SPD und CDU lancieren eine Debatte um die "Gesundheitssteuer"

Lebensmittel mit einem hohen Anteil von Zucker und Fett sollen stärker besteuert werden, um Übergewicht und Fettleibigkeit zu reduzieren

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Der SPD-Politiker Edgar Franke hat gegenüber der Bildzeitung schon konkrete Vorschläge für eine sogenannte Gesundheitssteuer gemacht. Er plädiert für einen "Aufschlag in Höhe des halben Mehrwertsteuersatzes auf Produkte mit mehr als 275 Kalorien je 100 Gramm".

Edgar Franke ist Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestags und in der Arbeiterwohlfahrt. Ein anderes Mitglied im Gesundheitsausschuss, Erwin Rüddel von der CDU, signalisierte ebenfalls Zustimmung. Weil SPD und CDU wahrscheinlich die künftige Regierung stellen werden, stehen die Chancen also gut, dass Lebensmittel mit einem hohen Anteil von Zucker und Fett künftig stärker besteuert werden.

Sowohl Franke als auch Rüddel begründen die "Strafsteuer für Dicke" (Bild) mit der Sorge um die "Volksgesundheit". Franke argumentiert:

Eine Gesundheitssteuer auf besonders fetthaltige und zuckerreiche Nahrungsmittel wie Chips, Fastfood und extrem kalorienreiche Süßigkeiten würde das Ernährungsbewusstsein vieler Menschen mit Übergewicht schärfen und könnte so eine gesundheitspolitisch wünschenswerte Veränderung des Essgewohnheiten bewirken.

Franke fordert, die Mehreinnahmen "vor allem" für zusätzliche Präventionsmaßnahmen zu verwenden.

Steuern sind nie populär. Da hilft es, sie mit einem Begriff zu versehen, gegen den ernsthaft niemand etwas einwenden kann: Solidarität, Ökologie oder eben Gesundheit. Franke begründet seinen bemerkenswert konkreten Vorschlag mit der Vorbeugung von Übergewicht und Fettleibigkeit, weil diese die "Hauptrisikofaktoren für Bluthochdruck, Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes und Krebs" seien. Die zusätzliche Besteuerung würde die Preise für Süßigkeiten und Fastfood in den Supermärkten erhöhen - eine staatlich verordnete Diät sozusagen.

Der Gesundheit der Bevölkerung würde das allerdings nichts nutzen: Weil eine kalorienreiche Ernährung allein nicht krank macht. Weil leicht erhöhte Preise nicht dazu führen, dass Menschen ihre Ernährungsgewohnheiten ändern. Kein Lebensmittel ist an sich schädlich (sofern es nicht schädliche Inhaltsstoffe enthält).

Zucker und Fette sind also nicht giftig, sondern gehören immer zur Ernährung. Auch Schokolade oder Currywurst schaden nicht, solange sie in Maßen genossen werden. Der Kalorien-Grenzwert von 275 Kalorien auf 100 Gramm ist willkürlich und beträfe übrigens nicht nur leckeres Zuckerzeugs, sondern beispielsweise auch viele Fertiggerichte, Nüsse und Brotsorten.

Die Fettphobie hat keine wissenschaftliche Grundlage.

Unter Medizinern ist umstritten , wie sehr ein hohes Körpergewicht kardiovaskuläre Krankheiten wie Bluthochdruck oder Diabetes beeinflusst. Sicher ist, dass Übergewicht allein nicht zu Diabetes führt. Das belegt unter anderem eine Langzeitstudie des Robert Koch-Instituts vom letzten Jahr. Sie zeigte, dass die Zahl der übergewichtigen Menschen in Deutschland seit 1998 nicht gestiegen ist, während der sogenannte erworbene Diabetes Typ 2 wesentlich häufiger wurde. 67,1% der Männer und 53,0% der Frauen sind übergewichtig. Gestiegen ist allerdings, besonders bei jungen Erwachsenen, der Anteil der Adipösen auf jetzt 23,3% der Männer und 23,9% der Frauen. Der Präsident der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft Stephan Matthaei fasste damals das Ergebnis so zusammen: "Übergewicht und Bewegungsmangel sind demnach nicht die alleinige Ursache für den Diabetes-Anstieg."

Außerdem profitieren Menschen, die beispielsweise ein hohes Risiko für einen Herzinfarkt haben, nicht vom Gewichtsverlust. Offenbar leben sie nicht länger und werden auch nicht später krank. In den USA wurden im Rahmen der Studie "Look Ahead" Diabetiker mit aufwändiger Ernährungsbetreuung und Sport dazu gebracht abzunehmen. Zehn Jahre lang wurde ihr Gesundheitszustand mit dem von Diabetikern verglichen, die ihr Gewicht beibehielten. Im Sommer wurde die Studie erst einmal mit dem Fazit abgebrochen: "Eine intensive Lebensstil-Intervention senkt die Anzahl der kardiovaskulären Ereignisse bei übergewichtigen oder fettleibigen Erwachsenen nicht." Dennoch haben zahlreiche Staaten in jüngster Zeit "Anti-Kalorien-Steuern" eingeführt, darunter Mexiko, Ungarn und Frankreich. Dänemark dagegen hat sie gerade wieder abgeschafft. Nach nur einem Jahre beschloss die dänische Regierung, das Experiment zu beenden. Die Steuer auf gesättigte Fettsäuren habe hohe Verwaltungs- und Kontrollkosten verursacht, aber nicht dazu geführt, dass die Bevölkerung ihre Ernährung geändert hat.

Das aber ist durchaus im Sinn der Erfinder. Das wesentliche Ziel der verschiedenen Gesundheitssteuern ist nicht, eine gesunde Ernährung zu fördern, sondern eine neue Einnahmequelle zu erschießen. Denn die Summe, die durch Edgar Frankes Vorschlag für den Fiskus herausspringen würde, ist durchaus beachtlich. Ein Schokoriegel für ein Euro würde sich zwar nur um dreieinhalb Cent verteuern (bei der Mehrwertsteuer von 7 Prozent) - aber bekanntlich werden jeden Tag werden hunderttausende verzehrt. Die Gesundheitssteuer würde dem Staat Mehreinnahmen in Millionenhöhe bescheren.

Für die Regierung hätte das den Charme, dass solche fiskalische Maßnahmen gar nicht so richtig als Steuererhöhung wahrgenommen werden. Schließlich positioniert sich die CDU in den Koalitionsverhandlungen strikt gegen höhere Steuern. Verbrauchssteuern werden aber nicht nur als weniger schlimm empfunden als jene, die auf der Gehaltsabrechnung stehen. Sie treffen besonders die Menschen mit einem niedrigen Einkommen, weil diese den größeren Teil für Lebensmittel (und die Miete) ausgeben müssen. Insofern könnte der Vorstoß Edgar Frankes zeigen, welche Art von Kompromiss die nächste deutsche Regierung in dieser Frage finden wird.