Barsanis Machtkampf in Irakisch-Kurdistan

Die Zuspitzung des Konflikts im Nordirak wirft Fragen an die Verlässlichkeit der Peshmerga im Kampf gegen den IS auf

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Vor 2 Monaten lief die Amtsperiode des kurdischen Präsident Barsani im Nordirak ab - er blieb aber im Amt. Seitdem tobt ein Kampf der kurdischen Parteien um die Macht. Angesichts der großen Herausforderungen im Kampf gegen den IS ist dies eine fatale Entwicklung.

KDP-Premier Nechirvan Barzani, der Neffe des "Noch-Präsidenten-ohne-Wahl", Massud Barzani, setzte die vier Minister der Gorran-Partei ab, darunter auch den bisherigen Minister Mustafa Sajid Kadir, der für die kurdischen Peschmerga-Kämpfer sowie für Waffenlieferungen zuständig war, und den Parlamentspräsidenten Yussuf Mohammed.

Im kurdischen Autonomiegebiet sind die stärksten Parteien die KDP von Stammesfürst Barzani, die PUK von Stammesfürst Talabani sowie die Gorran-Partei, die nach der letzten Wahl zweitstärkste Partei wurde und den Parlamentspräsidenten stellte. Nach dem Irakkrieg 2003 bildeten die KDP und die PUK das kurdische Autonomiegebiet im Nordirak mit eigenem Parlament mit Sitz in Erbil.

Zuvor hatten sich die beiden Parteien erbitterte Kämpfe um die Macht geliefert. Dabei ging es um die Vorherrschaft zweier Stammesfürsten in der Region. So hatte es auch zwei Verwaltungen gegeben: die der KDP in Erbil und die der PUK in Suleymaniye.

In der neuen irakischen Verfassung von 2005 wurde das Gebiet als autonome Region verankert. Irakisch-Kurdistan florierte: Es gab relativ stabile wirtschaftliche und soziale Verhältnisse, Exilkurden aus dem West kehrten zurück und brachten demokratisches Know-how mit. Dorthin flohen und fliehen die Iraker vor Krieg und Unsicherheit, zum Beispiel die irakischen Christen im arabischen Teil oder die Eziden (Jesiden).

Proteste in Suleymaniye, vergangene Woche. Screenshot, NRT

Grund der jetzt hochkochenden Auseinandersetzungen sind vor allem die massiven finanziellen Probleme der kurdischen Regionalregierung: Lehrer und Beamte werden seit Monaten nicht mehr bezahlt, auch die Peschmergas warten seit Monaten auf ihren Sold. Der Krieg gegen den "Islamischen Staat", die Versorgung der Flüchtlinge, der niedrige Ölpreis, all das strapaziert das kurdische Budget.

Dafür wird vor allem Massud Barsani verantwortlich gemacht, weil er seine tribalen Strukturen mittels Korruption begünstigt. Viele wichtige Ämter werden vom Barzani-Clan besetzt. Auch der Geheimdienst ist fest in Barzani-Hand. In Bagdad ist ein Barzani-Verwandter, Hoshyar Zebari, Finanzminister. Barsani, dessen Mandat 2013 schon einmal über die vorgesehenen acht Jahre hinaus um zwei Jahre verlängert wurde und das im August 2015 auslief, ist nicht gewillt, seinen Platz zu räumen.

Die Opposition fordert einen demokratischen Wechsel, die PUK hat dabei die Rolle der Vermittlerin inne: Der Kompromissvorschlag bestand darin, dass Barzani bleiben könne, aber mit einer neudefinierten Präsidentschaft mit weit weniger Befugnissen.

Hinsichtlich des Kampfes gegen den IS ist diese Entwicklung beunruhigend: Irakisch-Kurdistan ist bei der Versorgung der Bevölkerung zum überwiegenden Teil auf Importe aus der Türkei angewiesen, da im Autonomiegebiet selbst außer Öl fast nichts produziert wird. Selbst das Trinkwasser wird aus der Türkei importiert. Erdogan wird nicht zögern, diese Trumpfkarte im Kampf gegen die PKK bei Barzani einzusetzen.

Die von der Bundesregierung unterstützten Peschmergas werden angesichts fehlender Bezahlung wenig Motivation haben, sich gegen den IS zu stellen - eine große Gefahr angesichts des Rückzugs des IS aus Teilen Syriens wegen der russischen Bombardements. Es ist zu befürchten, dass sie sich in den Irak zurückziehen, sollte der Vormarsch der USA und der Alliierten Erfolg haben.

In Deutschland müsste Verteidigungsministerin von der Leyen angesichts der Entwicklungen ins Nachdenken kommen: Ihre Unterstützung der KDP-Peschmergas dürfte ins Leere laufen, wenn die "guten Kurden" keine verlässliche Größe mehr sind. Die USA setzen längst, wenn auch nur aus strategischen Gründen, auf die YPG/YPJ.