Nachhaltig ausbeuten

Warum Nachhaltigkeit in einer Marktwirtschaft nicht selbstverständlich ist - sie aber gerade Konjunktur hat

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Kurz vor dem "Corona-Lockdown" Mitte März machte die Deutsche Börse von sich reden: In einem neuen Index namens "Dax 50 ESG" sind Aktien-Titel vereint, die laut einer speziellen Rating-Agentur "nachhaltig" wirtschaften. Kapitalanlegern soll damit eine Orientierung gegeben werden für ihre Investitionen - so sie denn berücksichtigen wollen, wie "nachhaltig" die in Frage kommenden Unternehmen bei den Themen Environment, Social und Government (ESG) handeln.

Damit hat ein Begriff nun die harte Finanzwelt erreicht, der auf eine lange Karriere zurückblickt. Seltsam daran ist weniger sein inflationärer und schwammiger Gebrauch, und dass so ziemlich alle wichtigen Menschen in der Gesellschaft ihn einhellig unterschreiben - obwohl sie sonst in harter wirtschaftlicher oder politischer Konkurrenz zueinander stehen. Merkwürdiger erscheint vielmehr, dass eine eigentliche Selbstverständlichkeit - nicht die eigene Lebensgrundlage zu zerstören - immer wieder in Erinnerung gerufen werden muss und, schlimmer noch, trotzdem ständig ignoriert wird.

Das Thema ist nun wirklich nicht neu: Von "Nachhaltigkeit" sprach schon die Forstwirtschaft im 18. und 19. Jahrhundert. Sogar im Mittelalter gab es bereits die Erkenntnis: Zum Erhalt eines Waldes ist es schlicht notwendig, nur so viel Holz zu schlagen, dass genügend nachwachsen kann. Aus Sicht des Eigentümers also damals eine klare Sache, wenn er sich nicht ruinieren wollte. Nur stand er nicht alleine da. Es gab das Interesse der Herrschaft an seinem Wald, so sie nicht selbst Waldbesitzer war, und die Nachfrage nach Brennholz und Material zum Bau von Schiffen war groß. So grassierte vor rund 200 Jahren in Deutschland mancherorts Holznot, ganze Wälder fielen Kahlschlägen zum Opfer.

Mit verstärktem staatlichen Schutz und nachhaltiger Forstwirtschaft wurde diese negative Entwicklung gestoppt. Die Einsicht hatte sich gegen einzelne Interessen durchgesetzt: Ein Land ganz ohne Wald hätte ernsthafte ökonomische und natürliche Probleme bekommen. Die staatliche Durchsetzung fiel umso leichter, weil die Kohle als neuer, besserer Brennstoff aufkam; und wenig später ersetzte Stahl weitestgehend das Holz im Schiffsbau.

"Grenzen des Wachstums"? Von wegen!

In jüngerer Vergangenheit mahnte 1972 der Bericht "Die Grenzen des Wachstums" des "Club of Rome" einen nachhaltigen Umgang der Welt mit ihren natürlichen Grundlagen an.

Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.

Meadows u.a.: Die Grenzen des Wachstums, 1972, S.17

Die Folge seien neben dem Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität die irreparable Zerstörung der Umwelt und der weitgehende Verbrauch der Rohstoffe. Nur weltweite Maßnahmen und eine internationale Zusammenarbeit könnten diese Entwicklung vermeiden. Spätere Aktualisierungen auf Basis größerer Datenmengen und mit Hilfe besserer Computermodelle präzisierten zwar die Prognosen, hielten aber an der Mahnung an die Weltgemeinschaft fest, nicht so weiter zu machen wie bisher angesichts einer drohenden globalen Katastrophe.

Die Berichte trafen zwar auf große öffentliche Resonanz, brachten aber in der Praxis für die "Nachhaltigkeit" keinen Durchbruch. Gelobt in Sonntagsreden, geflissentlich ignoriert im Alltag.

