Vom Kult des positiven Denkens

Barbara Ehrenreich hat endlich mal eine bissige Attacke auf den zwangsverordneten Optimismus verschrieben, der etwa die USA in den Finanzcrash und die Terrorkriege getrieben hat

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Die Sachbuch-Autorin und Journalistin Barbara Ehrenreich hat endlich einmal einen längst überfälligen umfassenden Angriff auf die überall verbreitete Neigung verfasst, dass man doch in allen Lebenslagen immer nur das Beste sehen und positiv denken soll. Der vorgeschriebene Optimismus als rosa Brille, die alles Übel ausblenden soll, kann aber üble Konsequenzen haben, weil sich das Negative durch positives Denken nicht einfach wegzaubern lässt und die Gutgläubigen daher gerne einmal auf die Schnauze fliegen können.

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Anlass für den streitbaren Streifzug Ehrenreichs, die das positive Denken als eine der Eigenschaften der Amerikaner in jüngerer Zeit sieht und es mit einem übersteigerten Nationalitätsgefühl verbindet, war ihre Brustkrebserkrankung. Hier hat sie bemerkt, wie die Neigung zum Optimismus notwendige Entscheidungen verschleppt, und ist auch durch die "Brustkrebsszene" mit ihrer Rosa-Schleifen-Kultur" und scheinwissenschaftliche Argumente für die heilsamen Folgen einer "positiven Einstellung" unter die Knute der "Tyrannei des positiven Denkens" geraten.

Letztlich bedeutet die Optimismus-Norm mitsamt dem Therapie- und Ratgebermarkt, dem Coachen und Motivieren, auch, darin eine Fortsetzung der protestantischen Ethik, dass diejenigen, die an Krebs erkranken und denen sonst Negatives passiert, schlicht selbst schuld sind. Wären sie nur dem positiven Denken gefolgt – und dies richtig -, wäre ja alles gut ausgegangen, weil diejenigen, die glücklich leben, nicht nur erfolgreicher, sondern auch gesünder sind.

Ehrenreich spürt den Zwang zum Optimismus und die Ausgrenzung "negativer Menschen", die einen runterziehen, in vielen Bereichen auf, sie sieht ihn eben auch als eine Eigenschaft der US-Gesellschaft, mit durch gefährlichen Tendenzen (aber natürlich findet man die Ideologie auch bei den Linken der doktrinären Art oder auch in vielen autoritären Systemen). Die "dunklen Wurzeln" der Ideologie in den USA sieht sie im Calvinismus, jeder ist für sein Seelenheil selbst verantwortlich, und natürlich war es ein protestantischer Pfarrer, Norman Vincent Peales, der mit seinem Buch "Die Kraft des positiven Denkens" (1952) die Bibel des Optimismus und der Verdrängung kritischer Gedanken und Wahrnehmungen verfasste. Seitdem wurde alles – "vom Arbeitsplatz über das Shoppingcenter bis zur unternehmerisch ausgerichteten Kirche" – von der Botschaft durchdrungen, dass man alles haben und erreichen kann, wenn man nur fest genug daran glaubt. Und wer es nicht schafft, krank, arm und mutlos ist, der ist selbst schuld.

Für Ehrenreich hat diese Botschaft, der unerschütterliche Optimismus der Heilsbringer und der Glaube, das die Vereinigten Staaten das beste, größte und vorbildlichste Land seien, auch die USA in den Krieg gegen den Terror geführt, der bislang weitgehend Scherben hinterlassen hat, und auch in die Finanzkrise. Selbst Condoleezza Rice sagte über den über Präsident Bush, er haben einen "geradezu unerbittlichen Optimismus" verlangt: "Pessimismus, Händeringen oder Zweifel waren ihm zuwider." Schon zuvor habe man sich vorgestellt, in einem unverwundbaren Land mit einer stets brummenden Wirtschaft zu leben. Dann sei überraschend die New-Economy-Blase geplatzt und hätten sich die Anschläge vom 11.9. ereignet.

Der Optimismus habe sich nicht als Erfolgsgarantie erwiesen, man habe vermutlich erkennbare Bedrohungen nicht verhindern können. Trotzdem sei die Bush-Regierung unter Abweisung aller Bedenken und mit rudimentären Konzepten mit einem "unverantwortlichen Optimismus" sowohl nach Afghanistan gezogen und in den Irak gestürmt. Aus dem Spaziergang sei ein Jahre langer Krieg geworden, die Versäumnisse am Beginn hatte man nicht wieder gut machen können. Ebenso versagt habe man bei der Katastrophenbewältigung und beim Verhindern der Finanzblase. Kein Wunder, meint Ehrenreich, die superreichen Helden der Finanzwelt leben auch selbst in einer Blase außerhalb der Wirklichkeit, zur Hilfe kam der positive Aberglaube, dass der Markt sch n alles regeln wird. Und wenn den mal eine Krise ereilt, dann folgt das nächste positive Denken der neuen Bereicherung nach, man muss nur aufhören mit dem Schlechtreden und nach vorne blicken.

Barbara Ehrenreich: Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt. Kunstmann Verlag. 254 Seiten. 19,90 Euro.