"Laufzeitverlängerung ist eine Sackgasse"

Die Energie- und Klimawochenschau: Beim EPR-Bau wird reichlich gepfuscht, Grundlastkraftwerke sind out und an der Gebäudesanierung wird nicht ganz so hart gespart, wie Wolfgang Schäuble es gerne hätte

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Wie es aussieht, ist das Vorzeigeprojekt der europäischen Atomindustrie im finnischen Olkiluoto eine ganz normale Baustelle, wie etwa die Kölner U-Bahn. Pfusch am Bau scheint so üblich zu sein, wie ihn die älteren vielleicht noch aus den 1970er Jahren von deutschen AKWs kennen, wo schon mal mit Hydraulikpressen nachgeholfen wurde, um die einzelnen Bestandteile des Druckbehälters des Kraftwerks Krümmel - heute einer von Vattenfalls Pannenreaktoren - passend zu machen.

"Die Baustelle ist zu groß, um alles richtig zu machen", zitierte letzte Woche die schweizerische Wochenzeitung (WoZ) Andrzej Miciak, einen polnischen Arbeiter, der für eine britische Leiharbeitsfirma mit Sitz auf Zypern arbeitet. Miciak ist einer von 4.000 Beschäftigten aus 60 Ländern, die mit 1.500 Subunternehmen am Bau arbeiten. Die Fachleute von Areva, des eigentlichen Bauherren, die meisten von ihnen aus Deutschland, würden nicht einmal mit den Arbeitern sprechen und diese "wie Bauern in einem Schachspiel oder schlechter" behandeln.

Da ist es natürlich auch nicht möglich, über beobachtet Baumängel zu sprechen. Die Atomaufsichtsbehörde Stuk habe bisher 3.000 gezählt, aber nach dem, was die WoZ über Interviews mit verschiedenen polnischen Arbeitern schreibt, dürfte dies nur die Spitze des Eisbergs sein. Manches sei einfach mit Beton übergossen worden, zum Beispiel, wenn Verbindungen zwischen Stahlträgern gefehlt oder Schweißnähte nicht gehalten hätten. Es herrsche ein ungeheuerer Zeitdruck und Kontrolleure würden mitunter Anweisungen geben, Fehler zu kaschieren.

AKW Olkiluoto III. Bild: Wikimedia. Lizenz: CC-BY-SA-3.0.

Gerüchte über diese Zustände waren der finnischen Greenpeace-Sektion zu Ohren gekommen, die daraufhin einen polnischen Journalisten bat, die Arbeiter zu interviewen. Der WoZ-Bericht stützt sich im Wesentlichen auf diese Aussagen. Vom finnischen Unternehmen TVO, das den Reaktor einst von Areva für einen Festpreis von drei Milliarden Euro übernehmen soll, habe es ein vorsichtiges Dementi gegenüber der örtlichen Presse gegeben.

Drei Milliarden wären für einen 1.600-Megawatt-Kraftwerk ein Schnäppchen, aber am Ende werden wohl erheblich höhere Kosten herauskommen, über die sich Areva und die ebenfalls beteiligte Siemens AG schon seit längeren streiten. Und wie immer, wenn man diese drücken will, setzt man bei den Arbeitern an. Offiziell bekommen diese Brutto 24 Euro. Davon landen aber oft nur acht Euro bei den Leiharbeitern. Vom Rest müssen die Firmen Krankenkassen- und Gewerkschaftsbeiträge sowie Steuern bezahlen. Was aber nicht immer geschieht, so dass mancher schon krank wurde und feststellte, gar nicht versichert zu sein. Auch wurden einige schon mit Forderungen der Steuerbehörden konfrontiert. 10.000 oder 20.000 Euro sollten sie auf einmal nachzahlen, die ihr Unternehmen einbehalten, aber nicht abgeführt hatte.

Die Zeitung erinnert daran, dass die Atomaufsichtsbehörden Frankreichs, Großbritanniens und Finnlands in einem gemeinsamen Schreiben vor einigen Monaten das EPR-Design kritisiert haben. So wie er bisher konzipiert sei, wären das normale Betriebssystem und das Notfallsystem zu stark mit einander verknüpft. Daher sei es eher unwahrscheinlich, dass das Notfallsystem im Fall der Fälle einspringen könne. Werde das nicht noch geändert, dürften Reaktoren dieses Typs in den genannten Ländern nicht ans Netz gehen. Ursprünglich sollte der EPR in Olkiluoto an Finnlands Westküste schon im vergangenen Jahr ans Netz gehen, aber vor 2012 wird es nichts mehr werden. Eventuell wird man auch noch länger warten müssen.

