Die neue Verbindung von Medien, Marketing und Werbung im Web

Die Kommerzialisierung des Internet - Teil II. Vom elektronischen Geld und den Medien als Werbeplattform

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Kommerzialisierung des Internet - Teil I

Konkrete Geldeinnahmequellen hat das Web lange Zeit nur in sehr geringem Maße geboten. Doch die Auguren der Marktforschungsinstitute verkünden für Werbeeinnahmen und sonstige Kommerzaufwendungen im Netz schier unvorstellbare Summen in der Zukunft. Wer aber glauben möchte, daß Content-Provider und Marketingfachleute bis zum meist anvisierten "payday 2000" (Madsen 1996) warten und bis dahin bereitwillig Verluste schreiben, dürfte sich getäuscht sehen. Bereits 1994 stellte Edwin Artzt, damals CEO von Procter & Gamble, der American Association of Advertising Agencies vor Augen, daß nach der Umwandlung von Zeitungen, Radio und Fernsehen in werbegerechte Umfelder nun auch die Einnahme des Internet durch die Werbewirtschaft vollzogen werden müsse: "Unsere Aufgabe ist es, uns erneut der elektronischen Netze zu bemächtigen und das Internet dazu zu zwingen, in unserem Sinne zu arbeiten."

Was wir im Moment erleben, ist nur der kurze Sommer des Internet. Es werden Lektorate kommen und die Industrie wird das Ganze übernehmen. Die Zeit des naiven Utopismus ist vorbei. Jetzt dringt die Realpolitik ein.

Geert Lovink 1996

Zwei Jahre lang erprobten Konzerne aus allen Wirtschaftsbereichen seitdem mit allen erdenklichen Mitteln, Geld aus ihren Internetangeboten zu pressen und das gesamte Web in "eine planetarische Werbefläche für das kapitalistische Unternehmertum zu verwandeln". Mehr Interaktion, One-to-one-Marketing, eine engere Einbeziehung des Kunden durch Realtime- und Datenbankmarketing wurden getestet. Überall erforschte man die neuen Gesetze des Internetmarktes und suchte nach Werbemethoden "beyond the banner" (Voight 1996). Auch dabei hatten einige (kleine) Unternehmen viel Erfolg wie z.B. der virtuelle Buchladen Amazon.com, der innerhalb eines Jahres unheimlich expandierte, fast 110 Mitarbeiter einstellen und einen Umsatz von 30 Millionen Mark erwirtschaften konnte (vgl. new media report 4/97, 8). Sein Erfolgsrezept: Andere Websites, die kostenlos einen Link zu Amazon auf ihrem Angebot plazieren, erhalten eine Provision an allen verkauften Bücher an Personen, die von der entsprechenden Linkseite kommen. Und für die Kunden wird nicht nur die hohe Zahl von 200.000 Büchern bereitgehalten, sondern sie können bei Amazon auch Rezensionen renommierter Zeitungen und Zeitschriften über die wichtigsten Bücher in einzelnen Themenpunkten geordnet finden.

Für den Großteil der Content-Provider war die Vermarktung und Refinanzierung allerdings trotz aller Versuche im Beziehungsmarketing noch eine ziemlich anstrengende und kostspielige Sache. Deshalb schlossen sich im Sommer 1996 zahlreiche Anbieter - von CNET bis zu Time Inc. - zum Internet Advertising Bureau (IAB) zusammen, um gemeinsam den Weg in die glorreiche Zukunft des Cyberspace zu gehen und das einst so vielfältige Web in die "ultimative 24-hour marketing machine" zu verwandeln. Passend dazu erklärte die Clinton-Gore-Administration anläßlich ihrer Vereidigung im Januar 1997, daß eine "Revision" des Aufbauplanes der National Information Infrastructure anstehe. "Das Ziel, bis zum Ende des Jahrzehnts jede Wohnung und jede Arbeitsstätte an Hochgeschwindigkeitsnetze anzuschließen, hat Al Gore aufgegeben. Statt dessen sollen jetzt verstärkt kommerzielle Anwendungen im World Wide Web und kleine virtuelle Firmen... gefördert werden" (Computerzeitung vom 30.1.97). Der endgültige Abschied also von der demokratischen Agora im Cyberspace zugunsten des globalen, kapitalistischen Marktplatzes?

Computernetzwerke und das monetäre System - eine Basisverwandtschaft

Viele Anzeichen sprechen dafür. Die Grundstruktur des Internet ist seit langem kommerzialisiert. Für die Registrierung und einjährige "Pflege" eines Domain-Namens, ohne den eine Ortung eines Angebots nahezu unmöglich ist, müssen Anbieter an das International Network Information Center (InterNIC) oder seine weltweiten Ableger je nach Zahl der angemeldeten Rechner rund 2000 Mark bezahlen. Und wer einen besonders passenden Namen sein eigen nennen möchte, muß sich oft zusätzlich auf den immer noch blühenden Handel mit begehrten Domains einlassen. In den Vereinigten Staaten sollen nun weitere Einnahmequellen erschlossen werden: Mit der Übergabe der Verwaltung der den Domain-Namen zugrundeliegenden IP-Nummern, die für die eindeutige Identifizierung eines Rechners sorgen, von der Internet Assigned Numbers Authority (IANA) an die neue, kommerziell ausgerichtete Einrichtung der American Registry for Internet Numbers (ARIN) soll auch die Vergabe der IP-Nummern kostenpflichtig werden. Dabei wird an Summen zwischen 2 500 Dollar bei kleineren Providern bis zu 20 000 Dollar bei größeren gedacht. Mit vergleichbaren Plänen trägt sich zumindest auch das europäische Pendant der InterNIC, die Reseaux IP Europeens (RIPE) (vgl. Internet/Intern 4/97). Die dabei für Provider entstehenden Kosten würden natürlich auf die Kunden, von der Universität über Unternehmen bis letztlich hin zum einzelnen Surfer, abgewälzt werden. Und selbst Versuche wie die von Paul Garrin und seinen Name.Space-Lösungen, die dominierende Stellung der InterNIC durch alternative Namensvergabe zu unterlaufen, würden an kommerziellen Lösungen auf der grundlegenden IP-Nummern-Ebene nicht vorbeikommen.

Schürft man etwas tiefer unter der hypertextverwebten Oberfläche des Netzes, stößt man auf noch engere Verstrickungen zwischen Ökonomie, Geldsystem und Computer. Es ist ein Grundzug und die Voraussetzung der digitalen Datenverarbeitung des Computers, alles in einen binären Code, in die Werte 0 oder 1 umzuwandeln.

Ökonomisch gesprochen ist der Binärcode reines Zeichengeld

Berhard Vief

Das Geld funktioniert in seiner strukturalen bzw. systemischen Dimension, die sich nicht mehr auf ein wirkliches Gut von einigem Wert bezieht, sondern nur noch auf seine Stelle in einem immateriellen System, und zwar in genau derselben "digitalen" Weise, wie dies die ungeheuren "virtuellen" Geldbewegungen an den Börsenmärkten jeden Tag aufs neue beweisen. Die enge Verwandtschaft zwischen Geld und Computermedien kann im Zuge der fortschreitenden Ökonomisierung so weit vorangetrieben werden, bis mit Hilfe digitaler Zahlungssysteme Micropayments im Tausendstelbereich heutiger, materieller Kleinstbeträge möglich werden. Ansatzweise sind diese minimalen Geldeinheiten bereits in heutige digitale Zahlungssysteme wie e-cash oder Cybercash integriert, im Alltag stoßen diese Lösungen allerdings noch auf Schwierigkeiten technischer Natur und auf Probleme mit der Akzeptanz bei den Kunden. Mit Hilfe dieser Micropayments könnte man theoretisch für das Abrufen jeder erdenklichen Website einen minimalen Betrag verlangen - damit ist, wie Wolfgang Coy sagt, "alles im Netz monetarisierbar" und eine bisher unbekannte "Durchdringung der Lebenswelt mit Kapitaleigenschaften" erreicht.

Von der Wirtschaft scheint diese überaus enge systemische und strukturale Verwandtschaft zwischen Computer und Geld zwar weniger intellektuell erfaßt, aber doch zumindest intuitiv verspürt zu werden. Denn tatsächlich könnte die Culture of Giving des frühen Internet sehr schnell in die Economy of Charging auf dem Dollardaten-Highway verwandelt werden, wo beim Surfen im Cyberspace der Taxameter ständig mitläuft. Einen neuen Vorstoß in diese Richtung hat jüngst auch das Kreditkartenunternehmen VISA, das bereits seit langem an der Ökonomisierung des Geldaustauschs im Web arbeitet, gestartet. Infomoney, eine javabasierte Kombination aus Rechnungsbelegen und persönlichen Daten, soll dem Chef des Stammhauses in den USA, Carl Pescarella, zufolge der "Schlüssel zur nächsten Generation des elektronischen Handels" im Netz sein (vgl. Computer Reseller News vom 9.4.1997). Falls Infomoney sich auch in der Praxis als einsatzfähig erweist, wäre endgültig die langgesuchte Lösung für personenbezogene Abrechnungsverfahren im Netz gefunden, die jede Bewegung und jeden Klick aufzeichnen können.

Webkommerz goes Print

Angesichts der Profitsuche der zahlreichen in das Internet investierenden Unternehmen wird der Platz und das Durchsetzungsvermögen für andersgeartete Angebote immer geringer. Knapp vier Millionen Angebote laufen im Web momentan unter der COM-Hierarchie (vgl. Ping-Survey), und allein die Gesamtsumme, die Kommunikationskonzerne in die Entwicklung ihrer Web-Angebote gepumpt haben, wird auf zwei Milliarden Dollar geschätzt. Kein Wunder, daß da die Erwartungen an den "Return on Internet" - so der Titel einer Ausgabe von Global Online (2/97) - stetig steigen und immer ausgefuchstere Marketingmodelle geboren werden. Und auch kein Wunder, daß der Markt der Internet Magazine sich an den Gewinnchancen beteiligen möchte und das Business in den Vordergrund stellt.

Die plötzliche Metamorphose von Pl@net zu Internet Professionell war da nur der Anfang. Außer den eigens für das Online-Marketing gegründeten Zeitschriften setzen auch verstärkt die "Mittelklasse" der thematisch weitgefaßten Magazine allerorten auf Netzkommerz und Produkttests. Ob man nun bei Internet Today, Internet World oder beim Internet Magazine auf den Titel oder in den Index schaut - überall leuchten dem Leser, der eigentlich angesichts der Fülle derartiger Tips längst Millionär sein müßte, Überschriften wie Money Makes the Web Go Round oder 20 Ways to Make Money from your Site entgegen.

Und auch das Schlachtschiff der Computermagazine, Wired, hat seinen Charakter in den wenigen Jahren seines Daseins bereits grundlegend geändert. Zwar gehört es bei Wired schon seit langem geradezu zum guten Stil, eine Vielzahl von peppigen Anzeigen vor den "eigentlichen" Inhalt zu stellen. Doch die Anzahl und die Breite der Artikel, die sich der Verherrlichung neuer Internetprodukte und Computerfirmen widmen (vgl. z.B. den Bericht über die Routerfirma Cisco in der Ausgabe 3/97), war anfangs niemals so "einnehmend" wie in den jüngsten Ausgaben. Oder wie es McKenzie Wark (1997) ausdrückt: "Wired figured out how to make itself useful to the marketing needs of media companies across the board. Not just as a place to sell products, but also as a place in which to position the company, and its leading lights, and as a platform from which to speak about the general interest in terms of one's particular interests".

So werden endgültig die Träume der Marketer von Cross-Media-Kampagnen wahr. Über alle Medienformen und -formate hinweg verfolgen den Mediennutzer die Konsumbotschaften der Werbung, der Public Relations und des Product Placements, so daß nur noch ein völliger Verzicht auf Medieninformationen die Werbemaschine zum Stillstand bringt.

Die Kommerzialisierung des Internet - Teil I