Sozialpakt oder Konfrontation auf der Iberischen Halbinsel?

Zwei Gewerkschaftsmodelle trafen am 1. Mai frontal in Spanien und Portugal aufeinander

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Weder in der spanischen Hauptstadt Madrid, noch im katalanischen Barcelona oder den Millionenstädten Andalusien, sondern im baskischen Bilbao fand erstmals die zentrale Mai-Demonstration der großen spanischen Gewerkschaften statt. Die Arbeiterkommissionen (CCOO) und die Arbeiterunion (UGT) hatten zu 70 gemeinsamen Demonstrationen aufgerufen und zentral erstmals in der Geschichte ins baskische Bilbao mobilisiert. Und dort führten deren Gewerkschaftschefs Ignacio Fernández Toxo und Cándido Méndez den Marsch an.


Vor nur gut 10.000 Teilnehmern erklärten sie dort: "Die "Kürzungs- und Sparpolitik ist gescheitert." CCOO und UGT, die hier nur eine Minderheit der Beschäftigten vertreten, verwiesen dabei auf die hohe Arbeitslosigkeit. Gerade stellte die Nationale Statistikbehörde (INE) fest, dass mit fast sechs Millionen Menschen fast 26 Prozent arbeitslos sind. Für Toxo belügt die konservative Regierung die Bevölkerung, weil weiter Stellen zerstört würden. "Wir haben die Krise nicht überwunden." Millionen hätten keinen Job und keine Chance, bald einen zu finden.

Gegen "deutsche Mini-Jobs

INE bestätigte, dass gegenüber dem Vorquartal in den ersten drei Monaten 2014 gut 184.000 befristete Jobs aus dem Weihnachtsgeschäft wieder verloren gingen. "Ohne qualitativ hochwertige Beschäftigung wird es keine Erholung geben", sagte der CCOO-Chef Toxo. Méndez von der kleineren UGT forderte "stabile Jobs mit Rechten" und griff ausufernde befristete Beschäftigungsverhältnisse und die Arbeitsmarktreform an, mit der der Kündigungsschutz weiter ausgehebelt und Abfindungen verbilligt wurden.

Gefordert wurden Lohnerhöhungen, um die Nachfrage im Land und die Wirtschaft anzukurbeln. "Der Export allein wird uns nicht aus der Krise ziehen", warnte Toxo. Er forderte Reformen, aber andere als die, die die regierende Volkspartei (PP) durchziehe: eine neue Steuerpolitik, ein Vorgehen gegen Steuerhinterziehung und Korruption und staatliche Investitionen. Beide sprachen sich gegen "deutsche Minijobs" aus, die es unmöglich machten von der Arbeit zu leben. CCOO und UGT Spanien sehen Spanien nicht nur wegen wachsender Unabhängigkeitsbestrebungen im Baskenland und Katalonien in einer "Staatskrise" und boten der Regierung einen "Sozialpakt" an, um die Probleme zu meistern.

Nicht nur kleinere spanische Gewerkschaften kritisieren diesen Kurs und die Tatsache, dass an der Demonstration in Bilbao etliche sozialdemokratische Parteiführer teilnahmen, gegen deren Austeritätspolitik diese Gewerkschaften noch 2010 zum Generalstreik angetreten waren. Die baskischen Gewerkschaften setzen auf "Organisation und Kampf", wie es der Chef der großen Baskischen Arbeitersolidarität (ELA) erklärte. UGT und CCOO wollten nun ins Baskenland ein Gewerkschaftsmodell exportieren, mit dem sie in Spanien schon gescheitert seien.

ELA demonstrierte wie stets am 1. Mai in Bilbao und hat allein etwa so viele Menschen mobilisiert wie die spanischen Gewerkschaften auf ihrer zentralen Demonstration. Für den ELA-Chef Adolfo Muñoz ist nicht nur das Sozialpaktmodell von CCOO und UGT ein Teil des Problems, bei dem die Gewerkschaften einen Teil des Austeritätskurs mittragen, wie die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67. Muñoz verwies auch darauf, dass CCOO und UGT in Andalusien selbst massiv in Korruption verstrickt sind und "Gelder zur Fortbildung von Arbeitslosen" abgezweigt hätten.

Tatsächlich musste dort die UGT-Führung abtreten, und die Sektion in Andalusien muss 1,8 Millionen Euro an die Regionalregierung zurückzahlen. Und auch die CCOO scheint in illegale Vorgänge zur Eigenfinanzierung verwickelt zu sein. Nach Meinung von ELA könnten sich die Gewerkschaftschefs deshalb in Andalusien genauso wenig blicken lassen, wie in Barcelona. Denn dort verteidigen die Ableger von CCOO und UGT, anders als in der Zentrale in Madrid, auch das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen. Deshalb spielte die Frage des geplanten Referendums für die Unabhängigkeit am 1. Mai auch bei der größten Demonstration im Land eine Rolle. Wie alle anderen baskischen Gewerkschaften setzt ELA auf "Konfrontation" mit der Regierung und Unternehmen. Muñoz rief deshalb die Bevölkerung im Baskenland dazu auf, "nicht zu resignieren, sondern sich zu bewegen und für bestehende die Rechte zu kämpfen".

Wieder Generalstreik in Portugal?

In Portugal sorgte die konservative Regierung für eine noch stärkere Mobilisierung zu den Mai-Demonstrationen. Sie hatte ausgerechnet am Vortag angekündigt, die Mehrwertsteuer und die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung noch einmal erhöhen zu wollen. Als Vorwand dient, die Renten bezahlbar zu halten. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit und einer massiven Auswanderungswelle geraten die Sozialversicherungssysteme immer stärker in die Schieflage.

Für den Chef des großen kommunistischen Gewerkschaftsdachverbands (CGTP) handelte es sich bei der Ankündigung um eine Provokation. Arménio Carlos erklärte schon vor der zentralen Demonstration am Nachmittag in der Hauptstadt, "dass die Hitze der Kämpfe die nächsten Monate bestimmen werde".Schon zuvor hatten Tausende in kleineren Städten demonstriert.

Der CGTP-Chef kündigte eine Kooperation "über ideologische Grenzen hinweg" an, denn auch den 1. Mai in Portugal begingen die CGTP und die kleinere UGT getrennt, die ebenfalls immer wieder auf einen Sozialpakt setzt. Gegen das "Paket der Aggressionen" schloss Carlos aber einen neuen Generalstreik nicht aus, dem sich zuletzt im Juni 2013 auch kleinere Gewerkschaften und die UGT angeschlossen hatten. Das Land wurde erstmals weitgehend lahmgelegt, um den Rücktritt der Regierung zu fordern.