Den Kohlebagger vor der Tür

Dörfer, die weichen mussten und Dörfer, die bleiben, wenn es nach den Bewohnern geht. Foto: Wolfgang Pomrehn

Wenn RWE das Dorfleben zerstört: Reise in ein verwüstetes Land

Abgeerntete Kartoffeläcker auf dem Weg nach Lützerath. Ein kleines Dorf am Rande des Braunkohletagebaus Garzweiler 2. Der Weg führt durch die Rheinische Bucht. Trichterförmig öffnet sich das flache Land zwischen Köln und Aachen nach Norden und Westen. Auf den Äckern liegen hier und da vergessene Kartoffeln. Ein aufgeschütteter Berg mit Futterrüben ist zu sehen. Es ist ein guter Boden. In der letzten Eiszeit haben die scharfen Winde der kalten Steppe hier den bei Bauern von China bis Nordamerika wegen seiner Fruchtbarkeit beliebten Löss abgelagert.

Doch andere machen ihr Geld - viel Geld zur Zeit - mit dem, was unter dem Löss liegt: Kies und vor allem Braunkohle. Wir fahren durch Deutschlands größtes Braunkohlerevier. Vermutlich das weltweit größte, denn nirgendwo sonst wird so viel dieser meist sehr feuchten minderwertigen Kohle verbrannt, wie hierzulande.

In der Ferne ragt ein riesiger Kohlebagger aus dem Land. Langsam dreht sich sein Schaufelrad, frisst sich bedrohlich auf die letzten Häuser Lützeraths zu. Der Weg führt durch leere Felder. Hier und da wächst noch Mais, anderswo ist schon die Wintersaat eingebracht oder es wächst eine Zwischenfrucht zur Bodenverbesserung. Ein Turmfalke steht in der Luft, potenzielle Beute am Boden fixierend.

Manches Feld liegt brach. Aufgekauft vom Energiekonzern RWE, immer unter dem Druck, andernfalls enteignet zu werden. Wer nicht weichen will, muss damit rechnen, dass ihm Land und Hof weggenommen werden, noch bevor das Enteignungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Für die Landwirte ist es fast ausnahmslos das Ende ihrer Wirtschaft, meist auch einer Familientradition.

Bauernland ist teuer geworden, Ersatz gibt es nicht. Oder nur in Brandenburg, so wie es Eckhardt Heukamp angeboten wurde, dem "Unbeugsamen" und letzten Landwirt Lützeraths. Noch vergangene Woche sah es so aus, als drohe ihm schon zum 1. November eine zwangsweise Räumung. RWE hatte beantragt, noch vor Abschluss des Enteignungsverfahrens Zugriff auf Heukamps Hof und Land zu bekommen. Nach dem noch aus Kaiserzeiten stammenden Bergrecht geht derlei.

Galgenfrist

Heukamps Beschwerde dagegen war in der ersten Instanz gescheitert. Nun geht es eine Runde weiter vors Oberlandesgericht in Münster, und wie gestern berichtet, verschafft der Gang in die nächste Instanz dem Landwirt und seinen zwei ebenfalls klagenden Mietern bis Anfang Januar Aufschub.

Wie im Rheinland üblich ist Heukamps Hof ein massiver Komplex. Stallungen, Scheune, Wohnhaus stehen in einer geschlossenen Front aus rotem Backstein. Nur das Wohnhaus verputzt. Die Bauern hier siedeln nicht einzeln auf ihrem Land, sondern in einem geschlossenen Dorf, das nicht einmal Vorgärten kennt. Doch wir finden auf der anderen Straßenseite nur noch eine von Unkraut überwucherte Brache. RWE hat hier im vergangenen Januar bereits unter massivem Polizeischutz andere Höfe abgerissen. Daran erinnert hier eine Mahnwache von Greenpeace. Einige Aktivisten basteln an Holzgestellen. Vor zwei Wochen haben sie begonnen, die Fläche zu besetzen.

Einige Wohn- und Wirtschaftshäuser stehen noch, zum Teil direkt neben dem umkämpften Hof. In ihnen hat RWE Security-Personal untergebracht. Rund 30 Werkschützer sind im Dorf, wird uns erzählt. Man belauert sich. Hinter den Häusern befindet sich in einem kleinen Wäldchen ein Protestcamp. Diverse Baumhäuser wurden gebaut. Einige sind mit Leitern zu erreichen, andere in luftiger Höhe von vielleicht 20 Metern in alten Eichen und nur mit Kletterseilen zu erklimmen. Ein Café wurde eingerichtet, eine Gemeinschaftsküche, ein altes Zirkuszelt für die häufigen Versammlungen aufgebaut. Einige der durchweg sehr jungen Aktivistinnen und Aktivisten übernachten in Iglu-Zelten, andere in einem Tipi. Hütten werden aus diversen Holzresten und alten Paletten gebaut. Viel geschäftiges Werkeln.

Bagger 258

Ein kleiner Wall jenseits der ehemaligen Landesstraße L277 grenzt das Tagebaugelände ab. Dahinter ein Feldweg, auf dem RWE-Wachpersonal mit einem Pick-Up auf und ab fährt. Im Hintergrund in vielleicht 100 Metern Entfernung der Tagebaurand und eine gigantische Maschine, der Bagger 258, der die obersten Erdschichten abträgt.

Der Oberboden ist fruchtbar. Sehr fruchtbar. Der Löss hat schon die Römer gut ernährt, die in der Region zahlreiche Landgüter errichtet hatten. Der Tagebau fördert auch archäologische Stätten zu Tage, doch aufhalten lässt er sich von ihnen nicht. Mit etwas Glück kann man im Abraum steinzeitliche Beile finden.

RWE verkaufe den abgetragenen Boden als Gartenerde in Baumärkten und Gartencentern, berichtet ein zugezogener Lützerather. Auch mit dem reichlich vorhandenen Kies lasse sich Geld machen. Seit Anfang Oktober gibt es jeden Sonntag einen Dorfspaziergang. Vor zwei Wochen kamen 700 Menschen, für den morgigen Sonntag ist eine richtig große Demonstration geplant. Auch die Jugendlichen von Fridays for Future rufen auf. Daneben Umweltverbbände und das Bündnis "Alle Dörfer bleiben", in den sich jene Anwohner der bedrohten Dörfer organisieren, die nicht dem Druck von RWE im Rheinland oder der Leag in der Lausitz nachgeben wollen. Aus Protest gegen Abriss und Tagebau soll demonstriert werden. Zur Verteidigung der 1,5-Grad-Grenze, wie es ein großes Transparent an Heukamps Hofe verkündet.

Ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin hatte im Juni errechnet, dass der größere Teil der Braunkohle im Boden bleiben muss, wenn Deutschland seinen Verpflichtungen aus der Pariser Klimaübereinkunft nachkommen will. Statt der vorgesehen 900 Millionen Tonnen Braunkohle dürften nur noch 235 Millionen gefördert werden. Lützerath und die andere Dörfer könnten also erhalten bleiben. Auch die Nachbardörfer. Alle zusammen gehören sie zur Stadt Erkelenz gehören, deren Silhouette sich am Horizont abzeichnet. Etwa zehn Kilometer sind es bis dort. Das Land ist flach.