Kalte Fusion wieder heiß

Teil 1: Das US-Energieministerium will erstmals vor 15 Jahren getroffene Behauptungen erneut überprüfen, Kernfusion sei bei Raumtemperatur möglich. War die kalte Fusion nie tot?

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Vor genau 15 Jahren wurde die Welt in Aufregung versetzt, als zwei Chemiker berichteten, sie hätten eine Kernfusion bei Raumtemperatur beobachtet. Berichte einer neuen, vielversprechenden Energiequelle liefen um die Welt. Nach einem halben Jahr, einem Bericht des US-Energieministeriums und vielen gescheiterten Versuchen, das Experiment zu reproduzieren, war allen klar, dass sich die Hoffnung nicht bewahrheiten würde - außer den Forschern, die das Experiment offenbar erfolgreich reproduzieren konnten. Nun will das Energieministerium deren Berichte überprüfen.

Am 23. März 1989 berichteten die beiden Chemiker Dr. Martin Fleischmann und Dr. Stanley Pons auf einer Pressekonferenz an der University of Utah, sie hätten im Labor die Fusion von zwei schweren Wasserstoffkernen (Deuterium) bei Raumtemperatur beobachtet. Sie schlossen auf Fusion, da sie meinten, Produkte gemessen zu haben, die bei einem Fusionsprozess erwartet werden, namentlich Neutronen, Tritium und Gammastrahlen. Bei dem Experiment sei mehr Energie frei geworden, als hineingesteckt worden sei. Diese Überschussenergie habe sich durch Wärme geäußert.1

J.L. Naudin zufolge sieht man hier einen durch kalte Fusion betriebenen Stirlingmotor

Kurz gesagt, anerkannten Modellvorstellungen nach ist dieses nicht möglich, da Atomkerne die gleiche Ladung haben und sich somit abstoßen. Fusionsprozesse sollten eigentlich nur in der Sonne bei extrem hohen Drücken und Temperaturen möglich sein. Fleischmann/Pons entgegneten, durch Elektrolyse ihrer Testflüssigkeit würden Deuteriumkerne so stark in das negativ geladene Palladiumgitter gezogen, dass ihre Abstoßungskraft überwunden würde.

Die Behauptungen der beiden Chemiker lösten eine bis heute anhaltende Kontroverse in der Wissenschaft aus. Weltweit versuchten Forscher, das Experiment zu reproduzieren. Auch am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) versuchte man unmittelbar nach Bekanntwerden, "die gemeldeten Resultate nachzuvollziehen. Die Publikationen zum Thema wurden lange Zeit hindurch verfolgt. Wegen des offensichtlichen und sich stets wiederholenden Misserfolgs, Fusion seriös nachzuweisen, wurden diese Aktivitäten aber schon lange eingestellt", teilte das IPP mit. Auch am Kernforschungszentrum Jülich beschäftigt sich heute keiner mehr mit kalter Fusion. Kalte Fusion gilt als tot. Bislang.

US-Energieministerium will kalte Fusion überprüfen

Das britische Wissenschaftsmagazin New Scientist berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, der Vizedirektor des Wissenschaftsbüros des US-Energieministeriums (DoE), Dr. James Decker, habe versprochen, die Behauptungen zur kalten Fusion würden bis Anfang 2005 einer Überprüfung unterzogen.2 (dazu siehe auch: U.S. Will Give Cold Fusion Second Look, After 15 Years) Das ist zumindest eine Antwort, warum Anfragen an Kritiker der kalten Fusion in letzter Zeit unbeantwortet blieben. Dr. Robert Park, einer der vehementesten Kritiker, schrieb zuletzt, kalte Fusion habe zwar "Gläubige, aber nicht viel Bestätigung." Der Ausdruck "nicht viel" war neu.

Seit Anfang März kursiert unter Erforschern und Kritikern der kalten Fusion außerdem ein Entwurf für einen Artikel, der in der April-Ausgabe von Physics Today erscheinen soll. In diesem Entwurf, der Telepolis vorliegt, sagt Decker, "ob es Anwendungen für die Energiewirtschaft gibt, ist zur Zeit völlig unklar." Vor der Anwendung käme erst die Erforschung und "hier könnte eine interessante Wissenschaft liegen." Unterstützung erhält Decker von Dr. Mildred Dresselhaus. Sie war Direktorin des DoE-Wissenschaftsbüros in der Clinton-Administration. Sie sagt zur kalten Fusion mittlerweile, "Wissenschaftler sollten offen sein." Die Geschichte zeige, dass sich Sichtweisen über die Jahre verändern.3

Das Energieministerium hat damit eine 180-Grad-Wende vollzogen. Dresselhaus war Ende der 80er Mitglied des Energy Research Advisory Board (ERAB) und hat damit entscheidend den Anfang vom (vorläufigen) Ende der kalten Fusion mit eingeleitet. Der Untersuchungsbericht des ERAB an das DoE schloss4 ein gutes halbes Jahr nach Fleischmann/Pons:

Jüngste Experimente, manche mit fortgeschritteneren Messinstrumenten und verbessertem Hintergrund, fanden keine Fusionsprodukte und ergaben Obergrenzen für die Wahrscheinlichkeiten von Fusionen in diesen Experimenten weit unter den ersten positiven Resultaten. Deswegen schließt der Ausschuss, dass die gegenwärtigen Hinweise auf die Entdeckung eines neuen nuklearen Prozesses, genannt kalte Fusion, nicht überzeugend sind.