Die Frage war und ist ja schließlich: Wer ist denn "die Menschheit"? Die vom "Club" vorgestellte Gemeinschaft gibt es nicht. Jeder Staat und jedes Unternehmen verfolgt eigene Interessen auf der Welt, die oft im Gegensatz zu den vielen anderen Akteuren stehen, die ihre Macht und ihren Reichtum vermehren wollen. Einer ihnen übergeordneten vermeintlichen Notwendigkeit, noch dazu kostspielig und den eigenen Wachstumsansprüchen entgegen gesetzt, können diese Protagonisten logischerweise wenig abgewinnen.

Und wie steht es um die abhängig Beschäftigten und Verbraucher, also die überwiegende Mehrheit des Volks? Sie müssen schauen, wie sie sich in der alltäglichen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt behaupten und wie sie mit ihrem Geld zurechtkommen. Ob sie in einer nachhaltigen Produktion arbeiten, ist nicht in ihrer Hand. Genauso wenig frei fallen ihre Kaufentscheidungen aus. Sie sind von ihrem Geldbeutel abhängig. Und das Angebot bestimmen sie auch nicht.

Neues Kriterium fürs Finanzkapital: Nachhaltigkeit

Was der "Club of Rome" nicht schaffte, steht vermeintlich nun seit einiger Zeit auf der Tagesordnung: Schutz des Klimas und der Ressourcen - und das weltweit. Im Fahrwasser der internationalen Übereinkommen und nationalen Programme hat die "Nachhaltigkeit" eine steile Karriere hingelegt. Unternehmen und Institutionen schmücken sich damit, gegenüber den Folgen ihrer Tätigkeit für die Umwelt (Environment) "Verantwortung" zu übernehmen.

Sie wollen ihre Emissionen reduzieren, wie auch ihren Energieverbrauch und die Nutzung der natürlichen Ressourcen. Weniger Müll aus Plastik und sonstigem Material und mehr Effizienz in der Produktion stehen auf dem Programm. Neuerdings wird das Thema erweitert um Nachhaltigkeit in Bezug auf die Gesellschaft und die Unternehmensführung (Social und Governance). Und das ist nun spätestens seit der Einführung eines ESG-Indexes bei der Deutschen Börse nicht mehr nur eine Image-Frage oder etwas für Sonntagsreden.

"Die Realwirtschaft steht vor einem Transformationsprozess, und es liegt in der Verantwortung des Finanzsektors, diesen zu finanzieren; Indizes wie der DAX 50 ESG bieten dafür eine wichtige Grundlage", sagt Kristina Jeromin, verantwortlich für Nachhaltigkeit bei der Deutschen Börse (Süddeutsche Zeitung, 5. März 2020). "Denn Klima- und Umweltrisiken, soziale Faktoren und Aspekte der Unternehmensführung werden für den Finanzsektor zur Risikobewertung eine essenzielle Rolle spielen." (ebd.)

Worin besteht dieses "Risiko"? Wie bekommen einst vernachlässigbare Kriterien in der harten Konkurrenz jetzt ein solches Gewicht? An dem Gebaren der Akteure kann es nicht liegen: Die Unternehmen kämpfen ungebrochen um möglichst große Marktanteile, die sie ihren Wettbewerbern abnehmen wollen. Dabei nutzen sie mit aller Macht und ziemlich rücksichtslos alle natürlichen Voraussetzungen und technischen Mittel, um konkurrenzlos günstig zu produzieren. Ebenso wenig wird auf die Menschen Rücksicht genommen, die all die gewinnträchtigen Waren herstellen: Möglichst wenig sollen die Beschäftigten kosten, möglichst viel produzieren. In der Marktwirtschaft sind die Firmen gezwungen, zunächst einmal an nichts anderes als an ihren Gewinn zu denken und ihn - stetig wachsend - zu realisieren.

Unternehmen entdecken Nachhaltigkeit - wenn es sich rechnet ...

