Drogen, Nutten, Dummheit

Das Leben der Stars: Werden Vincent Gallo und Joaquim Phoenix verrückt?

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Sie sind oft dumm. Sie sind oft uninteressant. Sie lenken den Blick weg von den Filmen, in denen sie mitspielen, hin auf privaten Nonsens, auf Lieblingsfarben und neue Schoßhündchen, eine Villa in der Toscana und ein Loft in Berlin, auf Trennungen und heiße Flirts, auf beste Freundinnen und kranke Geschwister, auf schrecklichen Streit und banale Befindlichkeiten, auf Gerüchte, die es nur gibt, um sie heute aufzublasen und morgen zu entkräften, auf Hochzeiten und Kinder, die sie verkaufen. Vor allem verkaufen sie sich.

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"Somewhere" (Bild: Ausschnitt aus dem Trailer. Bild: Focus Features)

Wenn sie auf einem Festival, wie dem gerade stattfindenden am Lido von Venedig, auftreten, sollen sie die Filme promoten, in denen sie spielen. Dann aber geht es doch wieder um alles andere, aber nicht um die Filme. Sie sind das Futter, das eine Maschine am Laufen hält, die nur Selbstzweck ist. Sie sind Promis, Celebritys, Stars. Sind Stars überhaupt Menschen? Und wenn ja: ist das wichtig?

In Venedig liefen dieser Tage ein paar Filme, die genau solche Fragen aufwerfen: "Somewhere" von Sofia Coppola, die den Festivalpreis, den "Goldenen Löwen", gewann; "Promises written in water" von Vincent Gallo und "I am still there" von Casey Afflek. Die Titel sagen schon fast alles. "Promises written somewhere are still here." Die Versprechen sind da. Aber werden sie gehalten? Alle drei Filme spielen größtenteils in Los Angeles. Sie handeln von dem Leben hinter dem Glamour, von der Leere, sobald die Kameras nicht mehr laufen. Aber weil es Fillme sind, liefen die Kameras natürlich doch. Vor allem aber bleibt die Frage: Gibt es irgendeinen Grund, sich für Stars zu interessieren, davon abgesehen, dass sie Stars sind?

Mann schläft, Frau tanzt

Irgendwo in Los Angeles. Es dauert ein paar Filmminuten, bis der Ort klar ist. In der nächsten Szene wird sich der Mann irgendetwas am linken Unterarm brechen, und dann für den größten Teil des Films dort einen Gips tragen. Es dauert auch ein paar Minuten, bis wir verstanden haben, dass es sich um einen Hollywood-Schauspieler handelt, der in einem Hotel in Beverly Hills lebt, und dass er Johnny Marco heißt.

Zuvor hat er seine Runden gedreht, in einem Ferrari. Minutenlang fuhr das Auto im Kreis, und die Kamera beobachtete es gelangweilt wie das Standbild einer Überwachungskamera. Wir haben verstanden: Hier dreht nicht einer seine Runden. Hier fährt einer im Kreis, ziellos, hoffnungslos, im Hamsterrad des Lebens.

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"Somewhere" (Bild: Ausschnitt aus dem Trailer. Bild: Focus Features)

Wir folgen Johnny durch sein Leben. Wir sehen, wie er allein fährt, in seinem Ferrari durch Los Angeles. Wie er Frauen anguckt und sie ihn. Wie er sich zwei fast identisch aussehende Tänzerinnen mit langen blonden Haaren aufs Zimmer bestellt, die an Stangen zwischen Decke und Boden erotisch angehauchte Bewegungen machen. Wir haben ihn beobachtet in der Einsamkeit der Hotelzimmer, auf dem Bett sitzend oder unter der Dusche, wir haben gesehen, dass er kein Buch liest, keine Musik hört, an keinem Computer arbeitet, E-Mails schreibt oder chattet, mit keinem Menschen etwas Wesentliches spricht, wir haben Langeweile gesehen und Ödnis.

Mann redet, Frau hört zu

Darum geht es auch in Vincent Gallos "Promises written in water". Gallos Film ist zunächst einmal eine bemerkenswerte Übung in Narzissmus: Bei den Eröffnungscredits sieht man, dass er Regie geführt hat, das Drehbuch geschrieben, den Film produziert, geschnitten, die Musik gemacht und nicht zuletzt die Hauptrolle gespielt hat. Die Italiener lachen.

Man sieht Gallos Gesicht in Nahaufnahme, wie er Zigarette raucht, tief ein- und ausatmet. Minutenlang. Irgendwann sieht er eine Zeitungsannonce, in der ein Totengräber gesucht wird. In Minute 12 fährt er einen Leichenwagen. In Minute 15 fällt der erste Satz: "You wanna go to dinner?" - "Yes". Dann sieht man ihn mit einer blonden Frau im Restaurant. Mann redet, Frau hört zu. Es geht um Heiraten, Haus, Geld: "Maybe its worse with money. Everything is getting bigger", das glaubt er wahrscheinlich wirklich. Mann redet, Frau hört zu: "I find it difficult to talk about it." Irgendwann will sie wissen: "Do you want to fuck me?" Er moralisiert: "No. And don't talk like that to me. I am not one of the guys you bring home." Immer weiter Gallo in Großaufnahme. Ein hilfsbedürftiges großes Baby, das von schöner Frau mit blonden Blicken angeschwärmt wird.

