NSU-Zeuge: Tod von Sascha W. bleibt rätselhaft

Grafik: TP

Staatsanwaltschaft: "Alles deutet auf Suizid hin", aber Fragen bleiben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Exakt fünf Monate haben die Ermittlungen im Todesfall von Sascha W. gedauert. Am 8. Februar 2016 war der 31-Jährige tot in seiner Wohnung gefunden worden. Weil keine natürliche Todesursache festgestellt wurde, hatte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine Obduktion angeordnet. Am 8. Juli 2016 wurde das Todesermittlungsverfahren eingestellt. Es gebe "keine Anhaltspunkte für Drittverschulden", so der Behördensprecher Tobias Wagner, "alles deutet auf Suizid hin". Das ist keine Formulierung, die einen Suizid für 100%-ig belegt hält.

Der Tod bleibt rätselhaft, nicht nur wegen der Länge der Untersuchungsdauer.

Sascha W. kann als Zeuge im NSU-Komplex gelten - und er stand in persönlicher Verbindung zu zwei weiteren NSU-Zeugen, die unter seltsamen Umständen ums Leben kamen. Er war der Verlobte von Melisa M., die im März 2015 vom NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg befragt worden war und vier Wochen danach, am 28. März 2015, an einer Lungenembolie verstarb.

Die Lungenembolie soll durch "Blutgerinnsel" verursacht worden sein, deren Herkunft allerdings nicht eindeutig bestimmt werden konnte. "Höchstwahrscheinlich durch einen Sturz aufs Knie", so die untersuchende Rechtsmedizin in Heidelberg. Die Sportlerin war einige Tage zuvor beim Motorradsport leicht gestürzt und hatte eine kleine Verletzung über dem Knie.

Melisa M. wiederum war bis zum September 2013 die Freundin von Florian H., jenem Neonazi-Aussteiger aus Heilbronn, der am 16. September 2013 in seinem Auto in Stuttgart verbrannte. Am Nachmittag sollte er vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg im Rahmen der NSU-Ermittlungen vernommen werden. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart sprach schon nach wenigen Stunden von Suizid, obwohl die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren. Ob es tatsächlich Selbstmord war oder nicht, kann bisher nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Florian H. hatte schon vor dem Auffliegen des NSU-Trios im November 2011 erklärt zu wissen, wer die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter ermordet hatte. Das sollen aber nicht Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewesen sein, wie es die Bundesanwaltschaft laut Anklage behauptet. Zum Zeitpunkt seinen Todes befand sich der junge Mann im Aussteigerprogramm des Staatsschutzes für Rechtsextremisten.

Florian H., Melisa M. und Sascha W. hängen zusammen. Als Melisa M. in nicht-öffentlicher Sitzung im NSU-Ausschuss in Stuttgart befragt wurde, steuerte auch Sascha W. Angaben bei. Er berichtete von einem "Nazi", der im selben Haus wie er gewohnt hatte und der mit einem anderen "Nazi" in Heilbronn befreundet sein sollte. Dieser Heilbronner Nazi, Worf K., hatte mit Sprengstoff zu tun. Zu dem Kreis gehörte auch Florian H.

Staatsanwaltschaft Karlsruhe verweigert Auskünfte

Obwohl der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages die Obduktionsberichte von Florian H., Melisa M. und Sascha W. angefordert hat, womit die Drei zu Personen von öffentlichem Interesse geworden sind, behandelt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe den Tod von Sascha W. weiterhin wie eine Privatangelegenheit.

Mit Hinweis auf das Persönlichkeitsrecht verweigert sie weitere Auskünfte. Zum Beispiel, wie der Suizid stattgefunden haben soll. Oder zum möglichen Motiv. Es liege eine Motivlage vor, ist lediglich zu erfahren, die "Suizid als möglich erscheinen lässt." Auch das eine unbestimmte Aussage.

Gleiches gilt für die zwei Abschiedsnachrichten, die per Handy verschickt wurden. Ob sie von Sascha W. stammten, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Die Staatsanwaltschaft schweigt sowohl über den Inhalt der Abschiedsnachrichten, als auch über den Empfänger, noch wer den Toten gefunden hat.

Auffällig ist die Dauer der rechtsmedizinischen Untersuchung. Erst nach etwa zweieinhalb Monaten lag der toxikologische Befund vor. Er ist negativ, sieht man von Alkohol in mäßiger Menge ab.

Die feingewebliche Untersuchung nahm sogar fünf Monate in Anspruch. Dabei kam es zu einem ungewöhnlichen Vorgang. Weil es der Ermittlungsbehörde zu langsam ging, schickte sie die Rechtsmediziner aus Heidelberg zum Tatort, sprich dem Fundort des Toten in seiner Wohnung in Kraichtal zwischen Heilbronn und Karlsruhe. In derselben Wohnung war auch Melisa M. gestorben.

"Ja, er war ja auch tot"

Die Rechtsmediziner sollten dort verschiedene Gegenstände in Augenschein nehmen, um zu prüfen, ob "bestimmte Verletzungen" von Sascha W. damit in Verbindung stehen können. Die Nachfrage: "Herr W. hatte Verletzungen?", beantwortet der Karlsruher Staatsanwalt so: "Ja, er war ja auch tot."

Um was für Verletzungen es sich gehandelt hat, sagt er ebenfalls nicht. Er dementiert aber, dass es Kampfspuren oder Blutflecken gegeben haben soll. Nach Einschätzung der Rechtsmedizin, so die Staatsanwaltschaft einigermaßen kryptisch weiter, sei der Tatortbefund mit dem Ablauf, der zum Tode führte, vereinbar.

Warum die Untersuchung fünf Monate in Anspruch nahm, kann die Staatsanwaltschaft nicht erklären. Sie verweist auf die Sachverständigen des Institutes für Rechts- und Verkehrsmedizin in Heidelberg. Doch dort bekommt man bisher keinerlei Informationen. Mehr noch: Die Institutsleitung verhängte ein allgemeines Auskunftsverbot gegenüber der Presse.

Neben Sascha W., Melisa M. und Florian H. gibt es weitere Todesfälle von NSU-Zeugen, die ungeklärt sind (vgl. NSU-Affäre: Unnatürliche Todesfälle). Im Januar 2009 verbrannte der 18jährige Arthur C. aus Heilbronn-Weinsberg neben seinem brennenden Auto. Er soll zu Personen Kontakt gehabt haben, die sich am Tag des Polizistenmordes von Heilbronn im April 2007 auf dem Tatort Theresienwiese aufgehalten haben.

Der Tod des V-Mannes "Corelli" alias Thomas Richter im April 2014 wiederum beschäftigt seit Monaten Bundestag und Landtage. Alle fünf Personen waren jung und starben eines nicht natürlichen Todes. Bei allen fünf sind die Todesumstände nicht restlos geklärt. Auch bei Sascha W. nicht.