AKWs werden nicht gebraucht

Geht man von dem Schaukampf aus, den die Regierungsparteien in den letzten Wochen in Sachen Atomkraft dem Publikum geliefert haben (siehe Kampagnen gegen Klimaforscher), der einem Trommelfeuer von Nebelgranaten gleichkam, dann ist daraus wohl zu schließen, dass Union und Liberale die Diskussion über die künftige Energieversorgung am liebsten in trauter Koalitionsrunde - mit geladenen Gästen aus den Konzernzentralen von E.on & Co., versteht sich - ausmachen wollen. Der staunenden Öffentlichkeit würde dann irgendwann im Herbst ein fertiges "Energiekonzept" präsentiert. Das sind so die Vorstellungen von Demokratie, wie sie hierzulande die Regierenden pflegen.

Die Umweltverbände und der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) mögen das Spielchen allerdings nicht mitmachen. Am Montag meldeten sich BEE und Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit einer Studie über das Zusammenspiel der verschiedenen Energieträger zu Wort, die ihnen das Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kassel erstellt hatte. Das Ergebnis, das Insider wenig überrascht haben dürfte: Die schwerfälligen Atom- und Kohlekraftwerke, die eigentlich nur für den Grundlastbetrieb geeignet sind, werden in den nächsten Jahren zunehmend in Konflikt mit Sonne und Wind geraten.

"Das Energiekonzept, das die Bundesregierung derzeit ausarbeiten lässt, bleibt ein Muster ohne Wert, wenn es den Systemkonflikt zwischen Erneuerbaren Energien und klassischen Großkraftwerken nicht untersucht. Der Weg in das regenerative Zeitalter muss im Regierungskonzept konkret und nachvollziehbar beschrieben werden", meinte bei der Vorstellung der Studie DUH-Geschäftsführer Rainer Baake. Die Verlängerung der AKW-Laufzeiten sei eine Sackgasse und keineswegs die Brücke in die Energiezukunft, als die sie von Unionspolitikern und Energiewirtschaft der Öffentlichkeit verkauft wird.

Wie kommt Baake zu dieser Ansicht? Am Kasseler Frauenhofer Institut haben Michael Sterner und seine Kollegen nachgerechnet, wie 2020 die Stromversorgung aussehen könnte. Sie sind dabei von dem BEE-Szenario ausgegangen, das für dieses Jahr eine 47prozentige Deckung des Bedarfs mit erneuerbaren Energieträgern annimmt. Außerdem haben sich die Forscher die Wind- und Sonnenscheindaten von 2007 hergenommen, um die zeitliche Verteilung der Stromproduktion durch Windkraft- und Solaranlagen zu bestimmen. Hinzugerechnet wurde außerdem jeweils die wetterunabhängig steuerbare Produktion von Biogasgeneratoren und Wasserkraftwerken. Ein geringer geothermischer Anteil wurde außerdem als nahezu kontinuierliche Grundlast angenommen.

Das Ergebnis: Der Anteil des "grünen" Stroms variiert zwischen 15 und 110 Prozent. Von Woche zu Woche können erhebliche Fluktuationen auftreten, wenn sich auch über das Jahr gerechnet Sonne und Wind ganz gut ergänzen. In den kalten Monaten, wenn die Solarzellen wenig Strom liefern, bläst der Wind kräftiger, im Sommer hingegen, wenn die Fotovoltaik ergiebiger ist, drehen sich die Windräder weniger.

Dargestellt ist die Leistung, die konventionelle Kraftwerke 2020 noch liefern müssen. Wie man sieht wäre häufiges Hoch- und Runterfahren selbst für AKWs nötig. Bild: IWES

Mittelfristig sind also konventionelle Kraftwerke weiter nötig, sozusagen als Lückenbüßer. Aber die Anforderungen an den Kraftwerkspark werden ganz andere sein. Der traditionelle Grundlastbereich löse sich auf, so Sterner am Montag vor der Presse in Berlin. Die Kraftwerke müssten flexibler gefahren werden, Teillast sowie An- und Abschalten werden häufiger. Kohlekraftwerke sind für derartige Manöver nur bedingt ausgelegt und Atomkraftwerke schon gar nicht. Hinzu kommt, dass ein derartiger Betrieb ihre Wirtschaftlichkeit in Frage stellt. Bei neuen Kohlekraftwerken wird heute als untere Grenze ihrer Wirtschaftlichkeit etwa 6.000 jährliche Volllaststunden kalkuliert (das Jahr hat 8760 Stunden). Sie müssten also mindestens neun Monate im Jahr rund um die Uhr laufen, was nach den von Sterner und Kollegen errechneten Szenario unwahrscheinlich wird.

