Eine neue Form prekarisierter Arbeitnehmer

Die erste umfassende Studie zur Situation von studentischen Hilfskräften und Mitarbeitern entdeckt neue Lerntypen für den Arbeitsmarkt der Zukunft. Ein Gespräch mit Autor Christian Schneickert

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Rund 400.000 studentische Hilfskräfte und Mitarbeiter sind an deutschen Hochschulen beschäftigt und übernehmen hier wichtige Aufgaben in unterschiedlichsten Bereichen. Des Geldes wegen, versteht sich, aber sicher auch, um die eigene (wissenschaftliche) Karriere von Beginn an in die richtigen Bahnen zu lenken. Dass dieser Plan aufgeht, darf nach einer aktuellen Analyse bezweifelt werden.

Christian Schneickert beschreibt in seinem gerade erschienenen Buch "Studentische Hilfskräfte und MitarbeiterInnen" eine bildungs- und arbeitssoziologisch kaum erforschte Gruppe im Spannungsfeld von sozialer Ungleichheit und prekärem Arbeitnehmersein. Seine Studie basiert auf mehreren Leitfadeninterviews, einer bundesweiten Telefonbefragung von Personalräten deutscher Universitäten, Gesprächen mit Lehrstuhlinhabern und einer bundesweiten Online-Befragung von 3.961 Hilfskräften aus 139 Fächern, die von Januar bis Mai 2011 durchgeführt wurde. Telepolis sprach mit Schneickert über die wichtigsten Erkenntnisse.

Hilfskräfte vergleichen sich nicht mit Akteuren auf dem regulären Arbeitsmarkt

Herr Schneickert, es gibt derzeit etwa 400.000 studentische Hilfskräfte und Mitarbeiter an deutschen Hochschulen. Womit beschäftigen sie sich und wie viel verdienen sie im Durchschnitt?

Christian Schneickert: Es geht einerseits um die klassischen Tätigkeiten, also Kopieren bzw. Scannen, Recherchearbeiten, Datenbankpflege, Bücher holen und Bücher wegbringen. Dann aber auch um unterschiedliche Aufgaben in Technik und Verwaltung oder im Lehrbetrieb. Der Stundenlohn bewegt sich zwischen 10,87 im tarifgebundenen Berlin und 7,58 Euro in Thüringen.

In welchem Verhältnis steht die Entlohnung zur erbrachten Arbeitsleistung?

Christian Schneickert: Wir müssen zunächst berücksichtigen, dass es hier nicht um normale Lohnberufe geht. Diese Beschäftigungsverhältnisse sollen einen Weiterbildungseffekt erfüllen, das ist aber längst nicht immer der Fall. Nach meinem Gefühl sind diese Mitarbeiter unterbezahlt. So denken auch andere Wissenschaftler und die Gewerkschaften sowieso.

Wir wissen allerdings aus unseren Befragungen, dass die große Mehrheit der studentischen Hilfskräfte und MitarbeiterInnen mit ihrer finanziellen Situation absolut zufrieden ist. Das liegt unter anderem daran, dass sie informelle Vorteile genießen.

Das heißt, es herrscht eine gute Arbeitsatmosphäre, man lernt Professoren aus nächster Nähe kennen und kann sich bestimmte Arbeitstechniken aneignen. Wer einen solchen Job bekommt, holt sich ein wenig die beschauliche Studiensituation der 1950er und frühen 60er zurück.

Die Personen, die wir befragt haben, vergleichen sich gar nicht mit anderen Akteuren auf dem Arbeitsmarkt, sondern beobachten, wie ihre Beschäftigung im Vergleich zu anderen Studentenjobs wahrgenommen wird.

Der Erwerb von Distinktionsmerkmalen

Die Beschäftigung als Hilfskraft bringt demnach Vorteile im studentischen Konkurrenzkampf?

Christian Schneickert: Auf jeden Fall. An der modernen Massenuni geht es um den Erwerb von Distinktionsmerkmalen. Das können Praktika sein, natürlich auch Auslandsaufenthalte oder eben die sogenannten HiWi-Jobs. Um auf sich aufmerksam zu machen, erste Kontakte zu knüpfen und nicht sofort in der Menge unterzugehen, ist so ein Job nach wie vor eine gute Wahl.

Die Hilfskräfte und Mitarbeiter sind bildungssoziologisch ziemlich klar definiert. Sie stammen oft aus bildungsnahen Haushalten, die meisten Promovierenden haben früher in solchen Beschäftigungsverhältnissen gearbeitet. Kann man jetzt auch schon HiWi-Jobs erben?

