Klonen als Indiz für eine Jahrtausendangst

Wider eine irrationale Angst

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Dolly, das erste aus erwachsenen Zellen geklonte Säugetier, hat große Unruhe ausgelöst. Aufgeschreckt schlagen viele vor, insbesondere das Klonen von Menschen zu verbieten. Der Bioethiker James Hughes versucht, die Wellen der Aufregung und die irrationalen Ängste zu beruhigen, und sieht in der Technik des Klonens nur eine weitere nützliche Technik, deren Probleme im Rahmen der bestehenden Gesetze bereits beantwortet werden. Also kein Grund zur Beunruhigung? Vielleicht doch, sagt Hughes, und verweist auf die Möglichkeit transgenetischer Tiere, denen sich menschliche Eigenschaften einbauen ließen und mit denen sich die Menschenrechte unterlaufen lassen könnten.

Phrasendrescherei und BioLuddismus

Ende Februar 1997 schwappte eine Welle hysterischer, technikfeindlicher Paranoia nach der Meldung über die Welt, daß schottische Wissenschaftler ein Schaf geklont haben. Der Nachricht über das erste erfolgreich geklonte Säugetier folgte schnell ein amerikanischer Anspruch auf erfolgreich geklonte Affen. Die Medien veröffentlichten Geschichten, daß damit das Klonen von Menschen eingeleitet worden sei. Endlos wurde das Mantra der "Schönen, neuen Welt" wiederholt, während Journalisten atemlos Bilder von Millionen schnauzbärtigen österreichischen Malern beschwörten.

Das Klonen von Menschen ist für diejenigen, die aufmerksam waren, kein neues Thema. 1993 lösten amerikanische Wissenschaftler einen ähnlichen Aufruhr an übertriebenem Händeringen durch die Bekanntgabe aus, daß sie ein menschliches Embryo geklont hatten. Daß Journalisten historische Tiefe oder eine breite philosophische Perspektive abgeht, ist nicht weiter überraschend. Erstaunlich aber war der Mangel an Tiefe, Vorsicht und Perspektive bei den Experten der Bioethik.

Bedauerlicherweise verfielen die meisten, die den Medien ein bioethisches Expertenurteil anboten, begierig in die vage, aber ernst klingende Phrasendrescherei: "Wenn wir das Klonen von Menschen nicht verhindern können, können wir nichts mehr verhindern", sagte ein amerikanischer Bioethiker. "Wissenschaftler, die ein solches Ziel verfolgen, befinden sich auf dem Weg ins Gefängnis, nicht zum Nobelpreis", meinte ein anderer. Der amerikanische Kongreß und das Europäische Parlament leiteten Schritte zum gesetzlichen Verbot dieser Drohung ein, und der amerikanische Präsident beauftragte seine neue Kommission für Bioethik, diese Angelegenheit zu untersuchen.

Das einzig Beängstigende am Klonen von Tieren oder Menschen ist leider die Schnelligkeit, mit der die westliche Öffentlichkeit zu einem Zorn gegenüber gerechtfertigter medizinischer Forschung getrieben werden kann. Das Klonen von Menschen führt zu keinen neuen ethischen oder politischen Fragen, und es bringt kein Problem auf, das nicht schon angemessen von den Gesetzen und Regelungen der westlichen Gesellschaften behandelt wird. Es ist nur eine weitere medizinische Technik, die den Menschen Vorteile bieten kann, aber die schwierig wegen des reflexartigen BioLuddismus und der unverantwortlichen Berichterstattung auszuloten sein wird.

Warum wollen wir klonen?

Was ist Klonen, und welche Vorteile hat es? Beim Klonen benutzt man nach einer bestimmten Zeit nach der befruchtung das genetische Material eines Tieres, um einen anderen, genetisch identischen Organismus zu erzeugen. Der einfachste Weise ist, die Gruppen von acht, sechzehn oder zweiunddreißig Zellen gerade gezeugter Embryonen zu trennen. Diese Zellen sind noch nicht differenziert und können weiterhin zu genetisch identischen Kopien heranwachsen. Die Wissenschaftler aus St. Louis hatten sich dazu bekannt, 1993 diese Form der "Verdoppelung" an menschlichen Embryonen ausgeführt zu haben.