Dabei durchforsten sie durchaus laufend ihre Produktion nach Stellen, bei denen die Waren noch effizienter hergestellt werden könnten. Je nach Anteil an den Kosten kann da der Stromverbrauch ins Visier kommen, die Menge an Vormaterial, der Umfang an zu entsorgendem Müll, der Aufwand für den Transport und vieles mehr. Größere Unternehmen unterhalten dafür ganze Abteilungen, die sich mit der kontinuierlichen Verbesserung der Abläufe beschäftigen und Vorschläge erarbeiten. Was sich rechnet, wird dann gemacht, und was nicht, nicht. "Nachhaltigkeit" erhält in der Marktwirtschaft ihre Berechtigung, wenn die Ausbeutung von Mensch und Natur dadurch noch cleverer funktioniert und so den Gewinn positiv beeinflusst.

Aber eben auch nur so: Wenn das Wegwerfen von Produktionsabfall günstiger ist, als ihn aufwendig zu sammeln und an einer bestimmten Stelle zu entsorgen, unter Umständen sogar gegen Entgelt, fällt die Entscheidung klar gegen Nachhaltigkeit aus. Der Export solchen Mülls in Länder der "Dritten Welt" boomt. Wenn das Verklappen von Schweröl auf dem Meer billiger ist, als es im Hafen loszuwerden, dann geschieht das auch in großem Maßstab. Wenn der Verbrauch von Strom so preiswert ist, dass sich die Investition in eine energiesparende Maschine nicht lohnt, dann verschwendet der Betrieb eben weiter.

Wenn das T-Shirt von extrem schlecht bezahlten Arbeiterinnen unter extrem schlechten Arbeitsbedingungen in Asien hergestellt wird, unter großem Transportaufwand nach Europa kommt, dort dann für wenige Euro verkauft wird, hat das Textilunternehmen sein Geschäft gemacht. Das erfüllt zwar keine der drei ESG-Kriterien, sie sind aber an der Stelle nicht relevant. Es sei denn, die betreffende Firma entdeckt gerade in dem ESG-Siegel der Nachhaltigkeit für sich ein neues Geschäftsfeld: Dann gibt es zusätzlich eine "faire", "nachhaltige" Produktlinie. Die ist dann natürlich teurer als das konventionelle Angebot. Wenn sich indes genügend Käufer finden, denen es das wert ist - und die vor allem das nötige Kleingeld haben - freut sich der Unternehmer über eine interessante Erweiterung seiner Profitmöglichkeiten. Und mit dem Attribut "nachhaltig" kann er noch dazu sein Image aufhübschen.

… staatliche Auflagen sie dazu zwingen …

Das von Teilen der Finanzwelt neu bewertete "Risiko" liegt woanders: Können Unternehmen in Zukunft noch erfolgreich sein, wenn sie sich dem "Transformationsprozess" verschließen? Beziehungsweise sind Geldanlagen in ESG-Unternehmen besonders sicher und wachstumsträchtig, weil diese Kapitale mögliche staatliche Auflagen und Grenzwerte vorweg nehmen und neue Märkte erschließen? Sie sich also damit einen langfristigen Wettbewerbsvorteil verschaffen?

Diesen "Prozess" haben nicht die Unternehmen angestoßen - sondern die Staaten. Sie sehen sich mit einer Situation konfrontiert, die ihre Grundlagen gefährdet: Der Klimawandel droht, die Natur als Basis ihrer Ökonomie und ihrer Herrschaft immer untauglicher zu machen. Das gilt mittlerweile weltweit. Allerdings betrifft es die Staaten sehr unterschiedlich. Entsprechend unterschiedlich geraten die Vorstellungen, wer seine klimaschädlichen Kapitale wie bremsen soll und wie es um die Verteilung der Kosten steht, um die Abwehr beziehungsweise die Folgen der Katastrophe zu bewältigen. Die aus Sicht von Umweltschutz-Organisationen stets unbefriedigenden Beschlüsse der internationalen Klimaschutz-Konferenzen haben darin ihren Grund.

