Reinheitsgebot unter Beschuss

Biotechnologieprofessor Ralf Kölling-Paternoga hält die Vorschrift zum Bierbrauen für eine unzeitgemäße und unnötige Einschränkung

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Vor fast 500 Jahren, am 23. April 1516, trat in Bayern eine Landesordnung in Kraft, in der nicht nur der Bierpreis, sondern auch die Zusammensetzung des Biers geregelt wurde - "allain Gersten Hopffen und Wasser" hieß es, sollten da hinein.

Über die Ursache dieses "Reinheitsgebots" wird viel spekuliert: Einige Forscher nehmen an, die Vorschrift sollte verhindern, dass Brauer psychoaktive Pflanzen wie Tollkirsche und Bilsenkraut zugeben - andere glauben, dass die Beschränkung auf Gerste in erster Linie dafür sorgen sollte, dass den Bäckern genug Weizen und Roggen bleibt.

Die erste Lebensmittelvorschrift war das Reinheitsgebot (das damals noch nicht so hieß) in jedem Fall nicht: Im Teilherzogtum Bayern-Landshut sowie in einzelnen Zunft- und Stadtordnungen galten solche Vorschriften schon früher - und der Codex Hammurabi regelte sogar schon 1.800 vor Christus, wie Bier gebraut werden soll. Aber es entwickelte sich zu einer Art Ein-Wort-Werbeslogan, der suggeriert, dass Bier rein und deshalb gesund und unschädlich sein muss.

Sehr streng genommen halten sich deutsche Brauer schon lange nicht mehr an das Reinheitsgebot: Sie brauen Weißbier aus Weizen, obwohl die Vorschrift von 1516 nur Gerste vorsieht. Und sie geben Hefe hinzu, über deren Funktion beim Bierbrauen man vor 500 Jahren noch nichts wusste (was aber insofern wenig machte, als die Keime bei den damaligen hygienischen Zuständen meistens von selbst in die Kessel gerieten und sich vermehrten).

Modedroge Crystal Weizen. Foto: Public Domain

Der Hohenheimer Biotechnologieprofessor Ralf Kölling-Paternoga plädiert nun dafür, das Reinheitsgebot ganz zu streichen. Er hält es im 21. Jahrhundert mit seinen zahlreichen und detaillierten Lebensmittelvorschriften nicht nur für obsolet, sondern sogar für schädlich, weil es seiner Ansicht nach die Brautechnik in Deutschland unnötig kompliziert macht und bei den heimischen Bieren Abwechslung durch die Verwendung von Roggen, Mais oder Kartoffeln verhindert.

Dass man Biere aus solchen Zutaten heute in Deutschland problemlos kaufen kann, liegt an einem EuGH-Urteil aus den 1980er Jahren, das den deutschen Markt für solche Importe öffnete. Wer in Deutschland kommerziell braut, muss sich jedoch weiterhin an das Reinheitsgebot halten oder Ausnahmegenehmigungen einholen (vgl. Unser Bier statt Einheitsbier und Offline-Flatrate in Maisach).

Das Reinheitsgebot ist nach Ansicht von Kölling-Paternoga nur deshalb so unkompliziert, weil man im 16. Jahrhundert noch sehr wenig darüber wusste, was beim Brauen vor sich geht. Heute jedoch weiß man zum Beispiel, dass Enzyme eine gewisse Mindestmenge an Zink benötigen, um zu gären. Den könnte man eigentlich einfach und kostengünstig zugeben - wegen des Reinheitsgebots extrahiert man ihn jedoch "umständlich aus den Rückständen des Bierbrauens, den Trebern".

Ähnliches gilt dem Biotechnologieprofessor nach beim pH-Wert, der für die Gärung abgesenkt wird: Hier ließe sich der Brauprozess vereinfachen, wenn man Milchsäurebakterien zugibt, anstatt zu hoffen, dass sich auf Getreidekörnern genügend finden. Und wenn nachträglich Kohlensäure zugesetzt werden dürfte, müsste man den Gärungsprozess nicht unterbrechen.

Da dem vorläufigen Biergesetz von 1993 nach nur gemälztes - also aufgekeimtes - Getreide zugegeben werden darf, ist auch das Brauen von Rohfruchtbieren wie dem Irish Red (bei denen ein Teil der Körner ungekeimt zugegeben wird und die Kölling-Paternoga zufolge "vollmundiger schmecken [können] als herkömmliche Biere") nicht erlaubt. Gleiches gilt für das inzwischen auch in Deutschland sehr beliebte India Pale Ale, bei dem Hopfen ins Gärfaß kommt.

Als das Fernsehen sein Geld noch wert war: Georg Lohmeier in Bamberg

Ein anderer Professor, der sich an der Universität Hohenheim anlässlich des 500jährigen Reinheitsgebotsjubiläums mit Bier beschäftigt, ist der Archäobotaniker Hans-Peter Stika. Er fand heraus, dass das von den vor Germanen und Römern in Süddeutschland ansässigen Kelten gebraute Bier auch ohne Reinheitsgebot ein "süffiges Gebräu" war - dazu noch "dunkel und rauchig", wie es heute noch in Bamberg gebraut wird.

Reinheitsgebot hin oder her: Das beste Bier kommt aus Bamberg. Foto: TP

Holzgefäße, Kochsteine und Beigaben wie Beifuß und Möhrensamen sorgten allerdings dafür, dass sich das "süffige Gebräu" auch von heutigen Bieren geschmacklich unterscheidet, bei denen das Malz mit Buchen- oder Eichenholzfeuern getrocknet wird. Das fand der Archäobotaniker bei Ausgrabungen in Hochdorf im Landkreis Ludwigsburg heraus, bei denen man Gräben freilegte, in denen die Kelten Gerste ankeimen ließen. Anschließend trockneten sie das Grünmalz über offenen Holzfeuern.

Das bei einem Schadbrand verkohlte Braumalz, das Stika in Hochdorf ausgrub, hätte seinen Berechnungen nach für 750 bis 1.000 Liter fünfprozentiges Bier gereicht. Zusammen mit der guten Qualität des Malzes ist das seiner Ansicht nach ein Hinweis darauf, dass hier relativ spezialisierte Brauer mit viel Fachwissen am Werk waren, die das Getränk für eine größere Menge an Gästen herstellten. Außerdem vermutet er, dass die Kelten die Spelzgerste speziell zum Brauen und nicht zum Konsum als Brei anbauten. Unklar ist, ob sie der Gärung mit Obst oder Honig nachhalfen - dazu gab der archäologische Befund nichts her.

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