Wie lange reicht die Kohle?

In China ist bald Schluss mit Lustig

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Chinas Wirtschaftsboom, der gerade dabei ist, ein zusätzliches Fünftel Menschheit aus bitterer Armut in den relativen (und in mancher Hinsicht fragwürdigen) Wohlstand einer modernen Industriegesellschaft zu katapultieren, wird mit großen und wachsenden Mengen Kohle befeuert, wie der vorhergehende Beitrag gezeigt hat. Neue Bergwerke sollen die landesweite Jahresförderung von derzeit zwei auf drei Milliarden Tonnen steigern. Das wird zugleich auch in etwa der Verbrauch sein, vielleicht sogar etwas weniger als das. China wurde nämlich vor kurzem zum Netto-Kohleimporteur.

Die Frage drängt sich auf, wie lange das gut gehen kann, wobei wir Treibhausgas-, Quecksilber-, Feinstaub-, Arsen, Cadmium- und sonstige unerfreuliche emissionen einmal außen vor lassen und nur die Reichweite der Vorräte diskutieren wollen. Diese betrugen 2004 139 Milliarden Tonnen, schrieb Bao Quan seinerzeit. Zhu Dengreng und Yang Yozhou gingen einige Jahre zuvor sogar von nur 114 Milliarden Tonnen aus. Wenn man den Verbrauch also auf dem Niveau von 2010 einfrieren könnte und von den günstigeren Abschätzungen der Reserven ausgeht, dann würde Chinas inländische Kohle noch für rund 46 Jahre reichen, bzw. etwas weniger, wenn man den Verbrauch der letzten Jahre seit 2004 berücksichtigt.

Nun ist das Einfrieren des Verbrauchswachstum sicherlich nicht so leicht zu erreichen. Nehmen wir also an, der Verbrauch würde für längere Zeit mit den gegenwärtigen 15 Prozent per annum weiter wachsen. Dann würde Chinas eigene Kohle gerade noch 22 Jahre reichen. Da die Regierung aber sehr um Energieeffizienz bemüht ist, kann man hoffen, dass das Wachstum künftig etwas gedrosselt wird. Vielleicht könnte die chinesische Kohle den heimischen Bedarf also auch noch 30 Jahre abdecken, was immer noch verdammt wenig ist.

An dieser Stelle wird meist eingewendet, dass bei höherem Bedarf und Preis auch neue Lagerstätten rentabel abgebaut werden können. Das mag in gewissem Umfang stimmen, doch gilt andererseits auch, dass der Energieaufwand steigt, der Netto Energieertrag der Lagerstätten also abnimmt. Zumal die Kohle meist minderer Qualität sein wird. Die Kohle mit dem besten Brennwert wird für gewöhnlich zuerst abgebaut. Der dänische Energiekonzern Dong hat daher zum Beispiel sein Steinkohlekraftwerk, das er in Lubmin an der Ostsee bauen will, für Kohlesorten ausgelegt, die hierzulande eigentlich als Braunkohle gelten.

Nun braucht man heutzutage Chinas Rolle für den Weltmarkt niemand mehr erklären, und auch, dass Chinas Kohlereserven eher zu den großen im globalen Vergleich gehören, ist wahrscheinlich schon einigermaßen bekannt. Unterm Strich folgt aus der Betrachtung also, dass alle Aussagen von billigem Kohlestrom, mit denen hierzulande neue Kohlekraftwerke gerechtfertigt werden, leeres Gerede sind. Schon in wenigen Jahren wird der Kohlepreis dem des Erdöls nacheifern, und zwar obwohl China derzeit auch einen beispiellosen Windenergieboom erlebt. Kohle ist wie Öl ein auslaufendes Modell und je länger wegen Atomkraft und anderer Pfeiffenträume mit dem Umstieg gewartet wird, desto schmerzhafter wird der weltwirtschaftliche Strukturwandel ausfallen.