Reaktionen in Russland auf den Terror in Paris

Seite 2: Liberale Experten sind ratlos, wie man die Bürger schützen kann

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Bekannte liberale Moskauer Islamismus-Experten sind ratlos, wie man die Bürger vor neuen Anschlägen schützen kann. Der Mitarbeiter des Carnegie-Zentrums, Aleksej Malaschenko, erklärte, so sehr man die Sicherheitsmaßnahmen auch verbessere, "wir bleiben im Großen und Ganzen ungeschützt." Der Journalist Arkadi Dubnow meinte, "Frankreich ist nur ein Teil des sich ausbreitenden Terrorbogens. Jetzt sind wir an der Reihe. Ich hoffe, dass das hier, in Moskau, und vor allem in Duschanbe und Bischkek (den Hauptstädte von Tadschikistan und Kirgistan, U.H.) verstanden wird." Weiter schreibt der Autor, er hoffe, dass der Kreml seine "antiwestliche Hysterie" beende und sich "mit realem Antiterrorismus beschäftigt". Was er genau unter "realem Antiterrorismus" versteht, sagt der Autor nicht.

Der Leiter des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft beim russischen Präsidenten, Michail Fedotow, erklärte, die Terroranschläge von Paris dürften kein Anlass sein, "im Bereich der Menschenrechte die Schrauben anzuziehen". Eine "Welle der Islamophobie" als "instinktive Reaktion der Gesellschaft" müssen verhindert werden. Nur Solidarität helfe "uns allen den Terrorismus zu besiegen."

Zahlreicher als die Stimmen der Liberalen sind die Stimmen der Konservativen und Patrioten. In der russischen Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta erschien ein Autoren-Artikel in dem gefragt wird, was den Erklärungen französischer Beamter geworden sei, die "von hohen Tribünen" mehrmals erklärten, dass "Tausende Franzosen" auf Seiten des IS kämpften und das diese Personen "jeden Moment in die Heimat zurückkehren" könnten "um Terrorakte auszuführen".

Frankreich habe in Syrien "nachlässig" bombardiert. Und was genau bombardiert wurde, sei auch "nicht klar". Frankreich habe eine "angeblich existierende vereinigte syrischen Opposition unterstützt" anstatt "mit Russland zusammenzuarbeiten." Die Terroristen hätten die "Schwäche und die Angst des Elysee-Palastes gespürt". Es sei unklar, "ob die französische Führung und Europa als Ganzes begreifen, in was für einen schrecklichen Fleischwolf sie von den Vereinigten Staaten gezogen wurden".

"Die Terroristen hatten Helfer in den Sicherheitsstrukturen"

Zahlreich sind in Russland die Stimmen, die den französischen Sicherheitsbehörden Versagen vorwerfen. Die Terroristen von Paris hätten Helfer in den französische Sicherheitsstrukturen gehabt, erklärte Michail Paschkin, der seinerzeit in der Leibwache des russischen Präsidenten Boris Jelzin arbeitete. "Um einen Terrorakt zu verhindern, braucht man die Arbeit von Informanten. Schon nach dem Angriff auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" hätte man ernst nachdenken müssen, aber das ist offenbar nicht geschehen." Die Sicherheitsmaßnahmen in Moskau müssten verschärft werden. Die Polizisten in den Wohnbezirken müssten Listen von Wohnungen erstellen, "in denen Menschen ohne offiziellen Mietvertrag leben".

Der stellvertretende Leiter des Komitees für Sicherheit der Duma, Dmitri Gorodzow, wollte nicht ausschließen, dass in "Frankreich und Europa" die Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe für Terrorakte aufkommt. Die französischen Geheimdienste seien "nicht mehr aufmerksam", was zu den "traurigen Ereignissen geführt" habe.

Ein Vertreter des russischen Geheimdienstes, der im Nordkaukasus tätig ist, erklärte, man wisse namentlich, welche Terroristen aus Russland in Syrien seien und wo sie sich dort aufhalten. "Die Risiken werden größer, aber wir sehen alle, wir arbeiten mit ihren Familien, werten aus und beobachten ihre Wege." Sobald sie nach Russland zurückkehrten würden sie verhaftet. Nach Angaben russischer Sicherheitsbehörden kämpfen in Syrien 5.000 Freiwillige aus Russland und den zentralasiatischen, ehemals sowjetischen Staaten.

Das Nationale Antiterroristische Komitee Russlands rief die Bürger am Sonnabend "zu großer Verantwortung und Aufmerksamkeit" gegenüber der Gefahr von Seiten der Terroristen auf. Um im Kampf gegen den Terrorismus zu siegen, müssten die "Anstrengungen des Staates und der Gesellschaft vereint werden".

"Zurück nach Usbekistan"

Viele Menschen - vor allem aus der Mittelschicht - sorgen sich jetzt, dass die Ausreise aus Russland im Zuge der Anti-Terror-Maßnahmen eingeschränkt wird. Davon betroffen wären 30 Prozent der Russen, die Auslandreisen machen. Schon vor den Anschlägen in Paris hatten die KPRF-Abgeordneten Sergej Obuchow und Waleri Raschkin vorgeschlagen, Flüge in die Türkei und Tunesien aus Sicherheitsgründen zu verbieten.

Der KP-Abgeordnete Wadim Solowjow legte noch nach. Er will durchsetzen, dass alle Touristen, die in "gefährliche Länder" fahren, per Unterschrift bestätigten müssen, dass sie von russischen Behörden über mögliche Gefahren informiert wurden.

Ein Ausreise-Visum gab es zuletzt in der Sowjetunion. Heute gibt es so ein Visum nur noch im diktatorisch regierten Usbekistan, weshalb das Massenblatt Moskowski Komsomolez titelte "Zurück nach Usbekistan".