Der "Transformationsprozess" hat also nichts mit einem Mechanismus zu tun, der keinen Akteur kennt. Vielmehr herrschen die nationalen Regierungen ihrer Ökonomie neue Bedingungen auf, unter denen sie in Zukunft zu produzieren haben. Dabei achten sie auf zweierlei: Erstens sollen die neuen Vorschriften tatsächlich eine Wirkung gegen die befürchtete Klimakatastrophe und andere Schäden für die Umwelt entfalten, also weniger Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen, weniger Plastikmüll, weniger verseuchte Flüsse, weniger vergiftete Böden etc. Zweitens jedoch dürfen die neuen Vorschriften die Unternehmen nicht daran hindern, weiter gute Geschäfte und Gewinne zu machen.

Im besten Fall setzen sie neue Standards, die der nationalen Wirtschaft gegenüber der ausländischen Konkurrenz einen Vorteil verschaffen. Nämlich dann, wenn die Einhaltung von nationalen Umweltauflagen zur allgemeinen Bedingung fürs Geschäft wird. Wer beispielsweise in China Autos verkaufen will, muss in seiner Modellpalette einen bestimmten Anteil an Elektrofahrzeugen vorweisen. "Alle größeren Hersteller müssen in China einen Teil ihrer Fahrzeuge mit E-Antrieben oder Hybridmotoren ausstatten - oder von anderen Herstellern entsprechende Zertifikate kaufen. 2020 wird diese Quote 12 Prozent betragen." (Claus Hecking und Bernhard Zand: Der lange Marsch zurück. Spiegel Online, 4. Januar 2020)

Dabei geht es der Volksrepublik nicht nur um bessere Luft: Mit der Entwicklung von Elektroautos will sich China auf dem Weltmarkt eine führende Rolle verschaffen. Außerdem macht man sich so langfristig unabhängig von den für den eigenen Autoverkehr nötigen Ölimporten. Der Kraftstoff kommt dann in Zukunft von den eigenen Stromerzeugern, mit wachsendem Anteil auf Basis von Wind- und Sonnenkraft. Einer der größten Märkte der Welt, noch dazu weiter wachsend, definiert die "Transformation" in der Autobranche. Wer dort Geschäfte machen will, muss sich diesen Bedingungen anbequemen. Das Finanzkapital honoriert Hersteller, die diese Chance nutzen, legt sein Geld dort an. Umgekehrt straft es Produzenten, denen dieser lukrative Markt verschlossen bleibt, mit Geringschätzung.

… oder beides zusammenkommt

Es müssen aber nicht immer Auflagen sein. Teilweise genügen auch Selbstverpflichtungen der Branchen oder Kostenerhöhungen für als zu umweltschädlich definierte Folgen der Produktion. Für letzteren Fall steht der europäische Emissionshandel.

Größere Unternehmen aus den Branchen Energie, Stahl, Chemie, aus der Mineralöl verarbeitenden Industrie (z.B. Zement, Kalk, Glas) sowie Raffinerien und der Luftverkehr müssen für ihren Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen Berechtigungen vorweisen. Diese "Zertifikate" beziffern die Menge an Emissionen, die jedes Jahr den Unternehmen erlaubt sind. Je nach Quelle des Ausstoßes vergibt die Europäische Union (EU) die Zertifikate kostenlos beziehungsweise versteigert sie, oder sie müssen an den Börsen in London und Leipzig gekauft werden. An diesen Handelsplätzen regelt Angebot und Nachfrage den Zertifikate-Preis.

