Hohe Gaspreise: Spediteure warnen vor Ausfall Hunderttausender LKW

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Die Gaskrise könnte sich zu einer Versorgungskrise ausweiten. Denn ohne den Zusatzstoff AdBlue funktioniert kaum ein moderner Dieselmotor. Weshalb seine Produktion stockt.

Die hohen Energie- und Erdgaspreise machen in Deutschland eine Krise möglich, die von ihrem Umfang bislang kaum abzuschätzen sein dürfte. Nicht nur die Heizkosten steigen dann enorm an, es könnte auch zu erheblichen Versorgungsengpässen kommen.

Der Bundesverband Gütertransport und Logistik (BGL) hat einen dramatischen Mangel an AdBlue beklagt, einem Mittel, mit dem das Abgas von Dieselmotoren gereinigt wird. "Kein AdBlue bedeutet keine Brummis", sagte der BGL-Hauptgeschäftsführer Dirk Engelhardt der Bild-Zeitung. Und das bedeute: "keine Versorgung für Deutschland".

Bei AdBlue handelt es sich um eine wässrige Harnstofflösung, das Katalysatoren für Dieselmotoren benötigen. Damit werden gesundheitsschädliche Stickoxide aus den Abgasen in harmlosen Wasserstoff und in Stickstoff gespalten.

Dass der Mangel eines einzelnen Stoffs so verheerende Wirkungen mit sich bringen kann, liegt an den modernen Dieselmotoren. Fehlt er, geben sie eine Warnmeldung aus und nach wenigen Kilometern lassen sie sich nicht mehr starten.

Damit wollten die Hersteller eine optimale Abgasreinigung der Dieselfahrzeuge gewährleisten. Fahrzeughalter sollten durch das Abschalten des Motors dazu gebracht werden, nicht aus Bequemlichkeit oder Kostengründen auf den Zusatzstoff zu verzichten. Denn nur mit AdBlue stoßen die Motoren so wenig Stickoxid aus, dass sie die Abgasvorschriften einhalten.

Hersteller stellt Produktion ein

Rund 90 Prozent der Lkw besitzen einen moderneren Dieselmotor, der sich bei einem AdBlue-Mangel abschalten würde. Doch nicht nur die in Deutschland sind betroffen, sondern auch Busse, Traktoren, Baumaschinen und Autos.

AdBlue ist ein Nebenprodukt aus der Herstellung von Kunstdünger. Um den Harnstoff zu erzeugen, benötigt man Ammoniak, der wiederum mit Erdgas produziert wird. Aus dem größten Teil des Ammoniaks wird dann Stickstoffdünger hergestellt und uns einem kleineren Teil AdBlue.

Doch aufgrund der gestiegenen Energiepreise haben Hersteller in Deutschland ihre Produktion gedrosselt, etwa BASF in Ludwigshafen oder das Werk des norwegischen Yara-Konzerns in Brunsbüttel.

Die SKW Stickstoffwerke Piesteritz in Lutherstadt Wittenberg stellten dagegen die Produktion aus wirtschaftlichen Gründen bereits am 14. August ein. Allein dadurch fielen 40 Prozent des deutschen AdBlue-Marktes aus.

Das Unternehmen begründete seien Schritt mit drastisch gestiegenen Energiepreisen und der Gasumlage, die ab Oktober gezahlt werden soll. "Für uns lohnt es sich derzeit nicht, zu produzieren", sagte SKW-Sprecher Christopher Profitlich gegenüber der Sächsischen Zeitung. Ab Oktober müsse man 35 Millionen Euro im Monat an Gasumlage zahlen. Das sei mehr, als es im Jahr an Gewinn erwirtschafte.

Ob die Branche noch einmal auf die Beine kommt, ist fraglich. Der hohe Preis für Erdgas treibt auch den Preis für Kunstdünger, den Landwirte aus dem Ausland billiger importieren können. In Nordafrika, den Golfstaaten oder den USA kostet Erdgas weniger und damit auch der Kunstdünger. In der EU wird dagegen weniger Ammoniak produziert und damit auch weniger AdBlue.

"Praxisferne Politiker mit überhöhten Moralvorstellungen"

Bislang produzierte die Europäische Union ihren gesamten AdBlue-Bedarf selbst, hieß es kürzlich in der taz. Doch die nun fehlenden Mengen ließen sich auch nicht durch Import ersetzen: In Nordafrika gibt es demnach keine ausreichend großen Produktionskapazitäten. Außerdem fehlt die notwendige Logistik für Importe von außerhalb der EU.

Der AdBlue-Mangel drückt sich für die Logistikunternehmen in gestiegenen Preisen aus: Inzwischen kostet der Liter 1,45 Euro – es waren dagegen einmal 17 Cent.

"Bei einem Verbrauch von drei Litern AdBlue auf 100 Kilometer kann man sich die Mehrkosten ausreichen", wird in der Sächsischen Zeitung ein regionaler Transportunternehmer zitiert, der auch der Präsident des Landesverbands des sächsischen Verkehrsgewerbes ist.

Im Namen der 300 Unternehmen, die in dem Verband organisiert sind, sagte er: "Keiner hat mehr Reserven". Die Lage sei jetzt schlimmer als durch Corona. Es träfen "praxisferne Politiker mit überhöhten westlichen Moralvorstellungen folgenschwere Entscheidungen".