Weitaus mühevoller ist es, die genetische Kopie eines Tieres aus bereits spezialisierten Zellen zu erzeugen. Das von den Schotten geschaffene Schaff "Dolly", wurde aus der DNA einer Zelle aus dem Brustgewebe ihrer Mutterschwester erzeugt. Die DNA wurde dann in eine zuvor entkernte Eizelle eingebracht.

Die Vorteile des Klonens von Tieren sind in wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht potentiell ungeheuer groß. Populationen geklonter Forschungstiere würden die störende genetische Variation unter Laboratoriumstieren für kontrollierte Experimente beseitigen. Die landwirtschaftliche Industrie würde gerne Tiere mit erwünschten Merkmalen ohne das Risiko von deren Verlust oder Abschwächung durch sexuelle Reproduktion fortpflanzen.

Es gibt aber auch viele mögliche Anwendungen des Klonens beim Menschen. Eine Möglichkeit, die von den Amerikanern erkundet wurde, welche das menschliche Embryo geklont hatten, bestünde darin, die Zahl der Eizellen zu reduzieren, die mühevoll den Frauen entnommen werden müssen, wenn sie sich einer In-Vitro-Befruchtung unterziehen. Die Verdoppelung von Embryonen könnte die Zahl der implantierbaren Embryonen vervielfachen.

Die Verdoppelung von Embryonen könnte auch große Mengen an embryonalem Gewebe für die Forschung und zur Transplantation zur Verfügung stellen. Forschungsarbeiten über Krebs, angeborene Mißbildungen, empfängnisverhütende Mittel und anderes würde durch die Erweiterung des verfügbaren Gewebes erheblich erleichtert werden. Die Verwendung von Embryonalgewebe zum Transplantieren wird bei vielen Krankheiten von Organschädigungen bis hin zur Alzheimerschen Krankheit untersucht.

Schließlich gibt es noch die Einsatzmöglichkeiten des Klonens für Eltern, um Kinder zu erhalten, die mit ihnen, mit Verwandten oder mit Menschen, die gewünschte Merkmale besitzen, identisch sind. Eltern könnten sich dafür entscheiden, einen Elternteil zu klonen, anstatt sich sexuell fortzupflanzen, wenn einer eine schwere genetisch vererbte Krankheit hat. Eltern könnten sich als eine Hommage an den Geliebten wünschen, den Klon eines verstorbenen Kindes, Verwandten oder Freundes zu haben. Eltern könnten aber auch einfach den Wunsch besitzen, den Klon einer bekannten Persönlichkeit zu bekommen, dessen Eigenschaften, wie sie hoffen, vererbbar sind.

Die Angstmacher haben Recht, wenn sie sagen, daß die Anwendungsmöglichkeiten des Klonens von gewöhnlichen Zwecken bis hin zu phantastischen und schreckeneinjagenden reichen. Aber das ist auch bei den Anwendungsmöglichkeiten eines Hammers, von Pflaster und Klebemittel so. Hinsichtlich des Klonens genügen unsere Gesetze ebenso wie hinsichtlich der Bedrohung, die von Verrückten ausgeht, die mit Hammer, Pflaster und Klebemittel ausgerüstet sind, um deren Gebrauch und Mißbrauch zu kontrollieren. Klonen erfordert keine neue Gesetzgebung, und gerechtfertigte medizinische und wirtschaftliche Anwendungen sollten nicht durch eine schlecht begründete Paranoia behindert werden.

Das "Recht auf genetische Identität"

Die Gegner des Klonens beim Menschen haben behauptet, daß wir ein Recht darauf haben, die einzigen mit unseren Genen zu sein. Viele einfache Gesellschaften nahmen diese Vorstellung einer natürlichen Ordnung ernst und töteten nach Geburt einen Zwilling oder beide. Offensichtlich will niemand der zeitgenössischen Befürworter der biologischen Einzigartigkeit das Argument bis ins Extrem zu treiben, Zwillinge und Mehrlinge zu verbieten. Wenn sie Zwillinge näher betrachten würden, könnten viele ihrer Ängste vor Klonen gemildert werden.

Soziobiologen behaupten, daß die soziale Solidarität durch genetische Ähnlichkeit stärker wird, aber man muß die Soziobiologie nicht anerkennen, um zu sehen, daß Zwillinge und allgemein eine genetisch verwandte Familie eine Form der Intimität gemeinsam haben. Das mag "nur" ein soziales Produkt oder sogar eine reaktionäre Selbsttäuschung sein, aber genetische Bande werden von den meisten Menschen hoch bewertet. Manche westlichen Eltern sind bereit, ein Jahreseinkommen oder mehr auszugeben, um Kinder zu bekommen, mit denen sie die Hälfte ihrer Gene gemeinsam haben.

