Ostranenie-Festival am Bauhaus in Dessau

Weltsystem und Pyramidenspiele

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den 20ger Jahren war es eine Selbstverständlichkeit, daß Künstler aus Osteuropa wie Marcel Breuer und Laszlo Moholy-Nagy im Zentrum der Avantgardebewegung standen. Heute bekommen ihre Kollegen oft nichteinmal ein Visum.

Die vier Männer auf der Bühne sehen aus wie ein paar fanatische Elektrotechnik-Studenten, die nach der Vorlesung noch ein bißchen weiterbasteln wollen: Mit konzentrierter Miene stehen sie hinter einigen physikalischen Versuchsgeräten, und schrauben an ihren Computern, Mischpulten und anderer Elektronik herum. Aus den Lautsprechern auf der Bühne tönen sphärische Klänge, gelegentlich vermischt mit verzerrten Stimmen oder anderen Geräuschen. Ab und zu pluckern auch ein paar Takte eines Techno-Beats los. Aber bei einem Rave sind wir nicht, sondern bei einer Performance des Slowenen Marko Pelijan und des Deutschen Carsten Nicolai während des Medienkunst-Festivals "Ostranenie", das in der vergangenen Woche zum dritten Mal am Dessauer Bauhaus stattfand.

Nicolai und Pelijan wollen mit ihrer Performance zusammen mit den Musikern von "Rastermusik" dem kroatischen Erfinder Nikola Tesla Tribut zollen. Tesla hatte Anfang dieses Jahrhunderts ein Manifest mit dem Titel "World System" veröffentlicht, in dem er die Möglichkeit weltweiter Telekommunikation vorhersagte. Und plötzlich kommt in der Aula des Dessauer Bauhaus, dieser Weihestätte der europäischen Moderne, alles zusammen: Vielleicht, weil mir auf einmal bewußt wird, daß ich in dem Saal sitze, in dem einst Schlemmers "Triadisches Ballett" und Moholy-Nagys abstrakte Filme uraufgeführt wurden, vielleicht weil morgen der 80. Jahrestag der Oktoberrevolution ist und in drei Tagen der achte Jahrestag des Mauerfalls - aber heute abend ist der Kalte Krieg wirklich vorbei, und alles, was hier aufeinanderprallt, paßt auf einmal zusammen: die utopischen Vorstellungen Teslas und die inzwischen realisierte Möglichkeit globaler Echtzeitkommunikation im Internet, das in diesem Jahr bei dem Festival eine große Rolle spielt; die Vereinigung von Kunst und Technologie, die am Bauhaus praktiziert wurde und die auch viele Arbeiten der "Ostranenie" prägt; und vor allem die zwanglose, unverkrampfte Kooperation von Künstlern aus West und Ost dort oben auf der Bühne.

Letzteres ist freilich bei Ostranenie Programm, denn Intention des Festivals ist es ausdrücklich, Künstler aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks vorzustellen, die von der Kunstwelt Westeuropas bisher weitgehend ignoriert werden. Bei der diesjährigen documenta X war zum Beispiel kein einziger Künstler aus der früheren Sowjetunion vertreten, auch sonst gab es in Kassel so gut wie keine Arbeiten aus den Ex-Warschauer-Pakt-Ländern zu sehen. Daß aus Ost-Europa vor dem Zweiten Weltkrieg wichtige künstlerische und mediale Impulse ausgegangen waren, daran erinnerten bei der Ostranenie unter anderem eine Reihe von Vorträgen, die Medienpioniere aus dem Osten der Vergessenheit entrissen: Neben Tesla unter anderem an den Russen Lev Sergeyevich Theremin, der 1920 das erste elektronische Instrument entwickelte - und später eine Wanze für den KGB baute.

Gerade das Bauhaus bietet sich nicht nur wegen seiner Lage in der ehemaligen DDR und nicht weit von der polnischen Grenze dazu an, um osteuropäische Künstler in Deutschland einzuführen. Wäre im Vorlesungsverzeichnis des Bauhaus die Nationalität der Professoren so hervorgehoben worden wie im Katalog der "Ostranenie", hätte dort zum Beispiel gestanden: Wassily Kandinski (Rußland), Marcel Breuer (Ungarn) und Laszlo Moholy-Nagy (Ungarn). Auch viele ihrer Studenten kamen aus Osteuropa. Doch das selbstverständliche Miteinander von Künstlern aus Ost und West, das in den zwanziger Jahren am Bauhaus praktiziert wurde, ist auch acht Jahre nach dem Fall des "Anti-faschistischen Schutzwalls" noch nicht wieder zur Normalität geworden - um so bedauerlicher ist es daher, daß Ostranenie in diesem Jahr zum letzten Mal stattgefunden hat.

