Polierte Dreckschleuder

Abschied von der Rallye-Simulation: "Colin McRae: DiRT 2" setzt auf kurze, knackige Rennen

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Sonnenstrahlen fallen durch getönte Scheiben auf ein ranziges Sofa. Ein Ventilator kämpft tapfer gegen die Hitze, auf dem Boden gammeln leere Getränkedosen, von irgendwoher dringt Rockmusik: Der Caravan, mit dem wir in DiRT 2 von einem Wettbewerb zum nächsten tingeln, bedient aufs Schönste das Klischee vom unsteten Rennfahrerleben - und dient gleichzeitig als dreidimensionales Menü: Ein Haufen Offroad-Magazine birgt die Rennstatistik, eine Pinnwand führt zum Online-Modus, und über die eselsohrige Weltkarte auf dem Schreibtisch wählen wir das nächste Rennen zwischen Kroatien und China, Marokko und Baja California. Wo viele Games nur nüchterne Auswahlmenüs bieten, setzt "DiRT 2" auch in den Spielpausen auf Immersion. Vor Wettkampfbeginn treten wir durch die Wohnwagentür ins Freie, wo sich die Zuschauer an unseren auf Hochglanz polierten Rennauto vorbeischieben. Die Show kann beginnen!

Mit "Colin McRae: DiRT 2" setzt Codemasters seine erfolgreiche Rennspielserie fort. Doch mit den Vorgängerversionen hat der neue Racer herzlich wenig gemein. An die Stelle langer Rallye-Fahrten sind kurze, knackige Rennen getreten, von denen kaum eines mal länger als fünf Minuten dauert. Den klassischen Kampf gegen die Uhr auf Sand- und Schotterpisten gibt es nach wie vor, daneben aber auch Stadtkurse in London und Tokio. "DiRT 2" bietet sieben Fahrzeugklassen, vom Rallye-Auto über den Buggy bis zum Offroad-Truck. Das Spiel soll schneller, unterhaltsamer und zugänglicher sein als die Vorgänger - kein Wunder, dass Codemasters sich auch bei den Fahreigenschaften vom hohen Realismusanspruch früherer Jahre verabschiedet hat. Die Steuerung pendelt irgendwo zwischen Simulation und Arcade, die Fahrzeuge sind bedeutend einfacher zu lenken, ohne jedoch wie auf Schienen zu fahren, und auch das Schadensmodell zeigt sich nachgiebig. Eingefleischten Rallye-Fans mag dies wie ein Verrat an den Idealen der Rennserie vorkommen. Allen anderen kann das relativ egal sein - "DiRT 2" macht nämlich richtig viel Spaß.

Einer der größten Trümpfe des Spiels ist zweifellos seine Grafik. Schon das erste Rennen ist ein Augenschmaus: Zwischen Felsen und knorrigen Bäumen preschen wir durch eine kroatische Berglandschaft und wirbeln dabei dichte Staubwolken auf; durch Haarnadelkurven geht es an gähnenden Abgründen entlang hinunter ins Ziel. Wäre da nicht die tickende Uhr, würde man nur zu gerne den Motor abstellen und die Aussicht genießen. Ähnlich ergeht es uns später, wenn wir durch den Dschungel Malaysias oder die kargen Hügel Marokkos rasen. Das hervorragende Streckendesign kommt durch die EGO-Grafikengine - Rennspielfans dürfte sie bereits aus Race Driver: GRID bekannt sein - bestens zur Geltung.

