Gaza-Krieg: Die Kosten der Schwächung der Hamas

Die Militärstrategie führt dazu, dass immer weniger Verhandlungspartner am Tisch sitzen; Warten auf das Eingreifen der USA, um einen Waffenstillstand herbeizuführen

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Wie kann ein Waffenstillstand erreicht werden? Laut Quellen der Zeitung Ha'aretz verhandeln der Leiter des Politbüros der Hamas, Khaled Meschal und Ismail Hanija, mit den Unterhändlern des ägyptischen Geheimdienstes. Ein Vertreter des Hamaspolitbüros berichtet, dass Verhandlungen nicht weiterkommen, weil die Hamas-Politführung ein Ende der Sperre an den Grenzübergangen von Gaza nach Ägypten und Israel pochen und mit dieser Forderung nicht durchkommen. Wie bekannt, steht es mit dem Verhältnis zwischen Ägypten und der beiden Hamas-Führer nicht zum Besten. Die Organisation gilt in Ägypten zudem als Terrororganisation.

Zur Erinnerung: Beim bejubelten Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas im Herbst 2012 (Zieht Vernunft in den Nahen Osten ein?) spielte ein gewisser Muhammed Mursi eine zentrale Rolle als Vermittler, dank der Verbindungen zwischen den Muslimbrüdern und der Hamas. Am Verhandlungstisch saß damals übrigens auch ein ein Anführer der Gruppe Islamischer Dschihad. Ein größerer Tisch also als aktuell.

Mit Verweis auf die Nichtbeachtung einer Waffenruhe durch die Hamas, die Israels Armee gestern während einiger Stunden einseitig einhielt, flog die IDF gestern weitere Luftangriffe. In den deutschen Nachrichten gestern Abend und heute Morgen hieß es, dass Hamas-Führer Ziele der Angriffe waren. Die palästinensische Nachrichtenagentur Ma'an präzisierte, dass die Aufenthaltsorte des Führers des Islamischen Dschihad, Abdullah al-Harazin, des früheren Hamas-Innenministers Fathi Hamad, des Hamas-Abgeordenten Ismail al-Ashqar und von Mahmoud al-Zahar angegriffen wurden.

Die IDF bestätigte heute Morgen (7:10), dass das Haus von Mahmoud al-Zahar angegriffen wurde. Ob der Hamas-Politiker dabei getroffen wurde, getötet oder verwundet, ist bislang nicht bekannt. Der Mann war schon 2003 Ziel eines israelischen Angriffs, bei dem sein Sohn ums Leben kam. Interessant ist, dass die IDF mit al-Zahar einen Politiker im Visier hat, der als Hardliner gilt, als politischer Gegner von Meschal und Hanija, die nach Ansicht des Mannes, der zwei Söhne bei israelischen Angriffen verlor, eine zu konziliante Haltung gegenüber Israel einnehmen. Al-Zahar ist auch Gegner der Einheitsregierung von Hamas und Fatah.

Und eine politische Persönlichkeit im Gazastreifen mit wichtigen Verbindungen zu den radikalen Gruppen: einer seiner Söhne war Mitglied des Islamischen Dschihad. Die Frage, die damit evoziert wird, lautet: Wie viel ist damit gewonnen, solche Personen zu töten - unter der militärischen Zielvorgabe, die radikalen Elemente der Hamas so weit es möglich ist zu schwächen -, statt sie als wichtige Verbindungsleute an den Verhandlungstisch zu bringen? Verhandlungen, bei denen Mahmout al-Zahar eine wichtieg Rolle spielte, führten im Herbst 2011 zur Befreiung von Gilat Shalit. Wäre ein größere Besetzung des Verhandlungstisches nicht besser?

Den Erfolgen bei der Schwächung der Hamas stehen einmal Mobilisierungseffekte bei den Verzweifelten und Wütenden gegenüber, die sich den militärischen Gruppierungen anschließen und den militärischen Widerstand als einzige mögliche Gegenwehr verstehen. Und eine katastrophale Bilanz: Über 200 Palästinenser, die bei den über 1.800 Luftangriffen getötet wurden, darunter viele Zivilisten, Frauen, Kinder, ebenso unter den weit über 1.000 Verletzten. Die Trinkwasserversorgung für Hundertausende ist gefährdet, auch die Stromversorgung; Krankenhäuser berichten von Mangel an Medikamenten.

Diesen Kriegsschäden stehen 1.215 Raketenangriffe aus Gaza in Israel gegenüber, ununterbrochener Raketenalarm, Einschläge kleineren Ausmaßes - und ein erstes Todesopfer in Israel aufgrund eines solchen Angriffs.

Dass dies in Israel nicht als harmlos empfunden wird, wie dies die bloße Zahl suggerieren könnte, ist jedem klar, der Berichte und Schilderungen aus Israel liest und hört. Das Sicherheitsgefühl ist mit anderen Gesichtspunkten und Erlebnissen verknüpft, die mit der bloßen Aufrechnung solcher Zahlen nur wenig zu tun haben. Aber die Assymetrie, die sich in solchen Aufrechnungen zeigt, ist auch nicht zu leugnen. Und sie gehört zentral zur palästinesischen Sicht auf die Verhältnisse, wie auch die Bilder von blutenden, verletzten Kindern und weinenden Mütter, die immer wieder mit biblischen Motiven aufgenommenen Fotos von Leid und zerstörten Häusern, die eine große Öffentlichkeit zu sehen bekommt. Die Proteste gegen die Kriegspolitik der israelischen Regierung Netanjahu/Lieberman häufen sich weltweit.

Daher wird der Druck für den Waffenstillstand kommen, der letztlich die USA dazu zwingen wird, wie die Washington Post berichtet, sich stärker in die Verhandlungen einzuschalten. Ob in Washington ein guter Plan vorliegt, ist fraglich. Da Verhandlungen zwischen Außenminister Kerry und seinem israelischen Kollegen, ohnehin eine gespannte Beziehung, parallel zu den Verhandlungen über das Atomprogramm Irans laufen, ist gut möglich, dass die USA Konzessionen von Israel nur mit einer größeren Härte der US-Haltung gegenüber Iran erhalten.