Die nächste Zerreißprobe für Obama

In Fragen der nationalen Sicherheit wurde Obama zu "Bush lite", nun steht mit der Abtreibung die Entscheidung zwischen liberalen und konservativ-religiösen Themen in "God's own Country" an.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Hinblick auf die Wiedereinführung der Rechtsstaatlichkeit nach der Bush-Präsidentschaft hat Barack Obama bereits weit zurückgesteckt. Bush lite, wird bereits kritisiert, nachdem Obama die Verantwortlichen für die Folter nicht belangen, Militärtribunale beibehalten, an Verschleppungen (renditions) festhalten und auch Folterbilder aus dem Irak und Afghanistan, deren Veröffentlichung er bereits zugesagt hatte, aufgrund "nationaler Sicherheit" nun doch zurückhalten will. Kritik wurde bereits laut, dass in Guanatanamo die Misshandlungen von Gefangenen weiter gehen. Jetzt weniger durch die "harten Verhörmethoden", sondern durch die Disziplinierungsteams namens Immediate Reaction Teams (IRT) , die brutal für Ruhe und Ordnung sorgen. In Afghanistan scheint er auf Spezialeinheiten und verdeckte Operationen zu setzen, in den USA werden die nach dem 11.9. eingeführten Überwachungsbefugnisse nicht eingeschränkt.

Jetzt wartet eine neue Front auf den Veränderungspräsidenten, der an Rückhalt unter seinen Wählern verliert, weil er durch staatspolitische Räson versucht, es sich mit dem Militär, den Geheimdiensten und den Republikanern nicht zu verscherzen. Es geht um Abtreibung, eine heiß umstrittene Frage in "God's own Country", die Liberale und Konservative sowie Religiöse wohl noch stärker trennt als das Thema der Homosexualität und der Schwulenehe. Obama muss einen neuen Richter für den Supreme Court vorschlagen.

Das lässt die Wellen hoch schlagen. Auch hier versucht Obama, keine klare Stellung zu beziehen, den "Kulturkrieg" zu vermeiden und sich durchzumogeln. Das dürfte ihm bei diesem Thema aber noch weniger als bei den Fragen der nationalen Sicherheit gelingen, egal, ob er unter die Kritik der Abtreibungsbefürworter oder die der –gegner gerät. Sollte Obama einen konservativen Richter berufen, könnte die 1973 legalisierte Abtreibung kippen, sollte er einen liberalen Richter ins Feld schicken, wird er die Abtreibungsgegner verärgern. Heute wird eine Rede an der katholischen University of Notre Dame in Indiana halten, die Abtreibungsgegner mobilisieren, da sie dagegen protestieren wollen, dass Obama, der bei Konservativen trotz seines Lavierens als radikaler Abtreibungsbefürworter gilt, hier eine Bühne erhält.

Ob er das Thema dort ansprechen wird, ist noch nicht gewiss. Schwierig ist auch, weil die Stimmung in den USA zu kippen scheint. 1995 sprachen sich noch 60 Prozent der Amerikaner dafür aus, dass Abtreibung rechtlich möglich sein sollte, im letzten Monat sagten dies bei einer Umfrage des Pew Research Center nur noch 46 Prozent. Eine am Freitag veröffentliche Gallup-Umfrage scheint den Trend zu bestätigen. Erstmals seit 1955, als Gallup begann, diese Frage zu stellen, erklärte eine knappe Mehrheit von 51 Prozent, sich als Abtreibungsgegner zu verstehen. Nur noch 43 Prozent bezeichnen sich als Abtreibungsbefürworter. Die Zahl derer, für die Abtreibung in allen Fällen verboten sein sollte, ist angestiegen, die der Antipoden ging zurück.

Noch letztes Jahr, während der Bush-Präsidentschaft, waren 50 Prozent Abtreibungsbefürworter und 44 Prozent Abtreibungsgegner. Zwar blieben die den Demokraten zugeneigten Wähler bei ihrer Haltung, aber die republikanisch orientierten entdecken nun erneut die konservativ-religiösen Werte, nachdem der von ihnen unterstützte Bush von der Bühne verschwunden ist. 2001, als die Präsidentschaft von Bush begann, waren Abtreibungsbefürworter und –gegner mit jeweils 46 Prozent erstmals gleichauf, dann kletterte die Zahl der Abtreibungsbefürworter wieder nach oben. Zwar sind die meisten Menschen (53%) dennoch gemäßigt und treten dafür ein, dass Abtreibung unter bestimmten Bedingungen legal sein sollte, dennoch könnten die veränderten Einstellungen zu den moralisch-religiösen Themen einen Trend markieren, der beunruhigend ist. Es könnte schließlich sein, dass Obama schon jetzt seinen Vorschuss verspielt hat und sein versprochener Change nicht mehr ankommt. Die Bush-Ära ist überraschend schnell verblasst und in der Wirtschaftskrise werden die konservativen Werte wieder attraktiv. Falls Obama nicht schnell wenigsten mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik sichtbare Erfolge einfahren sollte, könnte er an Rückhalt nicht nur in der konservativen Schicht, sondern auch bei den Liberalen verlieren.