Die Frau im Schatten der DNA

Rosalind Franklin hatte entscheidenden Anteil an der Entdeckung des genetischen Codes

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Die Geschichte von James Watson und Francis Crick ist nicht alles, was es zum Thema DNA-Entdeckung zu sagen gibt. Dank einer exzellenten Biografie kommt pünktlich zum 50jährigen Jubiläum mit Rosalind Franklin eine Frau zu Ehren, die mehr zur Aufklärung der Struktur unserer Erbsubstanz beigetragen hat, als sie zeitlebens selbst wusste.

Rosalind Franklin, Fotos: Medical Research Council, London

So erfreulich es ist, dass der Campus-Verlag die Biografie über die große Unbekannte der DNA-Forschung, die britische Forscherin Rosalind Franklin, nun auch den deutschsprachigen Lesern zugänglich macht, so schmerzhaft ist der gewählte Untertitel. "Rosalind Franklin - The Dark Lady of DNA" - im Original klingt der von Autorin Brenda Maddox gewählte Buchtitel nach Persönlichkeit und Schicksal, nach Glanz und Tragödie. Als ginge es um die Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Manuskripts machte deutsche Verlegergründlichkeit daraus "Rosalind Franklin - Die Entdeckung der DNA oder der Kampf einer Frau um wissenschaftliche Anerkennung".

Plakativ wie ihr Buchtitel kann auch Brenda Maddox sein, ehemalige Ressortleiterin bei "The Economist" und verheiratet mit dem langjährigen Nature-Herausgeber John Maddox. "Ich habe den Rummel um das fünfzigste DNA-Jubiläum bereits vor einigen Jahren kommen sehen. Da lag es nahe, eine Biografie über Rosalind Franklin zu schreiben. Frauen verkaufen sich ohnehin besser", so Maddox, ganz Journalistin, Anfang April auf einer Veranstaltung im Londoner Wissenschaftstempel Royal Institution. Nein, zur feministischen Ikone tauge Rosalind Franklin nicht, sagt Maddox, die ihre Sicht der Dinge übrigens kürzlich auch noch einmal in Nature kund getan hat.

Folgen eines Umzugs: Franklin wird zur Fremden in der eigenen Heimat

Geschichte nimmt manchmal merkwürdige Wendungen. Die Tatsache, dass Rosalind Franklin nach einem halben Jahrhundert nun späte Anerkennung bekommt und mittlerweile auch einem breiteren Publikum bekannt ist, verdankt sie ausgerechnet James Watson. Watson, der am 25. April 1953 zusammen mit Francis Crick in einem Artikel für die Zeitschrift Nature seine Hypothese über die Struktur der Erbsubstanz veröffentlichte, ist so etwas wie Rosalind Franklins Schicksal. "Ohne Watsons Buch über die Doppelhelix hätte wahrscheinlich niemand je von Rosa Notiz genommen", glaubt Maddox. Ohne Watson, andererseits, hätte vielleicht Franklin die Lorbeeren der DNA-Erstbeschreibung eingeheimst.

In seinem Buch "Die Doppelhelix" schuf der stets konfliktfreudige Watson für die gesellschaftsscheue, elitäre Forscherin den Ausdruck "nasty Rosie", der Franklin seither anhängt. Doch in eben jenem Buch gibt Watson auch in einer für einen Wissenschaftler höchst ungewöhnlichen Offenheit zu, dass er und Crick sich bei ihrem Geistesblitz in zumindest unüblicher Weise Hilfe bei anderen geholt haben, vor allem bei Rosalind Franklin.

Rosalind Franklin

Bevor sie zurück zu ihrer Familie nach London kam, war Franklin in Paris gewesen und hat mit Röntgenanalysen auf dem Gebiet der physikalischen Chemie gearbeitet. Die Pariser Gesellschaft habe die Forscherin geprägt, so Maddox in ihrem Buch, die Offenheit, der Pariser Stil und eine unglückliche Liebe. Eine Aristokratin im Geiste sei die 1920 in eine der distinguiertesten jüdischen Familien Londons geborene "Rosa" gewesen, die nur widerstrebend und aus familiären Gründen Frankreich den Rücken gekehrt habe.

Zurück in London fand sie sich am King's College wieder, einer der traditionellsten und vor allem tief christlichsten Einrichtungen des damaligen England. Maurice Wilkins, der später, 1962, zusammen mit Watson und Crick den Nobelpreis erhalten sollte, wurde ihr Chef. In seine Arbeitsgruppe fügte sie sich nur gegen ihren Willen. Wilkins war menschlich schwierig, ging Diskussionen aus dem Weg. Ihre gesamte Umgebung am neuen College empfand Franklin als roh. Alkoholreiche Abende in Londoner Pubs mit aus dem Krieg zurück gekehrten Soldatenwissenschaftlern waren ihre Sache nicht. Sie blieb Außenseiterin von Anfang an.