"GRID" stand aber auch in Sachen Gameplay Pate: Wie schon Codemasters' Asphalt-Racer lässt sich auch "DiRT 2" nach einem Unfall um mehrere Sekunden zurückspulen - je nach voreingestelltem Schwierigkeitsgrad bis zu fünf Mal pro Rennen. Die Replay-Funktion mag ein weiteres Zugeständnis an die Arcade-Fraktion sein, macht aber spieltechnisch durchaus Sinn: Bei den mehrheitlich kurzen Rennen könnte sonst schon ein einziger Fahrfehler den Podiumsplatz vereiteln. Hinzu kommt, dass die Gegner-KI in "DiRT 2" recht aggressiv zu Werke geht und auch vor Remplern nicht zurückschreckt. Codemasters gibt sich alle Mühe, den Computergegnern Persönlichkeit zu verleihen. Im Feld tauchen bekannte Namen wie Ken Block oder Travis Pastrana auf - sie übernehmen auch als Spielfiguren das Erbe des schottischen Rallye-Fahrers Colin McRae, der 2007 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam.

"DiRT 2" wartet mit über hundert Events auf, die durch das Sammeln von Erfahrungspunkten freigeschaltet werden. Sind es zunächst nur Einzelrennen, in denen der Fahrer sein Können beweisen darf, so kommen später mehrteilige Herausforderungen hinzu, an deren Ende die Platzierungen verrechnet werden. Um in der Profi- und All-Star-Klasse mithalten zu können, müssen die Fahrzeuge nach und nach aufgerüstet werden - angesichts der üppigen Preisgelder in "DiRT 2" gibt es aber kaum Finanzierungsprobleme. Zu den Höhepunkten im Karrieremodus zählen die "X Games", die Rennen aus verschiedenen Disziplinen kombinieren, und die anspruchsvollen World-Tour-Wettbewerbe, bei denen fünf Läufe der gleichen Sorte zu absolvieren sind.

In den klassischen Rallyes ist ein Co-Pilot mit an Bord, der vorausliegende Streckenabschnitte beschreibt und den Blick auf die Minimap weitgehend überflüssig macht. Neben diesen Zeitfahrten gibt es mehrere Events, bei den die Fahrer Motorhaube an Motorhaube um die vorderen Plätze kämpfen: Unter anderem "Raid", das mit seinen halsbrecherischen Abkürzungen stark an den PS3-Klassiker "MotorStorm" erinnert, oder auch "Landrush", bei dem es Buggys und Trucks durch enge Kurven und über Schanzen geht.

All das ist schon sehr unterhaltsam, wird aber durch drei Spezialmodi zusätzlich aufgepeppt. "Last Man Standing" sind Ausscheidungsrennen, bei denen alle paar Sekunden der jeweils letzte Fahrer aus dem Feld geworfen wird. "Domination" misst die Zeiten der Fahrer in vier separaten Streckenabschnitten und kombiniert sie mit der Abschlussplatzierung zu einem Gesamtwert: Hier hat man selbst dann noch gute Gewinnchancen, wenn man durch einen Unfall zurückgeworfen wurde. Schließlich gibt es noch die "Gate Crasher"-Events, bei denen es auf der Strecke verteilte Tore zu überfahren gilt. Alle diese Rennen stehen auch im Multiplayer-Modus zur Verfügung, bis zu fünf von ihnen können zu sogenannten "Jam Sessions" verkettet werden.

Codemasters liefert mit "DiRT 2" ein überaus unterhaltsames Stück Rennsoftware ab. Gewiss würde schlechtes Wetter den Rennen zusätzliche Spannung verleihen; leider bietet "DiRT 2" jedoch keine zünftigen Schlammschlachten bei strömendem Regen. Immerhin: Auch Nachtfahrten stehen auf dem Programm und werden in der in der Industriekulisse der Londoner Battersea Power Station packend inszeniert. Die Auswahl an 35 Rennwagen ist nicht gerade üppig, aber ausreichend. Eher schon wünscht man sich eine bessere Leistungsabstufung innerhalb der Fahrzeugklassen. Einen Minuspunkt gibt es auch für den fehlenden Splitscreen-Modus: Man möchte doch nicht immer nur online gegen Freunde spielen. Diese kleineren Mängel können den erstklassigen Gesamteindruck aber nicht schmälern: "DiRT 2" ist ein Muss für Rennspielfans.