Manche, wie der russische Internet-Künstler Alexei Shulgin, finden, daß sie im Westen noch immer wie "redende Affen" betrachtet werden; andere Festival-Teilnehmer ließen die deutschen Behörden spüren, daß sie im Zweifelsfall als potentielle Asylbetrüger betrachtet werden, denen man nur widerwillig und mit großem bürokratischen Aufwand Einreise-Visa erteilt. Schon die oft herablassende und generalisierende Klassifizierung als "Ost-Europäer" wollen sich viele Künstler aus dem ehemaligen Ostblock aber nicht länger gefallen lassen, und sprechen darum inzwischen lieber von "Deep Europe".

Dort steht es freilich in allen Ländern um die staatliche Unterstützung von Künstlern ebenso schlecht wie um den privaten Kunstmarkt. Wer nicht schon den Exodus nach Westen angetreten hat, ist darum auf die Förderung des Open Society Institutes angewiesen, einer Stiftung des Wallstreet-Milliardärs George Soros, die seit 1990 in fast allen osteuropäischen Staaten Depandancen eröffnet hat. Ihre Arbeit wird von vielen Ost-Europäern bereits als "Diktatur des guten Willens" empfunden, aber wer im Osten nicht von "Onkel George" unterstützt wird, kann der Kunst meist nur noch als Hobby neben einem Brotjob nachgehen.

Ossis With Attitude

Um so erstaunlicher, was in Dessau trotz wiedrigster Bedingungen an Medienkunst zu sehen war. Die über hundert Videos, Installationen, Multimedia-Konzerte, Performances und Internet-Arbeiten sind keine exotischen Mitteilungen aus einem immer noch weit entfernten Teil Europas. Statt Künstler-Entwicklungshilfe für arme Ostler hat sich Ostranie zu einem Forum für die künstlerischen Arbeiten von Ossis-with-attitude entwickelt.

Wie schon beim Osnabrücker Medienfestival und der ars electronica in diesem Jahr fanden bei Ostranenie einige der interessantesten Festival-Beiträge nicht im physischen Raum der Ausstellung statt, sondern in dem weltweiten Computernetzwerk Internet. Obwohl in Dessau das erste Netz-Cafe schon wieder geschlossen hat, ist Festival-Leiter Stephen Kovats davon überzeugt, daß gerade die, "den elektronischen Medien innenwohnenden Fähigkeiten, physische Grenzen zu überwinden", dazu beitragen könnten, die Ost-West-Kluft zu beseitigen.

Dafür gab es bei der "Ostranenie" erste Beispiele: Der Litauer Gints Gabrans hat mit "Stairway to Heaven" eine amüsanten Parodie auf die Pyramidenspiele geschaffen, die in vielen Staaten Osteuropas populär sind. Und der Bulgare Petko Dourmana, der vor einem Jahr gerade mal wußte, wie man einen Computer anschaltet, hat mit "Metabolizer" einen Kommentar zum Körper im Zeitalter seiner genetischen Manipulierbarkeit programmiert: Wie eine Marionette kann man den Körper des Künstlers auf seiner Homepage bewegen oder mit Vitaminen und Anabolika aufpumpen und schrumpfen lassen. Jetzt versucht Dourmana seine Professoren an der Kunstakademie in Sofia davon zu überzeugen, "Metabolizer" als Abschlußarbeit im Bereich Bildhauerei anzuerkennen.

Daß der Medienkunst in den ehemaligen Ostblock-Staaten früher enge ideologische und technische Grenzen gesteckt waren, daran erinnerte die Präsentation von Günther Petzold: In der DDR arbeitete zuerst die Stasi mit Video, lange bevor sich Mitte der achtziger Jahre auch Künstler mit dem nicht mehr ganz so neuen Medium beschäftigten. Das erste große Treffen von Videokünstlern aus Ost und West wurde schließlich von der geschichtlichen Entwicklung entwertet: als es am 10. November 1989, am Tag nach dem Fall der Mauer, in Ost-Berlin stattfand, kamen keine Zuschauer mehr - die waren in West-Berlin zum Einkaufen.

Ostranenie-Homepage