Der Ausschuss gab zwar zu, dass manche, kalter Fusion zuordenbaren Beobachtungen "noch nicht entkräftet" seien, weitere Experimente müssten aber "innerhalb bestehender Finanzierungsprogramme" auskommen - also quasi ohne Finanzierung. Seitdem ist kalte Fusion diskreditiert, wie erst kürzlich in der New York Times wieder zu lesen war5. Lt. Col. Tom Bearden, eine der Autoritäten der unkonventionellen Nuklearphysik, hofft nun, dass die DoE-Überprüfung die kalte Fusion "auf die akzeptierte wissenschaftliche Matte" setzen wird.

Feuer aus Eis

Dr. Eugene F. Mallove fühlt sich durch den jüngsten Schritt des DoE in seiner Einschätzung bestätigt. Mallove war bis 1991 Chefautor im Nachrichtenbüro des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Noch in diesem Jahr veröffentlichte er das erste Buch, das kalte Fusion nicht als Messfehler oder Spinnerei abtat.6 Seit 1995 gibt er das Magazin Infinite Energy heraus und veröffentlicht darin in der Fachwelt umstrittene Forschungsergebnisse, unter anderem zur kalten Fusion. Der Autor und Visionär Arthur C. Clarke, selber vehementer Verfechter der kalten Fusion, hat der Magazin-Gründung mit einer Anschubfinanzierung geholfen.

Mallove meint, er habe schon genug gesehen, um nicht mehr an der Realität kalter Fusion zu zweifeln. Nach Jahren der Forschung habe sich der bessere Begriff low energy nuclear reactions (LENR) eingebürgert, da bei vielen Experimenten anscheinend auch Kernspaltungsprozesse stattfänden, so dass man nicht mehr allein von Fusion sprechen könnte. So oder so wiesen die Experimente auf ein "vollkommen neues Gebiet der Physik und der Chemie" hin:

LENR-Forschung deutet an, dass in Wasserstoff in mehreren Größenordnungen mehr kraftvolle Energiereserven liegen, als konventionell verstandene chemische Energie-Modelle zulassen. Dieses sollte offene umweltbewusste und andere Menschen, die über die Zukunft des Energie-Umwelt-Problems besorgt sind, aufhorchen lassen und potentiell einen Einfluss auf das globale Klima haben.

LENR-Forscher kritisieren heute Protokollfehler der Forscher Fleischmann und Pons. Diese hatten ihre Forschungsergebnisse auf einer Pressekonferenz mitgeteilt, ohne Kollegen vorher ausreichend informiert zu haben. Stattdessen hätten sie in einem Wissenschaftsjournal mit den üblichen Überprüfungsinstanzen (peer review) veröffentlichen sollen. Die stürmisch veröffentlichte Arbeit enthalte Messfehler und manche Schlussfolgerungen seien nicht durch Daten gedeckt. Das Experiment sei dadurch von Anfang an angreifbar gewesen, aber nicht falsch.7 Im Gegensatz zu 1989 existiere heute ein viel größerer Körper publizierter Experimente, sagt Mallove.

Zahlreiche Hinweise auf kalte Fusion

Dr. Edmund Storms zählte 1996 bereits 190 Studien, in denen von kalten Fusions-Effekten berichtet wird. Allein am Los Alamos National Laboratory (LANL), an dem die Atombombe entwickelt wurde und an dem er 34 Jahre forschte, hätten drei Forscher erfolgreiche Fusionsexperimente bei Raumtemperatur durchgeführt8:

Neue Arbeiten haben der Kritik Rechnung getragen, indem viele der vorgeworfenen Fehler eliminiert wurden. Hinweise auf umfangreiche und reproduzierbare Energiegewinnung sowie auf verschiedene Kernreaktionen, zusätzlich zu Fusionsprozessen, häufen sich aus einer Vielzahl von Testumgebungen und Methoden. Das Gebiet kann nicht länger abgetan werden, indem man sich auf offensichtliche Fehler oder prosaische Erklärungen beruft.

Zudem stünden heute in zahlreichen Laboratorien weltweit funktionsfähige elektrolytische und andere Überschusswärme-Experimentalzellen, welche, so Mallove, "reproduzierbar und verlässlich einen Energieüberschuss erzeugen, der nicht durch übliche chemische Reaktionen erklärt werden kann". Das ist möglicherweise sogar so leicht, dass jeder interessierte Bastler zu Hause sein eigenes Experiment durchführen kann. Der Franzose Jean-Louis Naudin jedenfalls berichtet auf seiner Webseite von einer erfolgreichen Reproduktion. Mit der gewonnenen Energie will er sogar einen Stirlingmotor betrieben haben.