Langfristig, auch das haben die IWES-Forscher untersucht, sind verschiedene Maßnahmen nötig, um dem Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage zu begegnen. Dazu gehören verschiedene Speicheroptionen, wie Druckluftspeicher, Pumpspeicherkraftwerke, Elektroautos und Methan, das mit überschüssigen Strom erzeugt und ins Gasnetz eingespeist wird (siehe: Die Karten werden neu gemischt). Dazu gehört aber auch ein Ausbau des Netzes, um den Strom besser zu verteilen, und zwar auch über Landesgrenzen hinweg. Eine der immer wieder diskutierten Optionen ist eine Verbindung zu den enormen Wasserkraftpotenzialen Norwegens. Die Skandinavier könnten dann in Zeiten starken Windes mit Windstrom versorgt werden, und würden bei Flauten im Gegenzug Strom aus ihren Stauseen liefern.

Doch bisher gibt es keinerlei Anzeichen, dass die Bundesregierung diese Anforderungen an die künftige Stromversorgung auch nur zur Kenntnis genommen hat. BEE-Geschäftsführer Björn Klusman macht sich daher ernsthafte Sorgen. Die Koalition müsse konkrete Maßnahmen zum Ausbau von Stromspeichern und regenerativen Kombikraftwerken entwickeln: "Wer den Weg in das regenerative Zeitalter gehen will, muss logischerweise die Erneuerbaren Energien in den Mittelpunkt seines Energiekonzepts stellen, alles andere sät Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser zentralen energiepolitischen Aussage im Koalitionsvertrag von Union und FDP."

Angesichts der Sturheit, mit der die Probleme verdrängt und die Konzerne an ihren ungeeigneten Großkraftwerken festhalten, sind für die nächsten Jahre, wenn der Anteil der Erneuerbaren weiter zunimmt, schwere Konflikte programmiert. Derzeit sind bereits neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 11.393 Megawatt im Bau, alles Groß- und Größtkraftwerke, die für den Grundlastbetrieb gedacht sind. Bauherren sind meist die Mitglieder des Stromoligolpols. Es sollte nicht wundern, wenn von dieser Seite in ein paar Jahren zum Generalangriff auf das Erneuerbare-Energiengesetz und die darin enthaltene Vorrangregelung für den "sauberen" Strom geblasen wird.

Gebäudesanierung geht weiter

Und zum Schluss die gute Nachricht der Woche. Nach einer Kampagne von Umweltschützern und Gewerkschaftern werden die Zuschüsse für die Gebäudesanierung nun doch nicht ganz so stark gekürzt, wie ursprünglich vorgesehen. Statt 1,06 Milliarden wird es nun 1,5 Milliarden Euro geben. Im vergangenen Jahr waren es noch 2,25 Milliarden Euro gewesen, schreibt die an der Kampagne beteiligte Nachrichten-Plattform wir-klimaretter.de. Auch die Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt hatte sich an den Protesten beteiligt.

77.000 Emails hatten die Regierungsfraktionen erreicht, um auf die Unsinnigkeit der Kürzung aufmerksam zu machen. Gebäudesanierung ist nicht nur ein in Krisenzeiten besonders willkommener Jobmotor - 300.000 Arbeitsplätze seien im letzten Jahr gesichert oder neu geschaffen worden, heißt es beim Kampagnenverein campact.de -, sondern auch ein effektiver Beitrag zum Klimaschutz. Durch Isolierung der Gebäude kann ohne jeden Komfortverlust ein erheblicher Teil der Energie eingespart, womit auch CO2-Emissionen vermieden werden.

Der Beschluss der Regierungsparteien im Haushaltsausschuss, die Unterstützung nicht ganz so stark zurückzufahren, hat allerdings mehrere Haken: Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Zuschüsse zwar nicht ganz so stark beschnitten wurden, wie ursprünglich geplant, aber doch um 750 Millionen Euro niedriger ausfallen werden. Nötig wäre jedoch eine Aufstockung gewesen, denn Gebäudeheizungen gehören zu den wichtigsten Quellen des Treibhausgases CO2, und die Einsparpotenziale sind enorm. Schon das bisherige Tempo der Sanierung war viel zu langsam. Bei etwas einer Million sanierter Wohnungen pro Jahr wird es bis zur Mitte des Jahrhunderts dauern, bis der Bestand saniert ist. Außerdem wurde ein erheblicher Teil der nun zusätzlich locker gemachten Gelder, 310 Millionen Euro, vorgezogen. Sie werden also 2011 fehlen. Auch wenn sich campact über den Erfolg seiner Aktion freut, so bleibt das Thema Gebäudesanierung wohl noch lange ein Dauerbrenner.