Das Twitter-Drama als Lehrstück in Sachen gewerkschaftliche Organisierung

Teeren? Federn? Oder doch eine Sammelklage? Bei Twitter und unter den Geschassten rauscht es im Karton. Symbolbild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)

Viele hielten die neue digitale Arbeitswelt für cool und lässig genug, um auf formelle Mitbestimmung, Betriebsräte und Vertrauensleute verzichten zu können. Elon Musks Gutsherrenart führt nun zum Umdenken. Ob und wie Twitter das Desaster überlebt, ist offen.

Aus gewerkschaftlicher Sicht ist Elon Musks Verhalten gegenüber den Twitter-Beschäftigten einerseits unter aller Kanone – aber irgendwie auch pädagogisch wertvoll. Wer dort bisher geglaubt hat, sich nicht gegen unternehmerische Willkür organisieren zu müssen, weil doch die neue digitale Arbeitswelt so cool und lässig sei, wurde in den letzten Wochen schlagartig eines Besseren belehrt. Seit der US-Multimilliardär Musk das Netzwerk mit dem Vögelchen-Logo, am 28. Oktober übernommen hat, steuert er es nach Gutsherrenart ins Chaos.

Kaum war der Übernahmevertrag unterschrieben, feuerte Musk von jetzt auf gleich die gesamte Führungsriege des US-Konzerns. Am November, erhielt weltweit fast die Hälfte der 7.500 Twitter-Beschäftigten per E-Mail ihre Kündigung. Insgesamt 3.738 Mitarbeitenden wurden noch am selben Tag sämtliche Zugänge zum Betrieb einschließlich ihrer E-Mail-Accounts entzogen. Den rund 30 Beschäftigten der Twitter Germany GmbH in Deutschland wurden die Kündigungen am 4. November per Mail angekündigt.

"Es ist kaum noch einer da", sagte laut ver.di vergangene Woche ein Mitarbeiter, der bis zum 4. November im Softwarebereich bei Twitter tätig gewesen ist. Weltweit seien nur noch sehr, sehr wenige der Beschäftigten im Bereich Sofware-Entwicklung übrig geblieben.

Auch in den USA haben Beschäftigte Rechte

Seit den Kündigungen tauschen sich die Betroffenen, die bisher in internationalen Teams gearbeitet haben, über Signal- oder WhatsApp-Gruppen aus. Der Mitarbeiter, den ver.di als "Tom" vorstellt, weil er vorerst anonym bleiben will, ist auch in Kontakt mit einer der Beschäftigten, die in den USA eine Sammelklage gegen die Entlassungen eingereicht haben. Auch nach dortigem Recht hätte Musk hätte die Kündigungen mindestens 60 Tage vorher schriftlich ankündigen müssen, meint aber offenbar, sich darüber hinwegsetzen zu können.

Tom und andere Beschäftigte in Deutschland, die fast alle von zuhause aus arbeiten, erhielten nach der elektronischen Ankündigung am 16. November ihre Kündigungsschreiben per Post. Zu diesem Zeitpunkt sei Tom bereits in ver.di eingetreten, teilt die Gewerkschaft mit und zitiert ihn mit den Worten: "Ich habe mich geärgert, dass ich es nicht schon längst getan habe."

Erst die Art und Weise, wie die Kündigungen abgelaufen seien, habe ihn persönlich getroffen und "sauer gemacht". Tom sei da klar gewesen, "wir müssen uns organisieren". Er habe dann auch die anderen Gekündigten in Deutschland überzeugen können, in ver.di einzutreten. Bei ihren Kündigungsschutzklagen steht nun die Gewerkschaft an ihrer Seite. Auch einen Betriebsrat wollen sie gründen – um zu zeigen, dass das Unternehmen sie so schnell nicht loswird. Wenn sie sich am Ende neue Jobs suchen müssen, sollen wenigstens ihre Kolleginnen und Kollegen in Zukunft besser vor Musks Willkür geschützt sein.

Bis zur Übernahme durch den Multimilliardär, der auch mit E-Autos und Weltraumtourismus Geld verdient, soll Tom gerne für Twitter gearbeitet haben – auch wenn die hohe Arbeitslast und das Arbeiten über verschiedene Zeitzonen hinweg oft das Abschalten und Privatleben schwierig gemacht habe.

Gewerkschaftssekretär Hikmat El-Hammouri, der für ver.di auch schon bei TikTok die Gründung des ersten Betriebsrats begleitet hat und jetzt den Twitter-Beschäftigten zur Seite steht, ist sicher: "Das macht Schule." Die Zeit, in denen Beschäftigten von Social-Media-Unternehmen und Start-ups, glaubten, so etwas wie Mitbestimmung, Vertrauensleute oder Betriebsräte bräuchten sie nicht, das passe nicht in die neue coole digitale Arbeitswelt, scheint zu Ende zu sein.

Musks Ultimatum und die Folgen

Am Donnerstag um 17 Uhr nach US-Ostküstenzeit war ein Musk-Ultimatum an die verbliebenen Twitter-Beschäftigten ausgelaufen: Sie sollten erklären, ob sie für das Unternehmen extreme "Hardcore"-Belastungen auf sich nehmen wollten – oder kündigen.

Dies hatte der neue Firmenboss in einer geleakten E-Mail verlangt. Wer nicht reagiere, werde mit einer Abfindung von drei Monatsgehältern gefeuert, hatte er angekündigt. Dies betrachteten dann allerdings weit mehr Mitarbeitende als kleineres Übel, als Musk für möglich gehalten hatte: Weniger als die Hälfte soll ein entsprechendes Bekenntnis abgelegt haben. Wie das Portal Business Insider berichtete, schloss Musk daraufhin erst einmal die Büros. Gerüchteweise steht Twitter nun vor dem Aus.

Musks Versuch, mit einer Umstellung des Verifikationssystems Geld zu verdienen, hatte ihn in den letzten Wochen wichtige Werbekunden gekostet. Abo-Kunden hatten seit der Änderung für acht Dollar pauschal das bislang begehrte Verifikations-Häkchen erhalten. So konnten einige Twitter-Nutzer Fake-Accounts mit Namen von Prominenten und Unternehmen anlegen.

Als Krönung wurde am Samstag dann auch der Account des früheren US-Präsidenten Donald Trump wieder freigeschaltet – als Ergebnis einer von Musk initiierten Twitter-Abstimmung, an der mehr als 15 Millionen Nutzerinnen und Nutzer teilgenommen hatten. 51,8 Prozent hatten die Freischaltung des Trump Accounts befürwortet, 28,2 Prozent hatten dagegen gestimmt. "Das Volk hat gesprochen", twitterte Musk, als er die Entscheidung verkündete.

Täglich nutzten zuletzt rund 229 Millionen Menschen das Netzwerk, insofern lag die "Wahlbeteiligung" nicht einmal im zweistelligen Prozentbereich. Einige Trump-Gegner waren auch bereits zum Microblogging-Dienst Mastodon abwandert. Allerdings liegt die Zahl der Nutzer dort insgesamt noch deutlich unter zehn Millionen.