Christian Schneickert: Das wohl nicht, aber die Reproduktionsfunktion für Bürgerkinder funktioniert. Vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie das in der Öffentlichkeit vermutet wird, aber junge Menschen aus bildungsfernen Familien haben es zweifellos schwerer. Das ist auch durch andere Studien seit langem eindeutig belegt. Dabei würden sie von den Vorteilen einer Beschäftigung als studentische Hilfskraft viel mehr profitieren, weil sie schneller Barrieren überwinden könnten.

Sie nehmen immer wieder auf die Arbeiten des Soziologen Pierre Bourdieu Bezug. Warum lässt sich die Situation mit einer Feld-Theorie besonders gut erklären?

Christian Schneickert: Der Bezug liegt schon nahe, wenn man nur die theoretische Frage stellt, wie kulturelles Kapital vermittelt wird, indem die Tätigkeit als Hilfskraft zum Beispiel eine Brücke vom Studium zur Promotion baut. Ich verstehe die Studierenden als Subfeld des wissenschaftlichen Feldes. Dort herrscht große Konkurrenz, es geht um den Zugang zur wissenschaftlichen Welt und deren Titel – zum Beispiel die Promotion. Ohne die geht es ja auch in der Wirtschaft nicht mehr. Aber die Regeln des Feldes müssen erst erlernt werden, das was ich als Feldsozialisation bezeichne. Und das gilt selbst für die Bürgerkinder!

Die Wirkung sozialer Ungleichheit auf die Konkurrenz um knappe Güter und Positionen hat Bourdieu überzeugend heraus gearbeitet. Die Sozialisation in Felder kommt bei ihm aber kaum vor.

Die Anpassung der eigenen Ansprüche

Betrachten wir die arbeitssoziologische Dimension. Hochschulen verstehen sich mittlerweile als Großunternehmen, die einen steigenden Bedarf an flexiblen und billigen Arbeitskräften haben. So entstehen prekäre Arbeitsverhältnisse. Auf Dauer, nur die Besetzung wechselt ab und an.

Christian Schneickert: Meist wechselt sie schnell. Wir haben gerade im Bereich der Hilfskräfte eine sehr hohe Fluktuation festgestellt. Und der Bedarf ist vielleicht noch größer als in Wirtschaftsunternehmen. Hochschulen sind gigantische, oft lernresistente Verwaltungsapparate und brauchen massenhaft flexible Arbeitskräfte, die schnell eingestellt und wieder entlassen werden können. Zumal sie sich nicht über ihre Situation beklagen und Hochschulen kaum Gefahr laufen, dass ihre Angebote abgelehnt werden. Den Job, der zu blöd ist, gibt es eigentlich gar nicht. Deshalb werden die Stellenausschreibungen auch immer dreister. Wer manche Anforderungsprofile liest, muss doch denken, hier werden mindestens 3.000 oder 4.000 Euro im Monat verdient. In Wirklichkeit geht es dann nur um einen befristeten Job, für den ein Bruchteil des vermuteten Gehalts gezahlt wird.

Sie diagnostizieren in Ihrem Buch eine "Anpassung der eigenen Ansprüche und Bedürfnisse an die Anforderungen der modernen kapitalistisch organisierten Ökonomie". Sehen wir da schon den Arbeitnehmer der Zukunft?

Christian Schneickert: Wir sehen ganz sicher Lerntypen neuer Arbeitsverhältnisse, also junge, hochqualifizierte Personen, die sich schon während ihrer Ausbildung an unsichere und entformalisierte Beschäftigungsverhältnisse gewöhnt haben. Sie lernen von Beginn an - mit ihrem ersten regulären Job - prekäre Arbeit kennen, die befristet ist und schlecht bezahlt wird. Kein Wunder, dass sie im Rahmen von "Projekten" denken und sich selbst als einzelne Arbeitskraftunternehmer verstehen.

Für die meisten der von uns Befragten ist das allerdings völlig in Ordnung. Sie sind – ähnlich wie beim Thema Löhne – mit dem Status quo zufrieden. Der klassische "9-5 Job" mit Anwesenheitspflicht und festen Arbeits- und Urlaubszeiten ist jedenfalls mittlerweile einfach uncool.

Es geht also nicht um Ausbeutung im Sinne des 19. Jahrhunderts, sondern um freiwillige Selbstausbeutung?

