Verfassungsgericht stärkt portugiesische Regierungsgegner erneut

Während tausende Menschen erneut gegen immer neue Kürzungspläne protestierten, kippte das Verfassungsgericht auch die geplante Rentenkürzung

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Tausende fühlten sich am späten Donnerstag in Portugal erneut in ihrem Protest vom Verfassungsgericht bestätigt, die im ganzen Land gegen die Kürzungspolitik der konservativen Regierung auf die Straße gegangen waren. Während die Proteste am Abend andauerten, machte das Verfassungsgericht der Regierung unter Pedro Passos Coelho einen Strich durch den Sparhaushalt 2014 und kippte die geplanten Rentenkürzungen.

Die konservative Regierung wollte eine "Sondersteuer" von bis zu 10% auf Pensionen ehemaliger Beschäftigter im öffentlichen Dienst einführen, wenn sie 600 Euro monatlich übersteigen. Eine rückwirkende Rentenkürzung sei verfassungswidrig, weil das "heilige Verfassungsprinzips des Vertrauensschutzes verletzt wird", erklärte der Gerichtspräsident Joaquim Sousa Ribeiro.

Die Pensionäre hätten ihre Lebensplanung auf der Gesetzgebung und den errechneten Pensionen ausgerichtet. Das Urteil sei einstimmig unter den 13 Verfassungsrichtern gefallen. Der Gerichtspräsident fügte an, dass man eine Kürzung der Pensionen nicht als "Steuer" rechtfertigen könne. Zudem seien nun auch die betroffen, die zum schwachen Teil der Bevölkerung gehörten. Denn mit dieser versuchten Kürzung sollten bisherige Kürzungen auch auf die Pensionäre ausgeweitet werden, die mit knappen Bezügen überleben müssen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit im Land ist es oft das einzige Einkommen, das einer Familie noch bleibt.

Coelho hatte versucht, die Maßnahme als Anpassung an die niedrigeren Renten bei der Beschäftigten in der Privatwirtschaft zu rechtfertigen. Im seinem Sparhaushalt klafft nun eine Lücke von 388 Millionen Euro, das sind etwa 12% der gesamten Sparanstrengungen in Höhe von 3,9 Milliarden Euro. Erwartet wird, dass Coelho nun weitere Steuern anhebt (vermutlich erneut die Mehrwertsteuer), während die Unternehmenssteuern gesenkt werden.

Schon zuvor waren die Verfassungsrichter der Regierung immer wieder in die Parade gefahren und hatten zentrale Kürzungspläne als verfassungswidrig abgelehnt. Kurz vor den Kommunalwahlen im September, bei der die beiden Parteien der konservativen Regierungskoalition schwer wurden, kippte es wichtige Teile der Arbeitsmarktreform. Kurz zuvor wurde der Versuch verfassungswidrig erklärt, durch eine Hintertür Beamte vor allem Lehrer zu entlassen. Der Gerichtspräsident hatte der Regierung schon im Frühjahr ein "Suchtverhalten" bei Verfassungsverstößen bescheinigt, als die Streichung des von Weihnachts- und Urlaubsgeld im öffentlichen Dienst rückgängig gemacht wurde.

Wie bei der nun geplanten Rentenkürzung Staatspräsident Anibal Cavaco Silva schon im Vorjahr Zweifel daran, ob die Kürzungen im Haushalt mit der Verfassung vereinbar sind. Doch diesmal hatte er das Verfassungsgericht schon vor dem Inkrafttreten gebeten, die Pensionskürzungen zu prüfen. Vor seinem Präsidentenpalast in der Hauptstadt Lissabon hatten sich am Donnerstagabend tausende Menschen zu einer "Mahnwache" versammelt. Sie forderten von Silva, diesmal dem gesamten Haushalt die Unterschrift zu verweigern, damit er nicht in Kraft treten kann. Er solle vielmehr die Regierung auflösen und vorgezogene Neuwahlen anzusetzen. Silva verfügt dazu über die nötigen Kompetenzen.

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Bild: CGPT

"Diese Regierung hat es nicht verdient zu regieren", rief der Generalsekretär des großen Gewerkschaftsdachverbands CGTP Arménio Carlos einer jubelnden Menge in Lissabon zu. Die fühlte sich durch das neue Urteil der Verfassungsrichter in ihrer Ansicht bestätigt, dass die Regierung keine Legitimität mehr hat, um weiter zu regieren. Der CGTP hatte zur Mahnwache aufgerufen und die Proteste am Donnerstag im ganzen Land bildeten den Höhepunkt einer "Kampfwoche".

Carlos sprach von einem Angriff auf die Menschenrechte und kündigte ein heißes 2014 an. "Wir werden den Kampf fortsetzen, bis diese Regierung geht." Einen neuen Generalstreik schließen die großen Gewerkschaften nicht mehr aus, sollte der Präsident den Haushalt mit seiner Unterschrift in Kraft treten lassen.

Baldiger Ausstieg aus dem Rettungsschirm unwahrscheinlich

Dass die Regierung erneut vom Verfassungsgericht abgewatscht wurde, kommt für sie zur Unzeit. Mit dem härtesten Sparprogramm und den Kürzungen von Renten und Gehältern wollte Coelho angesichts des geplanten Ausstiegs aus dem Rettungsschirm im kommenden Jahr "das Vertrauen unserer internationalen Geldgeber gewinnen". Mit Spannung wird erwartet, ob das Land 2013 die mit der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) vereinbarten Defizitziele einhält. 2012 ging das grandios schief. Statt zu sinken stieg das Haushaltsdefizit sogar wieder deutlich auf 6,4%. Schon im ersten Halbjahr verzeichnete die Nationale Statistikbehörde einen Fehlbetrag von fast sechs Milliarden Euro, mehr als 7% der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Anders als Irland kann Portugal nicht einmal offiziell ohne zusätzliche Hilfen aus dem Rettungsschirm aussteigen. Darauf wies auch der CGTP-Chef in einem Interview hin. An den Kapitalmärkten werden weiterhin 6% für portugiesische Staatsanleihen verlangt. "Das werden wir niemals bezahlen können." Das sagte Carlos mit Blick darauf, dass die Staatsverschuldung auf enorme 131% angestiegen ist.

EZB-Präsident Mario Draghi hatte Anfang der Woche für Aufregung gesorgt, als er sagte, dass die EZB fest damit rechne, dass "Portugal ein neues Programm bekommt". Wie das genau aussieht ist noch unklar. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters sollte darüber auf dem EU-Gipfel gesprochen werden. Reuters zitierte aus einem Dokument, wonach eine Kreditlinie mit niedrigen Zinsen bereitgestellt werden solle.