"Our dark lady is leaving us next week"

Mit DNA hatte sie sich bis dato nie beschäftigt. Wohl aber Wilkins, der Rosalind Franklin dazu brachte, seine eigenen Arbeiten fortzusetzen. Bereits nach kurzer Zeit machte sie bessere Röntgenbilder der Erbsubstanz als es Wilkins jemals gelingen sollte. Er fühlte sich bedrängt und besuchte gelegentlich das Cavendish Laboratory in Cambridge, wo Watson und Crick arbeiteten, und wo er sich über seine schwierige Mitarbeiterin ausließ - nicht ohne von ihren von Tag zu Tag besseren Fotografien zu berichten.

Franklin fühlte sich am King's College zunehmend unwohl und sah sich nach anderem um. Sie fand schließlich im Frühjahr 1953 eine Stelle am Birkbeck College und ging. "Our dark lady is leaving us next week", schrieb Wilson dazu in einem berühmten Brief nach Cavendish, der später von Watson zitiert werden sollte. Noch zuvor, im Januar 1953, war Watson nach London gekommen, um einen Blick auf die sagenumwobenen Fotos zu werfen, insbesondere auf "Bild 51", auf dem die Struktur der DNA am besten zu erkennen war.

Franklin wusste bis zu ihrem Tod nichts von diesem Besuch. Entgegen Gerüchten habe Watson keine Kopie des Fotos angefertigt, so Maddox, die Watson persönlich sehr gut kennt. Er habe gewusst, wonach er suchen musste. Er habe sein Modell im Kopf gehabt, das mit zwei, statt wie bisher oft vermutet mit drei DNA-Strängen arbeitete, die Basen in der Mitte, paarweise. Der Blick auf Franklins Bild diente der Bestätigung. Der Rest ist Geschichte.

"Es müssen zwei Stränge sein"

"Watson und Crick haben die ungeschriebenen Regeln gebrochen", meint Brenda Maddox heute, "aber sie haben nichts gestohlen. Sie hatten die entscheidende Idee." In einem Kernsatz ihres Buches schreibt sie, dass Franklin im Gegensatz zu den jugendlich unbekümmerten Kollegen im Cavendish Laboratory die DNA-Struktur "direkt aus den Werten und nicht durch Herumraten" ermitteln wollte. Modellbau war nicht ihr Konzept von Wissenschaft. Sie wollte zu genau arbeiten und war deswegen langsamer.

James Watson (links) und Francis Crick

Maddox ist sich sicher, dass auch Franklin die Struktur innerhalb weniger Monate gefunden hätte. Auch sie war Anfang 1953 einen entscheidenden Schritt weiter gekommen: "Es müssen zwei Stränge sein", schrieb sie noch am 28. Februar 1953 in ihr Tagebuch. Doch da war das Rennen schon gelaufen. Außer der Doppelsträngigkeit war Franklin auch klar, dass die Phosphate außen am Gerüst liegen mussten, nicht innen wie von vielen spekuliert. Was ihr fehlte, waren die Sprossen der Leiter, die Basenpaarungen.

"Wenn man heute jemandem einen Vorwurf machen wollte, dann allenfalls den Redakteuren von Nature", sagt Brenda Maddox. Diese hätten trotz einiger Sätze in Watsons und Cricks Artikel, die darauf hindeuteten, dass es andere, ungenannte Inspirationsquellen gegeben haben müsse, keinerlei Klarstellung von den Autoren verlangt.

Doch noch einen anderen Punkt betont die Biografin, der auch von Watson in seiner "Doppelhelix" angesprochen wird: Die Bedeutung der neuen Substanz wurde erst nach einiger Zeit wirklich deutlich. So wurde Watsons und Cricks Artikel fünf Jahre lang kaum von wissenschaftlichen Kollegen zitiert. Es sei alles andere als klar, so Maddox, dass Franklin zum Zeitpunkt ihres frühen Todes im Jahr 1958 - sie starb an einer Krebserkrankung der Eierstöcke - die ganze Tragweite der DNA-Entdeckung bewusst war.

Eine gebrochene Frau sei Franklin nach dieser Geschichte ohnehin nicht gewesen. Im Gegenteil: Der Wechsel des Colleges habe sie beflügelt. Sie tauchte in ein neues Forschungsgebiet ein und trug wesentlich zur Erforschung eines des Tabakmosaikvirus bei. Rege und gut dokumentierte Forschungskommunikation in lockerem Ton verband sie mit anderen Kollegen auf diesem Gebiet, unter anderem - wieder - mit James Watson.

Brenda Maddox; "Rosalind Franklin. Die Entdeckung der DNA oder der Kampf einer Frau um wissenschaftliche Anerkennung"; Campus Verlag; 2003; 24,90 €

James Watson; "Die Doppelhelix"; Rowohlt Taschenbuch; 1997; 7,50 €