UK: Regierung führt Limonadensteuer ein

Modekoch Jamie Oliver nimmt auf Instagram Urheberschaft für sich in Anspruch

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Der britische Finanzminister George Osborne hat in seiner Haushaltsrede im Parlament für 2018 eine neue Limonadensteuer angekündigt, die in zwei verschiedenen Sätzen für Getränke ab acht und fünf Gramm Zucker pro Deziliter erhoben wird. Säfte, in denen der Fruchtzuckeranteil nicht erhöht wird, und Milchgetränke sollen davon ausgenommen sein. Die Steuer, die sowohl Hersteller als auch Importeure zahlen sollen, könnte bei Verbrauchern zu Preissteigerungen von bis zu 80 Prozent führen.

Die Maßnahme kommt insofern überraschend, als die regierenden Tories solch eine Steuer vor den letzten Wahlen entschieden ablehnten, weshalb selbst die sonst eher zurückhaltende BBC von einem "Blitz aus heiterem Himmel" spricht. Osborne begründete sie in Westminster nicht mit einem gestiegenen Finanzbedarf, sondern mit Übergewicht bei Kindern und dem Willen "Großbritannien fit zu machen". Die erwarteten Einnahmen in Höhe von mehreren Hundert Millionen Pfund sollen seinen Worten nach für den Sportunterricht an Grundschulen verwendet werden. Inwieweit sie dort gekürzte Mittel ersetzen, ist bislang unklar.

Neue Kampagne des Modekochs

Modekoch Jamie Oliver, der eine Kampagne für solch eine Steuer gestartet hatte, nahm die Urheberschaft für die Maßnahme auf Instagram mit den Worten "We did it guys !!we did it !!!" [sic] für sich und seine Fans in Anspruch und sprach von einem "bedeutenden Vorstoß", der seiner Ansicht nach "um die ganze Welt gehen wird".

Der Essexer Gastwirtssohn hatte während der Regierungszeit des Labour-Premierministers Tony Blair erwirkt, dass britische Schulkantinen statt Würstchen, Pommes Frites und anderen Speisen, die er für ungesund hält, Brokkoli-, Spinat- und andere von ihm als gesund geschätzte Gerichte anboten, was den Steuerzahler umgerechnet gut 400 Millionen Euro Extrazuschuss kostete. In den folgenden Jahren zeigte sich, dass die Nachfrage in den Schulkantinen nach der Speiseplanumstellung drastisch zurückging, während die Kioske, Imbisse und Eckgeschäfte in der Umgebung deutlich höhere Umsätze mit Süßigkeiten, Snacks und Softdrinks machten (vgl. Der Kreuzzug des Starkochs).

Oliver versuchte diesen Rückgang damit zu erklären, dass er im Fernsehen darauf aufmerksam gemacht habe, wie schlecht das Kantinenessen sei. Eine Erklärung für die steigenden Umsätze der Snackanbieter blieb er schuldig. Anschließend versuchte er in Huntington, West Virginia - der US-Stadt mit den statistisch gesehen dicksten Bürgern - die Essgewohnheiten zu ändern, scheiterte aber an einer sehr niedrigen Einschaltquote.

Zuckeranteil sinkt bereits ohne Steuer

Die Limonadensteuer soll Osbornes Worten nach dafür sorgen, dass Hersteller den Zuckeranteil in ihren Getränken verringern. In Österreich geschah das in den letzten vier Jahren auch ohne eine neue Steuer. Dort sank der durchschnittliche Zuckergehalt zwischen 2012 und 2016 von 7,36 auf 6,80 Gramm pro Deziliter. Dass auch der Anteil süßstoffhaltiger Getränke von 18,5 auf 13 Prozent zurückging, deutet auf eine geänderte Nachfrage als Ursache hin. Aus Großbritannien fehlen vergleichbare Erhebungen.

Fragwürdiges Argument Volksgesundheit

Der britische Finanzminister begründete seinen Einsatz für eine Gewichtsabnahme der Briten auch mit der Volksgesundheit. In den letzten Jahren zeigen Studien jedoch, dass übergewichtige Personen nicht nur eine höhere Lebenserwartung haben als untergewichtige, sondern auch als normalgewichtige. Einige Mediziner versuchen das damit zu erklären, dass Übergewichtige öfter zum Arzt gehen. Andere, wie beispielsweise Werner Bartens, sehen eine angemessenere und einfachere Lösung des Problems darin, das, was jetzt als Übergewicht gilt, zum neuen Normalgewicht zu erklären.

Das wäre für Bartens, der nicht nur Mediziner, sondern auch Historiker ist, auch deshalb angemessen, weil er mit seiner diachronischen Sichtweise darauf hinweist, dass nicht nur Körperformen, sondern auch Verhaltens- und Gesundheitsvorstellungen Modetrends unterliegen, die keine Erkenntnisgrundlage haben - man denke nur daran, wie sehr sich das Ideal des weiblichen Körpers von der Belle Époque bis in die späten 1960er Jahre verändert hat. Geht man bis bis zur Venus von Willendorf zurück, wird dieses Phänomen noch deutlicher sichtbar.

Einer in im letzten Jahr der Fachzeitschrift Lancet Diabetes & Endocrinology veröffentlichten Datenanalyse zufolge haben übergewichtige Menschen ein geringeres Risiko, an Demenz zu erkranken (vgl. Übergewicht senkt Demenzrisiko). Bei Adipösen liegt es um 24 Prozent unter dem Durchschnitt, bei nicht adipös Übergewichtigen ist es um 18 Prozent niedriger. Untergewicht erhöht dagegen die Wahrscheinlichkeit, krankhaft vergesslich zu werden, um mindestens 39 Prozent. Das Ergebnis überraschte die Forscher, weil bisherige Studien einen umgekehrten Zusammenhang zu suggerieren schienen: Diese vorangegangenen Studien hatten aber bei weitem nicht den Umfang der 2015 veröffentlichten Untersuchung, für die 20 Jahre lang Gewichts- und Gesundheitsdaten von 1.958.191 durchschnittlich 55 Jahre alten Briten erhoben wurden.

Dafür, Dicke nicht wegen ihrer Ernährungsvorlieben zu bestrafen, spricht auch eine im Februar in der Fachzeitschrift Cell veröffentlichte Studie aus dem Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik, die zeigt, dass die Entscheidung, ob der Körper Kohlehydrate verbrennt oder speichert, auch davon abhängt, ob Gen-Schalter umgelegt wurden oder nicht, was vermutlich bereits im Embryonalstadium geschieht und irreversibel ist (vgl. Umgelegter Gen-Schalter macht dick).

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