Gesperrte Becker-Akte nur die Spitze eines Eisbergs

Weitere brisante Dokumente für Jahrzehnte unzugänglich

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Wer heute das mittlere Lebensalter erreicht hat und wissen will, was von den 70-er bis in die 90-er Jahre zwischen Staat und RAF wirklich passierte, sollte schon jetzt seine Nachkommen in das Vorhaben mit einspannen. Denn nicht nur die Akte Verena Becker gilt als Staatsgeheimnis, zahlreiche weitere Dokumente brisanten Inhalts werden vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen - teilweise bis zum Jahr 2063. Was da wohl Wichtiges drinstehen mag. Ein kleiner Überblick.

So lagern die Dokumente über einen besonders schwerwiegenden Fehltritt der baden-württembergischen Polizei aus dem Jahr 1972 noch mindestens bis Silvester 2040 in den Panzerschränken der Behörden. Damals war ein Brite in Stuttgart zur falschen Zeit am falschen Ort. Während einer RAF-Fahndung geriet der Kaufmann Ian McLeod in den Fokus der Ermittler, die sofort zu seiner Wohnung ausrückten, um den vermeintlichen Terroristen festzunehmen. Getreu dem Motto "erst schießen, dann fragen" feuerten die Beamten eine Salve durch die geschlossene Tür des Engländers, der tödlich getroffen zusammenbrach. Kollateralschäden nennt man das wohl. Ebenso bis zum letzten Tag des Jahres 2040 muss warten, wer den Auswertungsbericht über die Durchsuchungen der Zellen von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan Carl Raspe im Stammheimer Gefängnis vom 16. und 18. Juni 1973 lesen will. Ob uns der Staat da etwas verheimlicht?

Im Giftschrank liegt natürlich auch ein Aktenpaket, das u. a. einen Bericht zum Tod von Ulrike Meinhof im Jahr 1976 enthält. Wenige Seiten weiter würde der Leser auf Dokumente stoßen, die sich mit unterschlagenen Erklärungen der Roten Armee Fraktion beschäftigen und Maßnahmen anlässlich der Entlassung von Terroristen aus der Haft vorschreiben. Als hoch geheim und damit der Öffentlichkeit verborgen, gilt auch ein Bericht über einen Studenten, der angeblich im September 1976 ein Attentat auf den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger (CDU) geplant haben soll. Hinzu kommen zahlreiche Aktenbündel zu den Fällen "Schleyer" und "Buback", gespickt mit Ermittlungsergebnissen und Spuren, von denen bestimmte Leute in der Bundesrepublik lieber nichts hören und sehen wollen.

Ähnlich ominös verhält es sich mit amtlichen Unterlagen zu Entführung und Mord an dem italienischen Christdemokraten Aldo Moro, der am 16. März 1978 in Rom von den Roten Brigaden (später stellte sich heraus, dass Geheimdienste und Rechtsradikale die Finger mit im Spiel hatten) angegriffen wurde. Warum in deutschen Amtsstuben Akten zu diesem Fall unter Verschluss liegen, ist eine berechtigte Frage. Vielleicht deswegen, weil der Fall Aldo Moro geradezu unheimliche Parallelen zur Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback wenige Wochen später aufweist. Sowohl die Wagenkolonne Moros als auch Bubacks wurden von einem Motorrad aus beschossen. Und nach Recherchen der Journalistin und Buchautorin Regine Igel wurde auf dem Motorrad in Rom Deutsch gesprochen. Da kann es nur Zufall gewesen sein, dass sich zahlreiche deutsche Terroristen zu diesem Zeitpunkt in Mailand aufhielten.