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"Somewhere" (Bild: Ausschnitt aus dem Trailer. Bild: Focus Features)

Wenn man diesen Film schlecht findet, ihn nur als Selbstinszenierung eines Möchtegernstars begreift, wenn man große Mühe hat, das Kino nicht vorzeitig zu verlassen, ist das dann unsererseits ein Mangel an Cinephilie? Vielleicht schon. Vielleicht aber auch nicht mehr, wo ein Regisseur selber an Mangel an Cinephilie leidet und aus diesem eigenen Mangel an Cinephilie ein System macht, eine Masche. Die Tatsache, dass einer eine Viertelstunde lang filmen kann, ohne zu schneiden, aus der gleichen starren Einstellung, ohne dass er selbst als gleichzeitiger Hauptdarsteller auch noch aus dem Bildrahmen fällt, ist auch noch kein Ausweis von großem Können. Die entscheidende Frage ist eigentlich: Würde dieser Film hier auch nur in einer Nebenreihe laufen, wenn er von einem x-beliebigen unbekannten Filmhochschüler wäre, und wenn er nicht genau dem entspräche, was man von Gallos Film erwartet?

Im Katalog, der sonst Inhaltsangaben und ein "Director's Statement" enthält, steht nur ein Satz: "No further comment submitted." Zur Pressekonferenz erscheint Gallo nicht. Ist das nun eine Verweigerung gegenüber dem Starbetrieb oder dessen ultimative Bestätigung?

Gallo macht sich künstlich interessant. Gilt das auch für Joaquim Phoenix? Der kleinere Bruder von River steht im Zentrum eines Films, bei dem der kleinere Bruder von Ben Affleck, Casey, Regie führte.

Mann kokst, Mann rappt

Der Film "I am still here" ist angeblich eine Dokumentation, die davon handelt, das Joaquim Phoenix nicht mehr Schauspieler sein, sondern Rapper werden möchte. Problem Nummer 1: Joaquim Phoenix ist ein hundsmiserabler Rapper. Problem Nummer 2: Joaquim Phoenix ist kritikunfähig und kokst zuviel. Jedenfalls der Joaquim Phoenix des Films, einen anderen kennen wir ja auch nicht. Vielleicht spielt Joaquim Phoenix hier nur den öffentlichen Joaquim Phoenix, so wie Vincent Gallo vielleicht nur Vincent Gallo spielt. Das ist aber völlig egal. wir müssen mit dem Vincent Gallo und dem Joaquim Phoenix leben, der uns auf der Leinwand präsentiert wird.

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"Somewhere" (Bild: Ausschnitt aus dem Trailer. Bild: Focus Features)

So sehen wir Joaquim Phoenix in der Leere der Hotelzimmer, wir sehen ihn hässliche Nutten bestellen und auf deren Brüsten koksen, wir sehen ihn seine Angestellten schlecht behandeln, wir sehen ihn andauernd rappen und sich selbst zum Kasper machen. Wir sehen einen unreifen, dummen, belanglosen Menschen, einen, der einfach nicht interessiert.

"Is this a reflexion of todays postmodern globalism?"

Zurück zu Sofia Coppolas Film: Der handelt von Einsamkeit, Leere, Orientierungslosigkeit. Aber vielleicht muss man doch kein Mitleid mit den Stars haben, vielleicht sind nicht wir schuld, wenn Vincent Gallo und Joaquim Phoenix verrückt werden.

Auch dieser Johnny Marco ist wirklich eine extrem langweilige Person. Vielleicht waren auch die Figuren, die Scarlett Johansson und Bill Murray in "Lost in Translation" spielten, im Grunde langweilig, und auch "Marie Antoinette" auf ihre Art, aber sie waren wenigstens lustig und sympathisch, und man konnte Mitleid mit ihnen haben. Johnny Marco interessiert dagegen nicht die Bohne. Man hat kein Mitleid mit ihm.

Es gibt einen sehr lustigen Blick auf das italienische Showbusiness - überhaupt werden die Italiener in diesem Film ähnlich ironisiert wie die Japaner in "Lost in Translation" -, und eine Preisverleihung der "tele-gatti", riesiger Katzen aus Gold. Sie grinsen so wie die Luftballonkatzen einst in Tim Burtons "Batman" und wirken wie ein absurder Scherz, entpuppen sich aber als ganz real. Man könnte Coppolas Blick aufs Showbiz als subtile Kritik an der Berlusconisierung und der völlig heruntergekommenen Medienlandschaft Italiens verstehen. Allerdings wsurde der Film unter anderem mit Berlusconis Firma Mediaset produziert, und als das Logo seines Verleihs "Medusa" vor Beginn des Films auftauchte, gab es kurze Buhrufe.

"Somewhere" erzählt vom Rummel, den Pressekonferenzen, von den Dreh-Vorbereitungen, den Reisen, den Affairen, und vor allem von der vielen Zeit dazwischen. Als sich Johnny Marco auch noch für ein paar Tage um seine Tochter kümmern muss, wird er sich der Leere und Absurdität seines Alltags noch deutlicher bewusst, als zuvor. Am Ende weint er dann mal, vielleicht tut ihm das gut, aber es bedeutet einem alles nicht wirklich etwas.

Wichtigere Fragen werden dann bei der Pressekonferenz angeschnitten: "Do you want to shoot in China? You have many fans there." Oder: "Where is the italoamerican aspect of this film?" Oder: "Is this a reflexion of todays postmodern globalism?" Oder: "Who is Johnny Marco?"

Das alles betrifft natürlich auch den deutschen Betrieb: "Es ist eigentlich unfassbar" meinte ein Kritikerkollege, "dass diese ganzen Nasen da eingeflogen werden, nur für die Party, bezahlt von Förderern. Und dann wird an den Getränken gespart. Und auf der Party sind nur Deutsche da." Dem ist nichts hinzuzufügen.