. Dorothee Bär (CSU), die Beauftragte für Digitalisierung und Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin ist, hat Anfang 2020 zum Beispiel dafür geworben, ein Digitalisierungsministerium einzurichten, das "ressortübergreifend durchgreifen und nicht nur koordinieren" sollte. Von einem seinerzeitigen Aufschrei der Springerpresse und angeschlossener Blogosphäre ist nichts bekannt.
Die Idee eines Vetorechts für den Umweltminister ist übrigens uralt und stammt aus einer Zeit, als die Grünen noch Friedenspartei waren und mit Regieren nicht viel am Hut hatten. Folglich kam sie auch nicht aus ihren Reihen, sondern war 1988 ein Vorschlag des seinerzeitigen westdeutschen Umweltministers Klaus Töpfer (CDU), wie dieser kürzlich in einem sehr lesenswerten Interview erzählte.
Daraus wurde bekanntlich nichts. Stattdessen wurden noch gut 25 Jahre weiter neue Kohlekraftwerke gebaut und in der Verkehrspolitik der Status quo mit Klauen und Zähne verteidigt, sodass die Treibhausgasemissionen des Straßenverkehrs heute noch auf dem Niveau von 1990 sind.
Im Ergebnis muss nun eben der Umbau von Industrie und Infrastruktur erheblich schneller gehen, wenn die schlimmsten Folgen der Klimakrise verhindert werden sollen.