Wiegenlieder und patriotische Songs gegen den ESC

Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche kritisiert den ESC mit den bärtigen Sängerinnen und schlägt ein Gegenmodell vor

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Beim Eurovision Song Contest 2015 nimmt auch eine junge russische Frau mit dem netten Namen Polina Gagarina teil. Sie hat am 19. Mai die letzte Hürde mit ihrem auch noch auf Englisch gesungenen Song "A Million Voices" genommen. Und der handelt ausgerechnet vom Frieden, mit einer solchen Botschaft hätten manche wohl von Russland nicht gerechnet. Dort ist die 28-jährige Gagarina ein Star, seitdem sie die Castingshow Fabrika Zwod gewann und auch als Komponistin, Schauspielerin und Model arbeitet. Aufgewachsen ist sie in Russland und Griechenland und hat Theater und Jazzgesang studiert.

Der Song hat nichts Russisches, er könnte überall entstanden sein und ist ein üblicher ESC-Konfektionsverschnitt, auch Gagarina selbst gibt sich ganz westlich.

All das wird Kyrill I., Patriarch von Moskau und der ganzen Rus und Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, auch nicht sonderlich gefallen. Vor dem ESC hat er jetzt schon einmal die Trends kritisiert, die dort zur Schau kommen, und vorgeschlagen, doch in Russland ein Gegenmodell auf der Grundlage der nationalen Kultur auf die Beine zu stellen.

Der russische Präsident beglückwünschte am 1. Februar den Patriarchen zu seinem Amtsantritt vor 6 Jahren. Bild: Kreml

Da muss man für den Patriarchen wohl hoffen, dass Gagarina nicht gewinnen und damit den ESC nach Russland holen wird. Er selbst fürchtet dies auch, da dann der ESC "mit allen seinen bärtigen weiblichen Sängern kommt, die Werte vertreten, die unserer Kultur fremd sind". Vielleicht sollte man also auch schon aus diesem Grund für Gagarina eintreten, um die russische Kultur zu öffnen und aus dem Song, der nach der Sängerin keine politische Botschaft hat, eben eine solche in Zeiten des erneuten Ost-West-Konflikts machen.

Dem Patriarchen jedenfalls würden eher patriotische und spirituelle Songs oder auch Wiegenlieder gefallen, sagte er in Ulyanovsk, wo er gestern Teilnehmer einer orthodoxen Initiative traf, die tatsächlich Songfestivals in Russland organisieren. Ob solche Lieder viele Russen mitreißen oder gar die Menschen im Resteuropa für die fundamentalistische, offen homophobe und anti-feministische russisch-orthodoxe Kultur begeistern würden, ist allerdings fraglich.