Rückführungen: Seehofer setzt auf Strafen und Gefängnisse

Wer sich der Mitwirkung verweigert, dem droht künftig Bußgeld oder Abschiebehaft; die Lösung des Innenministers überzeugt nicht

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Die Rückführungen funktionieren nicht so, wie vom CSU-geführten Innenministerium gewünscht. Daher hat der Chef des Hauses, Seehofer, einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt, der gestern vom Kabinett verabschiedet wurde, also mit Unterstützung der SPD. Der Innenminister macht auf Tempo. Das Gesetz, kurz "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" genannt, soll nach seinen Vorstellungen noch vor der Sommerpause im Bundestag verabschiedet werden. Auch bei den Abschiebungen soll nun dank der neuen Regelungen schneller gehandelt werden. Kritiker äußerten gestern große Einwände.

Abschiebungen sind ein leidlich kompliziertes Thema. Sie sind mit großem Aufwand verbunden (vgl. 299.000 Euro Charter-Kosten für einen Abschiebeflug nach Afghanistan; vier Streifenwagenbesatzungen je Abholung) und in Einzelfällen sehr umstritten.

Handlungsbedarf: Ein neues Gesetz muss her?

Es gibt mitfühlende, verärgerte oder empörte Reaktionen zu Rückführungen nicht nur in einem Lager, sondern quer durch die Bevölkerung. Das Gefühl, dass hier etwas nicht richtig läuft, wird auch von Polizeibeamten mitgeteilt, von Mitschülern, Arbeitskollegen, Betriebsleitern, Nachbarn und selbst an Stammtischen in ländlichen bayerischen Gebieten, wo ganz sicher keine "linken Ideologen" sitzen, ist Kritik an der Abschiebepraxis zu hören, die sich an konkreten Fällen orientiert.

Auf der anderen Seite gibt es die extremen Fälle, die in Verbrechensmeldungen auftauchen, zu Fassungslosigkeit führen und Wut über die Behörden, die es nicht schafften, einen Kriminellen wie z.B. Anis Amri abzuschieben, was Gewalttaten verhindert hätte. Auch hier wird viel Kritik an der Gesetzgebung laut.

Das alles ist hinlänglich bekannt und bildet zusammen mit Merkels Mission "Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung", ausgegeben ein Jahr nach der Durch-Wink-Politik, einen Hintergrund zum neuesten Gesetzesentwurf. Auf den anderen Hintergrundbildern sieht man die AfD, dahinter die neue Rechte, ins Taumeln geratene Mitteparteien, europäische Nachbarländer und Herkunftsländer, die als sicher eingestuft werden, wie etwa Afghanistan, wo die nächste islamistische Herrschaft droht und dies mit kriegerischen Mitteln vorbereitet wird.

Stellschrauben suchen

Seehofer bietet nun mit dem "Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" eine neue Lösung an. Dafür wurden Zahlen an die Öffentlichkeit geschickt, die die Dringlichkeit klar vor Augen stellen sollen. Überall war zu lesen, dass im vergangenen Jahr 26.000 Menschen abgeschoben wurden, aber eben auch 31.000 Versuche gescheitert seien.

Die Lageanalytiker des Innenministeriums haben Schwachstellen ausgemacht und die Stellschrauben, mit denen das Problem in den Griff zu kriegen wäre. Sie laufen hauptsächlich auf die Feststellung hinaus, dass sich viele der Abschiebung entziehen, weil die Papiere fehlen oder weil sie untertauchen. Dies soll künftig mit einerseits mit einem neuen Status geregelt werden.

Wer aber selbst ein Ausreisehindernis schaffe, erhalte nach dem Gesetzentwurf zukünftig keine Duldung mehr. Derjenige erhalte nur noch eine sogenannte "Duldung für Personen mit ungeklärter Identität". Dieser Status werde neu eingeführt. Er ist verbunden mit Wohnsitzauflage und Arbeitsverbot. Wer also nicht alles Zumutbare tut, um einen Pass oder einen Passersatz zu bekommen, der wird bestraft. Als zumutbar gilt unter anderem, dass der Betreffende persönlich bei Behörden des Herkunftslandes erscheint. Aber auch die Bereitschaft, die Wehrpflicht zu erfüllen.

Tagesschau

Anderseits werden Regelungen erleichtert, die die fraglichen Personen noch strenger an einem Ort festhalten. Selbst wenn keine Fluchtgefahr besteht, können Personen, die für eine Rückführung vorgesehen sind, inhaftiert werden, berichtet die Tagesschau weiter: "Die Voraussetzungen für die Sicherungshaft und den Ausreisegewahrsam werden laut Gesetzentwurf herabgesetzt."

Wer sich der Mitwirkung verweigert, dem droht künftig Bußgeld oder Abschiebehaft. Zudem soll der Termin der Abschiebung als Dienstgeheimnis gelten, das spürbare Strafen bei Nichtbeachtung nach sich zieht.

