Überraschung am Ende des Sonnensystems

Am Rand der Heliosphäre gibt es ein Band aus energetisch geladenen Partikeln

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Vor einem Jahr startete die NASA-Sonde "Interstellar Boundary Explorer" (IBEX), um die Grenzen unseres Sonnensystems zu erforschen. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor – und sie stellen alle bisherigen Annahmen in Frage. Zwischen uns und den interstellaren Raum gibt es ganz unerwartet eine eng begrenzte Region voller spezieller Teilchen.

Die beiden Sonden Voyager 1 und Voyager 2 segelten bereits in der Vergangenheit an allen Planeten vorbei aus unserem Sonnensystem hinaus, doch die von ihnen gesendeten Daten ließen viele Fragen unbeantwortet (vgl. Wer hat das Sonnensystem plattgedrückt?).

Die Sonne, unser Zentralgestirn, sorgt für einen ständigen Nachschub an Teilchen, die sie in alle Richtungen in den Raum ausstößt, den so genannten Sonnenwind (vgl. Entstehung der Sonnenwinde). Dieser konstante Teilchenstrom umgibt wie eine riesige magnetische Blase alle Planeten und sorgt dafür, dass die interstellare Materie in einem Abstand von ungefähr 100 Astronomischen Einheiten (1 AE = mittlere Entfernung zwischen Erde und Sonne) außen vor bleibt. Diese Heliosphäre umspannt als eine Art Schutzmantel unser Sonnensystem, denn die interstellaren Winde werden von ihr ebenso abgelenkt wie ein beträchtlicher Teil der kosmischen Strahlung.

Die Voyager-Sonden haben die Heliosphäre durchquert und sie verlassen. Dabei haben sie ein erstes Bild von diesem Grenzbereich geliefert und verdeutlicht, dass die Blase ein wenig platt gedrückt ist.

Wer sich aus dem Sonnensystem heraus bewegt, erlebt zunächst den „Termination Shock“, wenn die Partikel des Sonnenwindes schlagartig abgebremst werden, jenseits davon befindet sich die Helipause, wo der Teilchenstrom der Sonne kaum noch eine Rolle spielt. Wer noch tiefer in die Weiten des Kosmos vordringt, durchfliegt den interstellaren Raum. Das ganze Gebilde ist allerdings nicht statisch, sondern dynamisch – alles variiert unter anderem je nach Stärke des Sonnenwindes. Soweit so gut, das Modell steht, muss aber in den Details noch erforscht werden.

Die IBEX-Sonde, Bild: NASA

IBEX

Die Voyagers lieferten Anhaltspunkte dafür, dass weit draußen jenseits der äußersten Planeten einiges anders sein könnte, als einfache Modelle es vermuten ließen. So durchquerte Voyager 2 in einigen Tagen mindestens fünf Mal den „Termination Shock“, auf den sie weit eher zum ersten Mal gestoßen war, als ihre Vorgängerin (10 Astronomische Einheiten näher an der Sonne). Offensichtlich geht es da draußen weitaus turbulenter zu, als die Astronomen sich das vorgestellt hatten.

Die NASA entschloss sich deshalb, eine eigene Sonde zu starten, die sich die Außengrenze des Sonnensystems genauer anschauen sollte. "Interstellar Boundary Explorer" (IBEX), ein Winzling mit einer Größe von ungefähr 70 mal 100cm und einem Gewicht von 460 Kilo, wurde vor einem Jahr gestartet (vgl. IBEX Fact Sheet). In einer Höhe von rund 300.000 Kilometer kreist IBEX nun um die Erde und kartografiert aus der Ferne die Grenzregion weit jenseits des Pluto.

Jetzt stellen verschiedenste Wissenschaftlerteams in der aktuellen Ausgabe des Magazins Science in fünf Artikeln die bereits durch IBEX gewonnen Erkenntnisse vor. Und diese Forschungsergebnisse stellen die gängigen Bilder nachhaltig in Frage.

Besonders verblüffend ist die Tatsache, dass sich dort draußen ein den Himmel überspannendes Band aus energiegeladenen neutralen Atomen (ENA) befindet. Sie entstehen, wenn die geladenen Partikel des Sonnenwinds auf interstellare Materie treffen. Diese Teilchen werden durch Magnetfelder nicht ihrer Bewegung beeinflusst, ohne sich ablenken zu lassen, schießen sie auf die Erde zu, wo IBEX sie abfängt. Kein Modell und keine Theorie hatte das Band vorhergesagt und die Voyager-Sonden sind an ihm vorbei gedüst, ohne es zu bemerken. Es ist schmal, lang und hat eine Energie von 0.2 bis 6.0 Kilo-Elektronenvolt (keV).

Detailansicht des ENA-Bandes, Bild: Southwest Research Institute (SwRI)

Die Wissenschaftler haben die Vermutung, dass das Magnetfeld der Milchstraße für das Phänomen verantwortlich sein könnte. Sicher ist aber nur, dass sie vor etwas völlig Neuem stehen, dessen Entstehung und Rolle in der Heliosphäre erst geklärt werden muss. Die Astrophysiker sind sich einig, dass die bisherigen Modelle nun zu überprüfen sind.

Der Leiter der IBEX-Mission Dave McComas vom Southwest Research Institute ist sich sicher, dass die überraschenden Forschungsergebnisse unser Bild von der Heliosphäre revolutionieren werden:

Die IBEX-Resultate sind wirklich bemerkenswert, denn sie zeigen Emissionen, die keiner gängigen Theorie und keinem Modell dieser nie zuvor gesehen Region entsprechen. Wir erwarteten kleine, graduelle räumliche Variationen an der interstellaren Grenze zu finden. Aber IBEX zeigt uns ein sehr schmales Band, das zwei oder drei Mal strahlender ist als alles andere am Himmel.