In den Anfängen des Emissionshandels führte das zu sehr niedrigen Kursen, da für den Start die Berechtigungen kostenlos zugeteilt worden waren und so lange Zeit ein Überangebot bestand. Ein Anreiz für besonders stark emittierende Unternehmen, mit fortgeschrittener Umwelttechnik weniger Zertifikate kaufen zu müssen oder sogar nicht benötigte Zertifikate lukrativ verkaufen zu können, kam so nicht zum Tragen.

"Anreiz" ist ganz marktwirtschaftlich gedacht: Es muss sich für den Betrieb lohnen. In diesem Fall aber negativ: zusätzliche Kosten vermeiden, die sonst der Staat einem aufbürdet. Denn dieser, hier die EU, setzt sein Kapital unter Druck, ein gewisses Minderungsziel an Ausstoß von Treibhausgasen zu erreichen. Dieses Ziel wird laut Deutscher Emissionshandelsstelle so vorgegeben:

Für die aktuelle dritte Handelsperiode (2013-2020) wurde ein europaweites Cap von insgesamt 15,6 Milliarden Berechtigungen beschlossen. Diese Berechtigungen wurden auf die acht Jahre der Handelsperiode verteilt, allerdings nicht gleichmäßig. Vielmehr wurde die Menge jährlich um rund 38 Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr reduziert. Im letzten Handelsjahr soll so eine Emissionsminderung um 21 Prozent gegenüber den Emissionen von 2005 erreicht werden.

Deutsche Emissionshandelsstelle

Damit tritt also ein neuer Kostenfaktor in die betriebswirtschaftliche Rechnung ein: Lohnt sich die Investition in eine meine Emissionen verringernde Technik? Mit welchen Zertifikate-Kosten in den nächsten Jahren ist zu rechnen, um dies halbwegs genau zu kalkulieren?

Aus sich heraus würde ein Unternehmen diese Überlegungen nicht anstellen. Das wissen die Regierungen, deshalb dieses Handelssystem - auch gerade in dieser Form: Nämlich als Marktplatz, auf dem sich in der Konkurrenz um die besten Produktionsbedingungen die Unternehmen bemühen sollen, ihre Emissionen zu verringern. Selbstverständlich sind die Minderungs-Ziele so beschaffen, dass sie die Branchen insgesamt nicht gefährden. Einzelne Firmen können aber gleichwohl Probleme bekommen. Diese sind dann offenbar nicht in der Lage, entweder in modernere Technik zu investieren oder die Zertifikate zu bezahlen, mit denen sie weiter die Luft belasten dürfen. In beiden Fällen handelt es sich um ein Kapital, das der Konkurrenz nicht mehr gewachsen ist. Um dieses ist es dann aus Sicht des Staates auch nicht schade. Es ist halt nicht "nachhaltig" genug erfolgreich gewesen.

Der Emissionshandel läuft unter gleichen Bedingungen auf europäischer Ebene, auf dass kein Kapital in einem Land entscheidende Wettbewerbsvorteile genießt. Schließlich dürfen die Anstrengungen für mehr Klimaschutz nicht zu Wettbewerbs-Verzerrungen führen und zu einseitigen nationalen Gewinn-Einbußen. Im Gegenteil, sie sollen das Kapital in Europa zum Maßstab für Klimaschutz in der Welt machen.

Damit kann die EU sich als Vorreiter gerieren, anderen Staaten Vorgaben machen - und mit seiner hochmodernen Umwelttechnik neue globale Geschäftsfelder erschließen. Dass es dabei innerhalb Europas in einigen Ländern erfolgreichere Unternehmen gibt, in anderen notorisch weniger, führt zu den bekannten Streitereien der Nationen untereinander - und untermauert die EU-Hierarchie mit Führungsnationen wie Deutschland und Frankreich einerseits, sowie Hinterbänklern wie Griechenland oder Portugal andererseits.