Christian Schneickert: Das trifft es zumindest besser, aber damit ist für die Hilfskräfte kein negativer Beigeschmack verbunden. Sie haben eine extrem positive Einstellung zu ihrer Arbeit. Natürlich ist sie mit der Hoffnung verbunden, dass sich die Dinge eines Tages zum Besseren wenden. Wenn "die Dinge" das aber nicht tun, haben sie sich schon an die prekäre Lage gewöhnt.

Die Gewerkschaften haben keine Lösung

Werden durch das junge akademische Prekariat reguläre Beschäftigungsverhältnisse verdrängt?

Christian Schneickert: Sie sind schon verdrängt worden, etwa im EDV-Bereich. Es gibt reichlich Hochschulen, die ihre Datenbanken oder ihre Homepages lieber von Hilfskräften bearbeiten lassen, die 8 Euro pro Stunde kosten, anstatt weiter Fachkräfte für 40 Euro zu bezahlen. Auch bei den Sekretärinnen und Sachbearbeitern können wir diese Veränderungen beobachten.

Reden wir hier von systematischem Lohndumping?

Christian Schneickert: Es gibt keine Verschwörung der deutschen Hochschulen als Arbeitgeber. Dazu sind die Unis viel zu chaotisch organisiert. Die Universität als Arbeitgeber profitiert einfach von einem gesamtgesellschaftlichen Strukturwandel der Arbeitsformen und der steigenden Studierendenzahlen.

Sie beginnen Ihr Buch mit einigen sinnfälligen Zitaten. "Klar die Knete, aber die ist ja eigentlich ein Witz. Also von daher war das im Prinzip immer eine strategische Entscheidung, bringt mir das was", resümiert eine Hilfskraft aus dem Bereich der Soziologie. Bringt es denn was? Für wie viele erfüllt sich der Traum von der großen Karriere?

Christian Schneickert: Um diese Frage präzise zu beantworten, wäre eine weitere Studie nötig. Aber natürlich ist klar, dass sich viele Erwartungen langfristig nicht erfüllen werden. Nach dem Examen oder der Promotion geht es nicht automatisch im Traumjob weiter.

Der Grund ist ganz einfach und lässt sich wieder mit Bourdieus Feld-Theorie beschreiben. Die Anzahl der Stellen, die hochqualifiziert, hervorragend bezahlt und obendrein noch mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden sind, liegt weit unter der Zahl der Absolventen und Promovenden. Will sagen: die Bewerberinnen und Bewerber sind da und haben eigentlich nichts falsch gemacht. Es fehlen nur die entsprechenden Beschäftigungsangebote. Und hier spielt dann die soziale Herkunft doch wieder eine erhebliche Rolle.

Es gibt bislang keine sichtbare Interessenvertretung, die bessere Arbeits- und Lohnbedingungen durchsetzen könnte. Haben die Gewerkschaften dieses Thema verschlafen?

Christian Schneickert: Nein, aber sie haben derzeit keine Antworten. Die Lösungsstrategien der Gewerkschaften stammen im wahrsten Sinne des Wortes aus einem anderen Jahrhundert und gehen weit an der Lebens- und Arbeitsrealität dieser Menschen vorbei.

Ich sagte schon, dass ein Großteil der studentischen Hilfskräfte an vielen klassischen Arbeitnehmerrechten überhaupt nicht interessiert ist. Eine Diskussion über die 35-Stunden-Woche oder ähnliches wird da nicht wahrgenommen.

Kennen Sie einen Weg aus dieser Sackgasse?

Christian Schneickert: Ehrlich gesagt: nein. Aber wir arbeiten natürlich weiter daran. Es geht letztlich um die extrem komplexe Frage, wie sich Gewerkschaften oder auch einfach nur Personalvertretungen aufstellen müssen, um etwas für Menschen zu erreichen, die sich freiwillig mit prekären Arbeitsverhältnissen arrangiert haben und tendenziell bereit sind, ihre Ansprüche immer weiter nach unten zu schrauben. Wer dieses Problem lösen kann, hat gute Chancen, den Soziologie-Bestseller des 21. Jahrhunderts zu schreiben.

Christian Schneickert: Studentische Hilfskräfte und MitarbeiterInnen: Soziale Herkunft, Geschlecht und Strategien im wissenschaftlichen Feld, UVK Verlagsgesellschaft, 22,99 €

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