Anstatt als reine Instrumentarien oder Sicherungskopien ihrer "Originale" betrachtet zu werden, werden Klone wahrscheinlich viel eher als Zwillingsgeschwister gelten. Das muß keine psychologische Gesundheit oder die Abwesenheit eines sozialen Stigmas garantieren, doch wird Klonen gewiß keine Bedrohung für die Individuierung oder die volle Anerkennung als Menschen darstellen.

Angst vor der faschistischen Verdoppelung

Ein weiteres Ablenkungsmanöver ist die Behauptung, daß die Technik des Klonens unmittelbar zu Todeslagern für die genetisch Minderwertigen, zur Massenproduktion von arischen Idealen und zu Aldous Huxleys negativer Utopie der "Schönen, neuen Welt" führe. Faschistische Gesellschaften werden zweifellos die Reproduktionstechnologien für faschistische Zwecke nutzen, ebenso wie demokratische Gesellschaften diese für demokratische Zwecke einsetzen. Techniken sind nicht in sich selbst faschistisch, und Techniken verursachen keinen Faschismus. Klonen wird das Vierte Reich nicht näher rücken lassen als das Fahren mit einem VW oder das Verspeisen eines Wiener Schnitzels. Wenn Frauen von einem liberalen demokratischen Staat die Freiheit zur Reproduktion garantiert wird, werden sie Klonen und andere Techniken für ihre eigenen Zwecken gebrauchen und nicht für die des Staates oder des Volkes.

Keine wie auch immer geartete technische Abstinenz von liberalen Demokratien wird nicht-liberale Gesellschaften vom Gebrauch der Reproduktionstechniken abhalten. Selbst wenn die Vereinten Nationen und andere Institutionen einstimmig ihre Ablehnung des Klonens von Menschen beschließen, wird es sehr schwierig sein, das Klonen von Menschen im Einzelfall zu entdecken und strafrechtlich zu verfolgen. Wenn wir Sorgen haben, daß verrückte Diktatoren mit Ausübung von Zwang das Klonen einsetzen, um eine Superrasse herzustellen, dann müssen wir den Aufstieg von verrückten Diktatoren und nicht das Klonen verhindern.

Recht auf körperliche Autonomie

Eines der zentralen Rechte einer liberalen Demokratie ist das Recht auf seinen eigenen Körper, und dessen logische Konsequenz ist das Recht auf Reproduktionsfreiheit. Der Schutz der körperlichen Autonomie und der Reproduktionsfreiheit gewährleistet nicht nur unser Recht auf Klonen, sondern setzt auch die Grenzen, wie wir klonen.

Das amerikanische Gesetz anerkennt einige damit verbundene Freiheiten, die als ausreichender Regelkatalog für das Klonen dienen können. Die erste Freiheit ist das Recht, Kinder mit jedem zu haben, mit dem man dies wünscht, und Reproduktionstechnologien zu verwenden, um sie zu bekommen, wenn man eine Klinik findet, die das macht. Die zweite Freiheit ist das Recht, das eigene nachwachsende Körpergewebe wie Spermien oder Blut zu verkaufen (im Gegensatz zu nicht nachwachsenden Körpergewebe wie die Leber oder das Herz). Das amerikanische Recht schützt den Einzelnen auch vor jedem medizinischem oder andersartigen Eingriff ohne freie und informierte Zustimmung.

Im Fall des Klonens würden diese drei liberalen Prinzipien bedeuten, daß es uns erlaubt sein sollte, unser eigenes genetisches Material zu verwenden, um so viele Kinder von uns, von zustimmenden Partnern oder aus Gewebespenden zu bekommen, wie wir wollen. Uns sollte es auch gestattet sein, unser Gewebe zum Zweck des Klonens zu verkaufen oder zu spenden, wenn der Empfänger deutlich gemacht hat, daß er es zum Klonen benutzen wird. (Die meisten Gerichte werden den Gebrauch von Körperzellen Verstorbener wahrscheinlich verbieten, es sei denn, die Menschen haben dem vor ihrem Tod zugestimmt, obgleich ich persönlich nicht finde, daß das Klonen von Toten deren Rechte verletzen kann.)