Nachhaltigkeit: Den Verschleiß von Land und Leuten für die Zukunft sichern

So gewinnt "Nachhaltigkeit" sowohl in der Konkurrenz der Unternehmen als auch der Staaten an Bedeutung. Die konkreten wirtschaftsverträglichen Inhalte und Kriterien setzen die Regierungen in die Welt. Die Firmen haben diese Vorgaben zu befolgen und gehen über sie hinaus, sofern es ihre Produktion noch effizienter macht und sie darüber Wettbewerbsvorteile erringen. Die Kapitalmärkte registrieren dies - und fügen ihren Bewertungen aussichtsreicher Kapitalanlagen eine neue Kategorie hinzu. Natürlich haben diese so wie ihre "konventionellen" Anlageformen zu gewährleisten, dass sich eine ordentliche Rendite einstellt und das Geld sicher angelegt ist. An dieser harten Beurteilung kommt auch eine "nachhaltige" Anlage nicht vorbei.

"Gut gemeint" im Sinne von "der Gesellschaft etwas Gutes tun" verfehlt den Grund für den Nachhaltigkeits-Boom. Es geht um den Umgang mit einem notorischen Widerspruch in der Marktwirtschaft: zwischen der individuellen Rücksichtslosigkeit jedes Unternehmens gegenüber den natürlichen Ressourcen und dem Wohl seiner Beschäftigten, um Gewinne zu erzielen - und der allgemeinen Notwendigkeit, diesem Gebaren Grenzen zu setzen, um eben die Ressourcen und Menschen soweit zu erhalten, dass sie für die Profitproduktion in genügendem Maße und mit ausreichender Kraft auch in Zukunft zur Verfügung stehen.

Offenbar ist diese Sorte Wirtschaft in letzter Zeit sehr weit mit dem Verschleiß von Land und Leuten gekommen. Die Konsequenz der Politik: Im September 2015 beschlossen die Vereinten Nationen eine "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung":

Die Agenda schafft die Grundlage dafür, weltweiten wirtschaftlichen Fortschritt im Einklang mit sozialer Gerechtigkeit und im Rahmen der ökologischen Grenzen der Erde zu gestalten.

Agenda

So lässt sich der beschriebene Widerspruch auch formulieren... Und weil es ein beständiger Widerspruch ist, fällt die Umsetzung einer solchen Agenda auch nur halbgar aus, zum Beispiel in Deutschland: Zwar hat die Bundesregierung 2017 ein 260-seitiges Programm vorgelegt, um die 17 Ziele der Agenda zu verwirklichen. Aber passiert ist seither nur relativ wenig - wie jüngst der Bundesrechnungshof kritisiert hat (Vgl. Markus Balser: Ziele ohne Plan, Süddeutsche Zeitung, 9. Juli 2020).

Der Kampf um Profit zwischen den Unternehmen und damit die Ausbeutung von Natur und Menschen hören wegen dieser "Agenda" nicht auf oder werden wenigstens etwas gemildert. Im Gegenteil: Der Wettbewerb um wirtschaftlichen Erfolg verschärft sich weiter, im Rahmen von Absatzproblemen weltweit und den besonderen Folgen der Corona-Pandemie.

Das Kapital reagiert darauf mit den bewährten Methoden - Intensivierung der Arbeit, Lohndrückerei, Rationalisierungen, Fusionen, Betriebsschließungen, Entlassungen und vielem mehr. Und die Staaten der "Ersten Welt" geben alles, um ihrer Wirtschaft die besten Bedingungen zu verschaffen. Dazu zählen Milliarden-Programme zur Stützung der Konjunktur und der Vermeidung von Pleiten ebenso wie eine Modernisierung der Infrastruktur (Stichwort Digitalisierung) oder günstige Verträge mit attraktiven Handelspartnern.

"Nachhaltigkeit" rangiert in diesem Zusammenhang nicht ganz vorn. Wenn es aber Kapital und Staat gut in den Kram passt, sprich sich Vorteile für Geschäft und Einfluss ergeben, kommt der Begriff zu seinen Ehren - dann wird die Ausbeutung auch noch nachhaltig.

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