Die Rede ist auch von einer Mitwirkungshaft. Sie soll dazu beitragen, dass der Kontakt mit Vertretern der Herkunftsländer aufgenommen wird. "Wenn ein abgelehnter Asylbewerber zu einer ersten Anhörung bei der Botschaft seines Heimatlandes einmal nicht erschienen ist, kann er vor dem zweiten Termin für kurze Zeit in Gewahrsam genommen werden."

Man ahnt die praktischen Schwierigkeiten, etwa wenn die Herkunftsländer gar kein Interesse daran haben, die abgelehnten Asylbewerber oder Schutzsuchenden, die abgeschoben werden sollen, aufzunehmen oder wenn mit dem Herkunftsland, wie z.B. Syrien, gar keine diplomatischen Beziehungen bestehen.

Justizminister sind nicht überzeugt: Grundrechte werden verletzt

Davon abgesehen gibt es große rechtliche und praktische Bedenken zur "Abschiebehaft". Nahezu alle Justizminister, auch CDU-Mitglieder, verwahrten sich nach einem Bericht der gestrigen SZ-Printausgabe, gegen dieses Vorhaben.

Denn im Europarecht sieht Artikel 16 der EU-Rückführungslinie vor, dass Abschiebehäftlinge nur in einem gewöhnlichen Gefängnis bleiben dürfen, wenn sie eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Eine vorübergehende Aussetzung dieses Trennungsgebotes ist auch nur dann erlaubt, wenn es zu einer unvorhersehbaren Überlastung von Haftanstalten kommt.

SZ

Diese "Notlage", so die Zeitung, mache Seehofer geltend. Dem würden Kritiker mit dem Argument begegnen, dass er sich nicht gut auf eine Notsituation berufen könne, da das Problem der vielen Migranten, die keine ausreichenden Papiere haben und laut Behörden- oder Gerichtsentscheidung abgeschoben werden sollen, seit einigen Jahren bekannt sei.

Derzeit gebe es bundesweit nur 487 Abschiebehaftplätze. Binnen drei Jahre sollen die Länder ausreichend neue Abschiebegefängnisse schaffen, bis dahin wird die Haftunterbringung von Personen, die gegen keine Gesetze verstoßen, zu einem Problem, das aller Wahrscheinlichkeit nach einige Gerichte beschäftigen wird.

Das lässt auch die Aussage der SPD-Innenpolitikerin Eva Högl erkennen: "Wenn man vorübergehend innerhalb eines Gebäudekomplexes die Personen unterbringt, ohne dass diese sich begegnen und auch andere Voraussetzungen in den Unterkünften hat, dann ist das akzeptabel. Aber nur unter ganz strengen Voraussetzungen."

Die Grünen sprechen von einem "Katalog an Inhumanität und Entrechtung".

Zweifel am Zahlenmaterial

Ein interessanter, weil direkt auf die Praxis zielender Kritikpunkt kommt von der Diakonie Deutschland. In derem Papier wird dem Zahlenmaterial von Seehofer entgegengehalten, dass es Teile der Wirklichkeit auslässt:

Das Ziel des Gesetzes - sicherzustellen, dass ausreisepflichtige Personen auch tatsächlich ausreisen -, wird mit unvollständigen Daten begründet: Das Bundesinnenministerium nennt eine Zahl von 235.957 vollziehbar ausreisepflichtigen Personen, um die Notwendigkeit von erleichterten Abschiebungen zu rechtfertigen. Diejenigen, deren Abschiebung aufgrund einer Duldung aus gesetzlich vorgesehenen Gründen vorübergehend ausgesetzt ist, werden nicht berücksichtigt. Dabei waren laut Ausländerzentralregister 2018 180.124 Menschen geduldet und daher aus legitimen Gründen in Deutschland. Darunter befinden sich Flüchtlinge aus Afghanistan, unbegleitete Minderjährige, Personen, die aufgrund eines Abschiebestopps nicht abgeschoben werden, Eltern aufenthaltsberechtigter Minderjähriger sowie für den Zeitraum der Ausbildung geduldete junge Menschen. Dass nur 17.979 Ausreisepflichtige ohne Duldung Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, lässt vermuten, dass ein Teil der verbleibenden ausreisepflichtigen Personen ohne Duldung bereits ausgereist ist.

Diakonie Deutschland

Demnach stünden die Aussichten nicht besonders gut, dass die neuen Regelung die vom Innenminister gewünschten, an Zahlen deutlich ablesbaren Effekte bringen. Die Vereinbarkeit mit Grundrechten wird darüber hinaus noch für Konflikte und Probleme auf einer anderen Ebene sorgen.

Dazu kommen politisch ungelöste Aufgaben, die Seehofer bisher nicht erledigt hat, weil er auf Schwierigkeiten stößt, wie zum Beispiel bei den Rücknahmeregelungen mit Italien, sowie die großen politischen Unwägbarkeiten wie Konflikte, die in Herkunftsländern eskalieren oder ausbrechen.