Diese wenigen Prinzipien schaffen viele der atemlos in den Medien zum Ausdruck gebrachten Ängste beiseite. Aber was ist, wenn irgendeine Regierungsbehörde beschließt, einen Menschen aus Hautzellen zu klonen, die auf die Steuererklärung gefallen sind? Das sollte verboten sein, es sei denn, man stimmt dem zu, indem man auf der Steuererklärung ein entsprechendes Kästchen ankreuzt.

Die Rechte der Person

Auf ganz ähnliche Weise würde die Ausbeutung von geklonten Menschen als einer Untermenschenrasse für Organspenden, Sklaven oder Schmarotzer ebenso illegal sein, wie es undurchführbar ist. Klone werden Bürger mit allen Rechten von Bürgern sein. Geklonte Embryos und Föten werden andererseits all die Rechte besitzen, die jede Gesellschaft Embryonen und Föten zuspricht. Einige Gesellschaften werden die Forschungen und Transplantationen gestatten, die ich weiter oben erwähnt habe, und andere werden dies nicht. Aber es scheint sehr unwahrscheinlich zu sein, daß irgendeine westliche Gesellschaft eine rechtliche Unterscheidung zwischen den staatsbürgerlichen Rechten eines Produkts des Klonens oder der Gentechnik und denen eines "natürlichen" Menschen schaffen wird. Wir haben schließlich auch kein Problem, die Bürgerrechte der Zehntausenden von "Reagenzglas-Babies" anzuerkennen, die bereits leben.

Begründete Sorgen über die Ausbeutung genetischer Produkte sollten hingegen auf transgenetische Mensch-Tier-Hybriden gerichtet werden, die eine weitere altbewährte Quelle der Angst und der Ablehnung aus vornehmlich psycho-anthropologischen Gründen sind. Während ein geklonter Mensch als ganzer Mensch anerkannt werden wird, könnte ein Affe mit einigen menschlichen Eigenschaften ein unglaublich nützlicher Sklavenarbeiter sein. Das Klonen kann vollständig innerhalb des gegenwärtigen Rahmen der Rechtssprechung geregelt werden, aber transgenetische Tiere und andere Mittel werden das 21. Jahrhundert dazu zwingen, die Grade und Schwellen der Bürgerrechte ohne die handliche Gleichung "von einer Mutter geboren = Bürger" neu zu definieren.

Strategien des Umgangs mit der Fin-de-Millenium Angst

Viele, die über das Klonen schreiben, sagten explizit, daß sie nur nervös seien. "Alles verändert sich so schnell - laßt uns dies bremsen, bis wir wissen, was wir tun." Die Technik sollte sich unter einer besseren kollektiven, demokratischen Kontrolle befinden, wir sollten uns die Techniken sorgfältig betrachten, bevor wir sie auf die Welt loslassen. Im Fall des Klonens würde uns ein Verbot der Ausübung für zehn oder zwanzig Jahre nicht lebenswichtiger wirtschaftlicher oder medizinischer Techniken berauben.

Wenn der soziale und technische Fortschritt ein Schachspiel wäre, würde ich das Klonen freudig einem unzensierten Internet, neuen Mitteln zur Empfängnisverhütung oder transgenetischen Tomaten opfern, die sich im Kühlschrank nicht in Matsch verwandeln. Unglücklicherweise gehen sie, wie Neibuhr sagte, erst gegen die Klonmacher und dann gegen die Netzpornographen und Tomatenzüchter vor.

Der Schaden, der vom BioLuddismus in diesem Fall ausgeht, wird der Menschheit nicht eine wesentliche Frucht ihrer eigenen Kreativität streitig machen, er bestünde in einem Zugeständnis an eine irrationale Angst. Klonen könnte man mit der Heirat von Schwulen vergleichen, deren Risiken lediglich in den fiebrigen Einbildungen der Gegner bestehen. Oder man könnte es mit der Freigebung von Drogen und der Meinungsfreiheit für Pornographen vergleichen, die man erweitern muß, auch wenn wir daran arbeiten, ihre möglichen schlechten Auswirkungen zu zügeln und die Gesellschaften zu demokratisieren, in denen sie existieren, weil wir in einer Gesellschaft leben möchten, die so frei wie möglich ist.

Auf jeden Fall ist es möglich, die Technik demokratisch ohne Torkeln und Panik - "Halte die Welt an, ich möchte aussteigen!" - in Reaktion auf die Medienaufgeregtheiten zu kontrollieren. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal von technischen Fortschritt verblüfft werden.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer